Am Anfang war die Kohle

Heute feiert das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin seinen zwanzigsten Geburtstag. Ein Berliner Erfolgsmodel, dessen große Zeit mit der Gründung des Berliner Instituts für Gesundheitsforschung gerade erst eingeläutet wurde.
Von Lilo Berg
Heute feiert das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin seinen zwanzigsten Geburtstag. Ein Berliner Erfolgsmodel, dessen große Zeit mit der Gründung des Berliner Instituts für Gesundheitsforschung gerade erst eingeläutet wurde.
Selten hat ein Bundespräsident so viel Staub aufgewirbelt wie Richard von Weizsäcker vor zwanzig Jahren in Berlin-Buch. Der Präsident kam im Hubschrauber zur Gründungsfeier des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC). Es war ein schöner Wintertag, die Festgäste hatten sich versammelt, alles lief nach Plan. An den alten Kohlenschuppen hatte niemand gedacht. Der Hubschrauber setzte zur Landung an, es bildeten sich heftige Luftwirbel, das Empfangskomitee ging in Deckung – und schon flog die Kohle in schwarzer Pracht durch die Luft.
Richard von Weizsäcker wollte auch heute wieder in Buch sein, musste aber aus gesundheitlichen Gründen absagen. Das MDC feiert Geburtstag, wieder mit einem großen Festakt. Neben viel Prominenz, darunter Bundesforschungsministerin Annette Schavan, sind Wegbereiter von damals dabei, etwa der frühere Berliner Wissenschaftssenator Manfred Erhardt und der Ex-Wissenschaftsratsvorsitzende Dieter Simon.
Basiskurse in Genetik für Jedermann
Kohleheizungen gibt es nicht mehr auf dem Gelände und auch sonst hat es sich gründlich verändert. Es ist ein moderner, freundlicher Forschungscampus entstanden, mit vielen neuen Institutsgebäuden, einem Gläsernen Labor, in dem jährlich Tausende interessierter Bürger Basiskurse in Genetik absolvieren, und einem Biotechnologiepark in direkter Nachbarschaft. Und während im Jahr 1992 lediglich 120 Wissenschaftler in den MDC-Labors forschten, sind es heute fast 830. Hier angesiedelt hat sich auch das Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP), das zur Leibniz-Gemeinschaft gehört.
Gleich geblieben ist seit den Anfangstagen die Grundidee, molekulare Grundlagenforschung mit klinischer Forschung zu verbinden. „Das MDC knüpft damit an eine bereits in der ehemaligen DDR geübte Forschungstradition an“, heißt es in einer der ersten, noch per Briefpost verschickten Pressemitteilungen vom 7. Dezember 1992. Erinnert wurde damit an die drei Zentralinstitute der Akademie der Wissenschaften, aus denen das MDC hervorgegangen ist. Deren inhaltliche Ausrichtung – Krebs, Herz-Kreislauf und Molekularbiologie – hat das MDC als Schwerpunkte beibehalten, neu sind die Neurowissenschaften und die Systembiologie.
„In meiner Zeit am MDC habe ich gelernt, wie stark die Macht der Tradition ist“, sagt Detlev Ganten. Der Pharmakologe und Bluthochdruckforscher kam 1992 von Heidelberg als Gründungsdirektor nach Buch und blieb dort bis zu seinem überraschenden Wechsel ins Vorstandsamt der Charité im Jahr 2004.
1969 bekam Delbrück den Nobelpreis
Die Pionierjahre waren goldene Jahre für das MDC: Europäische Fördermittel flossen reichlich, der politische Rückhalt war groß, das wissenschaftliche Niveau legte von Jahr zu Jahr zu. Ganz nach dem Vorbild des Namenspatrons Max Delbrück: Dem Berliner Physiker und Biologen gelangen in den 30er-Jahren zusammen mit Bucher Wissenschaftlern grundlegende Erkenntnisse in der molekularen Genetik, die ihm 1969 den Nobelpreis einbringen sollten. Schäumende Debatten
Der Hype um die Gentherapie, der in den Anfangsjahren des MDC die öffentliche Diskussion beherrschte, ist nach Rückschlägen in ersten Versuchen längst abgeklungen. Auch von der Gefahr, dass der Mensch durch die molekulare Forschung auf seine Gene reduziert werde, ist kaum mehr die Rede.
Heute nimmt die Öffentlichkeit routiniert zur Kenntnis, wenn wieder eine Erfolgsmeldung aus Buch kommt. Dort wurden zum Beispiel Gene entdeckt, die Herzrhythmusstörungen auslösen. Mit diesem Wissen können nun Hochrisikopatienten identifiziert werden, um sie mit Hilfe von Medikamenten und Medizintechnik vor einem plötzlichen Herztod zu schützen. MDC-Forscher fanden auch Erbanlagen, die die Bildung von Metastasen bei Dickdarmkrebs begünstigen. Erfolg zieht Erfolg an, und so kommen immer mehr exzellente Wissenschaftler aus aller Welt ans MDC. Es rangiert heute, nach Maßgabe des Wissensschaftsbarometers von Thomson Reuters, auf Platz 14 unter den 20 besten Forschungseinrichtungen im Bereich Molekularbiologie weltweit.
Verzahnung mit der Charité
Gantens Nachfolger Walter Birchmeier – er leitete das MDC von 2004 bis 2008 – und der seitherige Chef, der Pharmakologe Walter Rosenthal, bauten den Campus weiter aus. Dort steht jetzt einer der weltweit stärksten Ganzkörper-Magnetresonanztomografen, ein 7-Tesla-MRT, der hochaufgelöste Bilder aus dem Körperinneren liefert und die Therapie erleichtern soll. Großen Nutzen verspricht man sich auch vom Berliner Institut für medizinische Systembiologie (BISMB), das das Zusammenspiel von Genen und Proteinen erforscht und als MDC-Einrichtung im kommenden Jahr in der Mitte Berlins errichtet wird.
Eine entscheidende Etappe in der Geschichte des MDC wurde Anfang November mit der Gründung des Berliner Instituts für Gesundheitsforschung eingeläutet. Es soll Charité und MDC eng aneinanderkoppeln, um die Ergebnisse der Grundlagenforschung schnell in die Anwendung zu bringen.
Das Projekt hat weltweite Strahlkraft, auch wegen seiner üppigen Ausstattung mit jährlich etwa 80 Millionen Euro. MDC-Chef Walter Rosenthal hat es also mit viel Kohle zu tun. Noch ist sie nicht da, aber sie liegt in der Luft. Daraus kann etwas werden – die Geschichte des Bucher Forschungszentrums zeigt es.