1. Startseite
  2. Wissen

Arme Menschen sterben früher

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Pamela Dörhöfer

Kommentare

Die schlechtere medizinische Versorgung ist ein Hauptgrund für die dramatischeren Verläufe bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Die schlechtere medizinische Versorgung ist ein Hauptgrund für die dramatischeren Verläufe bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen. © Getty Images

Zwei Studien untersuchen die Sterblichkeit in reichen und armen Ländern und kommen zu dem Schluss: Menschen mit wenig Geld sterben früher als Reiche. Auch in der EU gibt es große Unterschiede.

Armut macht krank: Diese einfache Formel bringt es tatsächlich auf den Punkt, wie eine aktuelle Studie untermauert. Demnach verlaufen Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Menschen in Ländern mit niedrigem Einkommen dramatischer und häufiger tödlich. Das internationale Forscherteam hatte für ihre im „New England Journal of Medicine“ veröffentlichte Studie mehr als 150 000 Menschen aus Städten und ländlichen Regionen in insgesamt 17 Ländern über den Zeitraum von vier Jahren untersucht. Den Wissenschaftlern ging es darum herauszufinden, ob es zwischen Ländern mit hohem Einkommen und solchen mit mittlerem und niedrigen Einkommen Unterschiede in Bezug auf die Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Leiden, auf die Zahl der Patienten und die der Todesfälle gibt. Als Länder mit hohem durchschnittlichen Einkommen wählten die Wissenschaftler für ihre Studie Kanada, die Vereinigten Arabischen Emirate und Schweden. Den mittleren Bereich vertraten unter anderem Brasilien, China, Polen und Iran. Vier Länder repräsentierten in der Studie das geringe Einkommen: Zimbabwe, Pakistan, Bangladesh und Indien.

Weltweit sterben nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin jedes Jahr rund 18 Millionen Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Bis in die 1950er Jahre waren überwiegend Bürger aus den Industrieländern betroffen. Doch diese Entwicklung hat sich umgekehrt: Heute, so heißt es in der Einleitung der Studie, ereignen sich 80 Prozent aller „kardiovaskulären Vorfälle“ wie Herzinfarkt, plötzlicher Herztod oder Schlaganfall dagegen in Ländern mit mittlerem oder niedrigem Einkommen.

Zunächst ermittelten die Wissenschaftler das Risiko der jeweiligen Bewohner eines Landes für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dafür verwendeten sie den international anerkannten „Interheart-Risk Score“. Er setzt sich aus den messbaren, bekannten Risikofaktoren wie Rauchen, erhöhten Blutfettwerten, Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes, Stress, ungesunder Ernährung und mangelnder Bewegung zusammen. Tatsächlich ist deren Summe bei Menschen in reichen Ländern höher, sie müssten demnach stärker gefährdet sein, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu bekommen. Tatsächlich ergab die neue Studie aber, dass die Bewohner von Ländern mit niedrigem oder mittleren Einkommen häufiger und schwerer an Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden. In besonderem Maße gefährdet sind dort die Bewohner ländlicher Gebiete. In Ländern mit höherem Einkommen hingegen machte die Studie keinen Unterschied zwischen Stadt und Land aus.

Schlechtere medizinische Versorgung

Die Wissenschaftler führen dieses Ergebnis vor allem auf die schlechtere medizinische Versorgung in ärmeren Ländern zurück. Die Menschen in reichen Ländern könnten ihr höheres Risiko durch Übergewicht, Bluthochdruck oder mangelnde Bewegung besser kompensieren, weil ihr Gesundheitszustand regelmäßig kontrolliert werde und sie über einen besseren Zugang zu wirksamen Medikamenten Therapien verfügten. Gerd Hasenfuß, Direktor der Klinik für Kardiologie und Pneumologie der Universitätsmedizin Göttingen und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, bewertet die Ergebnisse als Beleg dafür, was ein „gut funktionierendes, flächendeckendes Gesundheitssystem“ zu bewirken vermag: „Die Studie verdeutlicht die großen Errungenschaften der modernen Medizin“, sagt der Professor für Kardiologie, mahnt allerdings: „Das sollte uns jedoch nicht dazu verleiten, sich ganz auf den Errungenschaften unseres Gesundheitssystems auszuruhen.“ Denn trotz guter Vorsorge und Therapien seien auch in Deutschland Herz-Kreislauf-Erkrankungen „weiterhin Todesursache Nummer eins“. Der Mediziner rät, „jeder“ solle sein persönliches Risiko mindern. Alleine Rauchen erhöhe die Gefahr, an einer Herz-Kreislauferkrankung zu sterben, um das Zwei- bis Dreifache.

Den Zusammenhang zwischen Armut und früher Sterblichkeit untersucht auch eine neue Studie unter der Federführung des Soziologen Claus Wendt von der Universität Siegen. Im Fokus steht dabei keine spezielle Erkrankung, sondern die allgemein um durchschnittlich zehn Jahre geringere Lebenserwartung von Menschen der untersten Bildungsschicht. Zudem konzentriert sich dieses Forschungsprojekt mit dem Titel „Health Inequalities in European Welfare States“ – Ungleichheiten bei der Gesundheit in europäischen Wohlfahrtsstaaten – auf 25 Staaten in Europa und die USA. Denn auch dort trage „das untere Fünftel der Gesellschaft“ ein doppelt so hohes Risiko „schwer zu erkranken oder vorzeitig zu sterben wie das obere Fünftel“, sagt Wendt, der sich bereits seit Jahren mit der Soziologie der Gesundheit und dem internationalen Vergleich von Gesundheitssystemen beschäftigt.

Zwar gelte in Europa der Grundsatz, dass alle Bürger Zugang zu notwendigen Gesundheitsleistungen haben sollten, die Formen der Finanzierung, der Versorgung und der Regulierung unterschieden sich jedoch deutlich, sagt der Siegener Professor: „Die Frage ist, inwieweit sich das konkret auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung auswirkt.“

Ziel der Studie ist es auch, zu ermitteln, welche Eigenschaften von Wohlfahrtsstaaten und Gesundheitssystemen dazu geeignet sind, um gesundheitliche Ungleichheiten zu reduzieren. Insgesamt, so Claus Wendt, sei das Niveau der Versorgung in Europa, insbesondere in Deutschland „sehr hoch“: „Dennoch gibt es auch hier Ungleichheiten“, sagt der Soziologe und nennt den unterschiedlichen Zugang zu Fachärzten und den unterschiedlichen Versicherungsschutz.“ Die Länder in Südeuropa hätten es in der Vergangenheit zwar geschafft, ihre Standards zu verbessern. Doch diese Erfolge seien durch die schlechte Wirtschaftslage oft wieder rückgängig gemacht worden.

Was die Vereinigten Staaten angeht, so ist dort nach wie vor ein großer Teil der Bevölkerung nicht absichert; Obamas Gesundheitsreform zum Trotz: „Es gibt eine große Differenz im Niveau der gesundheitlichen Versorgung, abhängig davon, was der Patient sich leisten kann oder wie er versichert ist“, sagt Wendt.

Die Analyse wird sich auf offizielle Statistiken zu Krankheits- und Sterblichkeitsraten, aber auch auf die Befragungen von Bürgern stützen. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts, so der Soziologe, könnte später als „eine wichtige Basis für gesundheitspolitische Entscheidungen“ dienen.

Auch interessant

Kommentare