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Atmen gegen einen Widerstand

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Von: Pamela Dörhöfer

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Eine Lunge im Scan eines Computertomographen. Alpha-1-Antritrypsin-Mangel kann sie schwer in Mitleidenschaft ziehen.
Eine Lunge im Scan eines Computertomographen. Alpha-1-Antritrypsin-Mangel kann sie schwer in Mitleidenschaft ziehen. © Getty Images

Alpha-1-Alphatrypsin-Mangel schädigt die Lunge – und wird oft nicht erkannt.

Die ersten 38 Jahre seines Lebens spürte Peter K. nicht von der Krankheit, deren Anlagen in ihm schlummerten. Er war Spitzensportler, unterrichtete Sport, fuhr gerne Mountainbike und Snowboard, spielte Tischtennis und surfte. Dann, im Alter von 39, bekam er eine Lungenentzündung – für ihn rückblickend „die Initialzündung“. Wenig später traten bei ihm die typischen Krankheitssymptome eines „Alpha-1-Antitrypsin-Mangels“ zutage: Der eigentlich so sportliche Mann unternahm eine Fahrradtour mit seinem untrainierten Schwager, den er normalerweise leicht abgehängt hätte, wie er sich erinnert. Doch dieses Mal war es andersherum: „Ich hatte das Gefühl, als würde ich gegen einen Widerstand ausatmen.“

Peter K. kam für drei Tage ins Krankenhaus, als sein Glück sieht er an, dass er damals die Symptome so gut beschreiben konnte. Denn normalerweise haben Patienten mit Alpha-1-Antitrypsin-Mangel bereits eine Ärzte-Odyssee hinter sich, bis die Ursache ihres Leidens gefunden wird.

41 Jahre war Peter K. zum Zeitpunkt der Diagnose alt, typisch für die Krankheit, die meist zwischen 35. und 45. Lebensjahr ausbricht. Heute ist der frühere Sportlehrer 52 und nicht mehr berufstätig, es ging einfach nicht mehr Er muss sich über Schläuche, die in seine Brille integriert sind und von dort aus in die Nase reichen, regelmäßig Sauerstoff zuführen, einmal in der Woche erhält er eine Infusion mit einer Substitution für das Alpha-1-Antitrypsin, das ihm fehlt.. Seinen geliebten Sport musste Peter K. stark einschränken, „Nordic Walking geht noch“, sagt er, „Joggen ist mir fast schon zu anstrengend“. Aber er hat sich zum Lungensporttrainer ausbilden lassen, um anderen Patienten mit Lungenleiden zu helfen.

Peter K. ist einer von geschätzt 8000 bis 12000 Patienten mit diagnostiziertem Alpha-1-Antritrypsinmangel; von dieser Zahl geht Wolfgang Gleiber, Oberarzt an der Medizinischen Klinik I des Universitätsklinikums Frankfurt und Fachmann auf dem Gebiet der Pneumologie, aus. Die Dunkelziffer allerdings könnte noch weit größer sein. Denn Alpha-1-Antitrypsinmangel zählt zu den Seltenen Krankheiten und ist nur wenigen Menschen geläufig. Auch Ärzte denken oft nicht an dieses vor rund 50 Jahren entdeckte Leiden, wenn ein Patient in ihrer Sprechstunde sitzt. 5,7 Jahre dauert es deshalb laut Gleiber im Schnitt, bis nach dem Auftreten der ersten Symptome die richtige Diagnose gestellt wird.

Verwechslung mit Asthma und Mukoviszidose möglich

Alpha-1-Antritrypsinmangel kann mit Asthma und Mukoviszidose verwechselt werden, vor allem aber mit der Chronisch obstruktiven Lungenerkrankung COPD, die durch das Schicksal des Schlagersängers Roland Kaiser stärker ans Licht der Öffentlichkeit geriet.Die Symptome beider Erkrankungen ähneln sich: Atemnot, auch chronischer Husten und verstärkter Auswurf; bei Alpha-1-Antitrypsinmangel ist vor allem die Luftnot charakteristisch, typischerweise tritt sie zunächst vorwiegend bei körperlicher Belastung auf. Wegen der Ähnlichkeit der Krankheitsbilder raten Experten der Deutschen Atemwegsliga und der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie & Beatmungsmedizin, dass jeder vermeintliche COPD-Patient auf Alpha-1-Antitrypsin-Mangel getestet werden sollte; das gelte insbesondere für Patienten, die nicht rauchen. Ein einfacher Bluttest beim Hausarzt genügt dafür.

Anders als bei der COPD, bei der vor allem Zigarettenkonsum, aber auch Umweltverschmutzung und eventuell frühere Infektionen die Hauptursachen sind, ist Alpha-1-Antitrypsin-Mangel eine erblich bedingte Erkrankung: Der Körper der betroffenen Menschen ist nicht in der Lage, ein bestimmtes Protein korrekt zu bilden, das Alpha-1-Antitrypsin, das der Krankheit ihren Namen gibt. Dieses spielt eine wichtige Rolle bei dem komplexen Prozess der Immunreaktionen: Es verhindert es normalerweise, dass körpereigene Abwehrzellen nicht nur – wie erwünscht – Krankheitserreger bekämpfen, sondern auch gesundes Gewebe angreifen. Bei Menschen mit Alpha-1-Antitrypsin-Mangel ist die Struktur dieses wichtigen Schutzproteins defekt, es trägt an einer wichtigen Stelle eine falsche Aminosäure und kann deshalb seine Funktion nicht mehr richtig ausfüllen. Produziert wird das Alpha-1-Antitrypsin vor allem in der Lunge.

Aufgrund seiner veränderten Form lagert sich es sich dort ab – anstatt wie bei gesunden Menschen über den Blutkreislauf in die Lunge zu gelangen. In der Folge nimmt immer mehr gesundes Gewebe des Atmungsorgans Schaden – bis schließlich die Lungenbläschen zerstört werden können und es zu einem Lungenemphysem kommen kann. Bei etwa zehn Prozent der Betroffenen ruft die Krankheit schon im frühen Kindesalter Leberschäden hervor.

Alpha-1-Antitrypsin-Mangel wird autosomal rezessiv vererbt, was heißt: Nur, wenn beide Elternteile das entsprechende Gen in sich tragen, kommt das Leiden zum Tragen. Zu heilen ist diese Autoimmunerkrankung nicht. Allerdings kann das fehlten Protein dem Körper von außen durch eine Substitutionstherapie zugeführt werden, damit weitere Schädigungen der Lunge zumindest verlangsamt auftreten. Auch Oberarzt Wolfgang Gleiber behandelt in der Frankfurter Uniklinik Patienten mit solchen Infusionen, in der Regel bekommen sie das Alpha-1-Antitrypsin (das aus dem Blut gesunder Menschen gewonnen wird) einmal pro Woche zugeführt. Das Protein muss allerdings, ähnlich wie bei das Insulin bei Diabetes, lebenslang von außen gegeben werden, da es der Körper genetisch bedingt nicht selbst produzieren kann. Studien haben gezeigt, dass diese Substitutionstherapie bei vielen Patienten eine günstigere Prognose bewirkt; unbehandelt ist die Lebenserwartung reduziert, diese sinkt zusätzlich, wenn Patienten rauchen.

Wegen der fortschreitenden Lungenschädigung ist der Zeitpunkt der Diagnose wesentlich für den weiteren Verlauf und die Lebensqualität der Erkrankten. Betroffene wie Peter K. plädieren deshalb dafür, bereits Neugeborene auf einen Alpha-1-Antitrypsin-Mangel zu testen. Demnächst soll ein neuer Screening-Test auf dem deutschen Markt eingeführt werden, der die krankmachende Mutation binnen 15 Minuten ausschließen kann.

Auf die Behandlung und Beratung bei Alpha-1-Antitrypsin-Mangel haben sich in Deutschland bestimmte Zentrum spezialisiert. Eine Liste und weitere Informationen gibt es unter www.alpha-1-info.de.

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