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Braune Flecken auf der Weste

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Von: Karl-Heinz Karisch

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Hier Wernher von Braun in vertrautem Umgang mit dem US-Präsidenten John F. Kennedy - wenige Monate vor dessen Ermordung.
Hier Wernher von Braun in vertrautem Umgang mit dem US-Präsidenten John F. Kennedy - wenige Monate vor dessen Ermordung. © US Army Aviation and Missile Command

Rund 200 deutsche Raketenbauer mit NS-Vergangenheit waren an den US-Behörden vorbei an ihren neuen Arbeitsplatz gebracht worden. Von Karl-Heinz Karisch

"Kein Zweifel, unser Menschengeschlecht, soweit wir es in der Geschichte mit Bewusstsein zurückverfolgen können, hat mit seiner jetzigen Landung auf dem Mond eine technische Höchstleistung vollbracht, die uns allen Bewunderung abnötigt. Das Zusammenwirken von weitschweifender Phantasie, schöpferischem Denken und vor allem perfektester Organisation hat vor unser aller Augen und Ohren diesen ersten geschichtlichen Triumph vollbracht."

Diese Worte des früheren Chefredakteurs und Herausgebers Karl Gerold in der Frankfurter Rundschau im Juli 1969 markieren den Höhepunkt eines der größten wissenschaftlichen Abenteuer dieses Jahrhunderts, in den sich damals schon Fragen nach den Kosten und dem Elend auf dieser Erde mischten.

Es war auch ein Triumph für den "Motor" des amerikanischen Raumfahrtprogramms: Wernher von Braun. Auf ihn und sein aus Deutschland stammendes Team hatte Präsident John F. Kennedy 1962 alle Karten gesetzt, um der Sowjetunion endlich die Vorherrschaft im Weltraum streitig zu machen.

Damals verkündete Kennedy das ehrgeizige Mondlandeprogramm: "Wir haben uns entschieden, in diesem Jahrzehnt zum Mond zu gehen und auch andere große Dinge zu tun, nicht weil sie leichter wären, sondern gerade weil sie schwer sind. Weil dieses Ziel dazu dienen wird, unsere besten Energien zu organisieren und zu messen. Weil wir gewillt sind, diese Herausforderung zu akzeptieren, und nicht gewillt, sie zu verzögern - eine Herausforderung, die wir gewinnen werden, wie die anderen auch."

Worin bestanden diese "besten Energien, von denen Kennedy sprach? Im Mai 1945 hatten US-amerikanische Offiziere in Bayern die deutschen Raketenexperten um Wernher von Braun aufgespürt. Unter ihnen Herbert Axer, der einen hohen Rang in der SS begleitete, und den Kommandeur der Heeresversuchsanstalt Peenemünde, Werner Dornberger. Etwa zur gleichen Zeit gingen in Heidelberg die führenden deutschen Luftfahrtmediziner um Hubertus Strughold den US-Offizieren ins Netz.

Mörderische Arbeitslager

Doch nicht die grauenvollen Menschenexperimente mit KZ-Insassen und die mörderischen Arbeitslager zur Produktion der "deutschen Wunderwaffe" V 2, mit der England und Belgien bombardiert worden waren, weckten das Interesse der Militärs. "Wir wollten alles in Erfahrung bringen, was die Deutschen über Raketen wussten", berichtete in einem Film der britischen BBC der US-Raketenexperte Robert Staver. "Dabei war das Team aus Peenemünde von besonderem Interesse. Wir waren nicht auf der Suche nach Nazis, wir wollten erfahren, was die Leute wussten. Ich wusste nicht, dass wir es mit Mördern zu tun hatten."

Oder besser, er wollte es nicht wissen. Der US-Sicherheitsbericht aus dem Jahr 1945 gibt andere Auskünfte. Von Kurt Debus heißt es, er sei "an ardent Nazi - ein eingefleischter Nazi", Mitglied der SA und SS, und habe einen Mitarbeiter bei der Gestapo denunziert. Debus wird in den USA zum Direktor des Kennedy- Raumfahrtzentrums in Florida ernannt. Wernher von Braun wird im Sicherheitsbericht als SS-Offizier und "potentielles Sicherheitsrisiko" eingestuft.

Unter strengster Geheimhaltung werden rund 200 deutsche Raketenbauer an den US-Behörden vorbei vom Geheimdienst nach Fort Bliss bei El Paso an der mexikanischen Grenze geflogen. Bereits wenige Wochen später entstehen dort die ersten V 2-Raketen für das US-Verteidigungsministerium. Fast 600 Wissenschaftler bringt das Pentagon bis 1947 an den US-Einwanderungsbehörden vorbei in die USA. Die verfänglichen Unterlagen, so deckte der Mitarbeiter im US-Justizministerium, Eli Rosenbaum, später auf, wurden in einer Aktion "Paperclip - Büroklammer" gereinigt.

Sogar ein Team des US-Geheimdienstes CIA wurde in die Bundesrepublik und nach West-Berlin geschickt, um Wernher von Braun belastende Unterlagen und Bilder - die sich unter anderem im Berlin Document Center befanden - verschwinden zur lassen. So konnten von Braun und seine Mitarbeiter im November 1954 während einer feierlichen Veranstaltung den Eid auf die amerikanische Verfassung ablegen. Sie waren nun offiziell Staatsbürger der USA.

Der rasante Aufstieg Wernher von Brauns war durch das Ende des Zweiten Weltkriegs nur kurz unterbrochen worden. Bereits als 20-Jähriger wird er 1932 im deutschen Heereswaffenamt eingestellt. Seine in dieser Zeit entstandene Doktorarbeit "Konstruktive, theoretische und experimentelle Beiträge zu dem Problem der Flüssigkeits-Rakete" bekommt den Stempel "Staatsgeheimnis" und verschwindet in den Aktenschränken des Reichswehrministeriums.

Mit 25 Jahren wird von Braun zum Leiter des riesigen Raketenprojektes in Peenemünde an der Ostseeküste ernannt. Bis 1940 investieren die Nazi-Machthaber rund 500 Millionen Mark in die Einrichtung.

Stollen im Harz

Das Aggregat 4, die spätere "Vergeltungswaffe" V 2, startet erstmals am 3. August 1942 erfolgreich. Für die Massenproduktion werden in Nordhausen im Harz unterirdische Stollen angelegt. Dort arbeiteten unter unmenschlichen Bedingungen 15000 Häftlinge aus dem Konzentrationslager Buchenwald, von denen viele sterben. Produktionsleiter ist Arthur Rudolph, der später auch das Apollo-Programm organisatorisch leiten wird.

Er kehrte 1987 in die Bundesrepublik zurück, wo er 1996 starb. Nach den in der Zwischenzeit erhobenen Vorwürfen gab er zuvor seine US-Staatsbürgerschaft zurück. "Die US- Regierung ist undankbar", sagte er damals, "schließlich habe ich dazu beigetragen, dass die Amerikaner als erste auf dem Mond landen konnten." Von Hinrichtungen und den mörderischen Arbeitsbedingungen in Nordhausen will er nichts bemerkt haben. Im Gegenteil, "mit Samthandschuhen" habe man die Häftlinge anfassen müssen.

Wernher von Braun war ehrlicher. In einem Fernsehinterview kurz vor seinem Tod am 16. Juni 1977 sagte er: "Die Arbeitsbedingungen dort waren absolut grauenvoll. Ich war mehrmals dabei. Einmal habe ich zusehen müssen, wie diese Häftlinge einen Stollen sprengen mussten."

Vater der Raumfahrtmedizin

Zum "Vater der amerikanischen Raumfahrtmedizin" wird Hubertus Strughold. Strughold, der unter anderem den Astronautenanzug für Apollo entwickelte, hatte sich dem Pentagon durch seine umfassenden Kenntnisse als Luftfahrtmediziner empfohlen. Dass der US-Sicherheitsbericht "völlige Übereinstimmung mit den Zielen des Nationalsozialismus" feststellte, interessierte zunächst ebenfalls nicht. Strughold arbeitete eng mit dem Mediziner Siegfried Ruff zusammen, bei dessen mörderischen Unterdruck-Versuchen mit Häftlingen des Konzentrationslagers Dachau mindestens 90 Menschen qualvoll starben.

Die Erfahrungen der Nazi-Luftfahrtmediziner sammelte Strughold in seinem Standardwerk "German Aviation Medicine". Hinweise seiner Kollegen auf die Menschenversuche wurden vor dem Druck des zweibändigen Werkes von ihm aus dem Manuskript wieder herausgestrichen. Strughold wollte keine unnötigen Fragen provozieren. Er wusste bereits, dass sein Wissen wichtiger sein würde als ein paar tote KZ-Häftlinge. Ihm wurde die Leitung der ersten Schule für Luftfahrtmedizin in San Antonio in Texas übertragen, später in "Strughold Aeromedical" umbenannt.

Waren das die "Menschen, die vom Weltraum träumen"? Der bundesdeutsche Raketeningenieur Jesco von Puttkamer, der 1962 dem Ruf Wernher von Brauns in die USA folgte, charakterisierte die Deutschen von Huntsville so: "Das waren die ,alten Peenemünder’, hemdsärmelige Ingenieure von altem Schrot und Korn aus den Anfangsjahren der Raketenforschung und grauhaarige Gelehrte, die einst das Machtwort einer untergegangenen Diktatur von ihren Dozentenstellen und Lehrstühlen, aber auch von der Russlandfront weg nach Peenemünde gerufen hatte." Kurz: das "Team von legendärer Einmaligkeit", "zusammengeschmiedet in Huntsville".

Über viele Jahre galten der hohe moralische Preis für das Apollo-Programm und der materielle Einsatz als gerechtfertigt. Erst später wurde von immer mehr Amerikanern die Frage gestellt, ob es richtig war, den Weltraum mit dem Wissen ehemaliger Nazis zu erobern.

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