Genmutation schützt vor Alzheimer - Haben Forscher einen neuen Therapieansatz gefunden?

Forscher finden neue Ansatzpunkte für eine mögliche Therapie von Alzheimer. Auch der Antikörper Aducanumab bekommt offenbar eine neue Chance.
- Die Fortschritte bei der Therapie von Alzheimer sind gering - eine Heilung ist nicht möglich
- Bei der Entwicklung von Alzheimer-Medikamenten gab es herbe Rückschläge
- Nun haben Forscher neue Erkenntnisse - und möglicherweise einen neuen Therapieansatz gefunden
Die Fortschritte, die es bei der Therapie von Alzheimer seit der Entdeckung der Krankheit vor mehr als hundert Jahren gegeben hat, sind eher bescheiden. Bis heute ist es nicht möglich, diese häufigste Form der Demenz zu heilen – oder auch nur ihren Verlauf zu verlangsamen, der mit einer stetigen Verschlechterung der geistigen Fähigkeit einhergeht. Und das, obwohl Wissenschaftler weltweit geradezu fieberhaft daran forschen, die Ursachen besser zu verstehen und auf dieser Basis Methoden der Behandlung zu finden. Zuletzt aber gab es bei der Entwicklung von Medikamenten herbe Rückschläge, Studien wurden vorzeitig gestoppt, weil sie als Fehlschlag eingeschätzt wurden.
Alzheimer: Bestimmte Gene schützen vor Alzheimer
Nun gibt es neue Erkenntnisse – zu einem eigentlich bereits abgeschriebenen Wirkstoff und zur Rolle bestimmter Gene bei Alzheimer. So hat ein internationales Forscherteam um Joseph Arboleda-Velasquez von der Havard Medical School eine Gruppe von 1200 Frauen und Männern aus Kolumbien untersucht. Sie alle leiden unter einer Genmutation (der sogenannten Präsenilin 1-Mutation), die sie früh an Alzheimer erkranken ließ, in der Regel bereits mit 50 Jahren. Alle bis auf eine: Eine Frau war auch im Alter von über 70 Jahren noch geistig weitgehend fit, zeigte allenfalls erste milde Symptome. Den Grund vermuten die Wissenschaftler in einer weiteren Genmutation. Ihre Ergebnisse haben sie gestern im Fachjournal „Nature Medicine“ veröffentlicht.
Alzheimer ist bislang nicht heilbar. Das macht vielen Menschen Angst vor dem Alter. Ein neuer Test soll Alzheimer schon vor den ersten Symptomen erkennen. Ein Alzheimer-Bluttest könnte ein neues Standardverfahren werden.
Alzheimer: Liegt ein Schlüssel in der „Christchurch-Mutation“?
Die Forscher stellten fest, dass die alte Dame als einzige aus der Gruppe eine zweifache Kopie der seltenen „Christchurch-Mutation“ auf einem Gen namens APOE 3 besitzt. APOE steht als Abkürzung für die Apolipoproteine, die bei der Alzheimer-Erkrankung in zentrale Mechanismen involviert sind, welche die Anreicherung der Proteine Beta-Amyloid und Tau im Gewebe beeinflussen und Entzündungen hervorrufen. Die Wirkung der Apolipoproteine ist dabei abhängig von ihrem jeweiligen Aufbau, wobei es drei verschiedene Varianten gibt.
Beide Eiweiße sind die „Hauptübeltäter“ bei Alzheimer. Beta-Amyloid entsteht aus einem Vorläuferprotein, das bei gesunden Menschen im Gehirn problemlos gespalten und abgebaut wird. Bei Alzheimer läuft dieser Prozess fehlerhaft ab, die Proteine verklumpen und bilden Ablagerungen zwischen den Nervenzellen, die gefürchteten Plaques. Das Tau-Protein wiederum formt im Inneren von Zellen Teile röhrchenartiger Strukturen, durch die Nährstoffe von einem Teil der Nervenzellen zum anderen transportiert werden. Bei Alzheimer sind die Tau-Proteine chemisch verändert und sammeln sich als Fasern, den „Tau-Fibrillen“, in den Nervenzellen an, wodurch diese ihre Form und Funktion verlieren.
Die Folge all dieser Prozesse: Die Nervenzellen im Gehirn können nicht mehr richtig miteinander kommunizieren, deshalb Informationen nicht korrekt verarbeiten und weiterleiten. Im Laufe der Erkrankung sterben so immer mehr Neuronen ab – ein unwiederbringlicher Verlust, denn Nervenzellen können nicht neu gebildet werden.
Alzheimer-Studie: Überraschender neurologischer Befund
Zurück zur Studie: Als die Forscher Aufnahmen vom Gehirn der symptomfreien Kolumbianerin machten, entdeckten sie etwas Überraschendes: Tatsächlich war das Gehirn der Frau zwar stark mit Plaques von Beta-Amyloid belastet. Dagegen fanden sich jedoch nur wenige Tau-Fibrillen, auch der Verlust von Nervenzellen hielt sich in Grenzen.
Bei der „Christchurch-Mutation“, die bei der alten Dame vorliegt, ist das APOE-Protein in einem Bereich verändert, der die Bindung an bestimmte Proteinrezeptoren auf der Oberfläche von Zellen ermöglicht. Die Wissenschaftler stellten fest, dass bei dieser Mutation im Vergleich zu anderen Formen die Proteine die niedrigste Bindungskraft aufweisen. Und genau auf dieser Tatsache ruht nun ihre Hoffnung, damit einen möglichen Ansatz für eine Therapie gefunden zu haben. Mit Antikörpern oder anderen Molekülen, die an diese Stelle des Rezeptors binden, müsste sich die potenzielle Schutzwirkung der „Christchurch-Mutation“ nachahmen lassen, schlussfolgern sie.
Alzheimer: „Faszinierend und extrem ungewöhnlich“
Diese Einschätzung teilen auch andere Forscher. Für Marc Aurel Busche, Programmleiter am Britischen Institut für Demenzforschung am University College London, stellt die Studie im Hinblick auf die Entwicklung einer Therapie ein „must-read-paper“ dar, ein Papier, da gelesen werden muss. Als „faszinierend und extrem ungewöhnlich“ sieht er die Tatsache an, dass die Frau trotz der Präsenilin 1-Mutation erst mit über 70 Jahren frühe Symptome zeigte, anstatt bereits mit 50 an Alzheimer zu leiden.
Dass in ihrem Gehirn zwar „enorm viele Amyloid-Plaques“ zu sehen waren, sich jedoch nur „überraschend wenig Tau-Pathologie“ fand, bestätigt nach Ansicht des Londoner Wissenschaftlers die Hypothese, dass weniger die Amyloid-Ablagerungen als vielmehr die Tau-Fibrillen für den massiven geistigen Abbau für Alzheimer verantwortlich sind. Dazu würde auch die ebenfalls existierende Theorie passen, dass Alzheimer nur „in einer ganz frühen Phase“ von Amyloid-Plaques „abhängig“ ist.
Forscher finden neuen Ansatz für Alzheimer-Therapie
Entsprechend könnten Therapien, die auf diese Proteinablagerungen zielen, dann auch nur wirken, wenn sie bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt verabreicht werden – also dann, wenn sich geistige Einbußen noch nicht deutlich bemerkbar gemacht haben. Marc Aurel Busche schließt aus alldem, dass die Blockade der pathologischen Ausbreitung der Tau-Proteine im Gehirn ein „wesentliches Therapieziel sein sollte“. Zu diesem Zweck könnten zum Beispiel Antikörper gegen Tau eingesetzt werden, von denen sie einige bereits in klinischen Studien befänden.
Auch von den Forschern um Joseph Arboleda-Velasquez vorgeschlagenen Ansatz, mit einer Gentherapie die Wirkung der „Christchurch-Mutation nachzuahmen, findet er sinnvoll. Christian Haass, Sprecher des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen in München und Leiter der Abteilung Stoffwechselbiochemie am Biomedizinischen Centrum der Ludwig-Maximilian-Universität München, regt an, mithilfe der Genschere Crispr Mäusen diese Mutation ins Erbgut einzubauen und dann deren Wirkung zu testen. Er gibt allerdings auch zu bedenken, man müsse sich bewusst sein, dass ein Antikörper gegen das APOE-Protein auch dessen komplette biologische Funktion blockiere. Da es ein „extrem häufiges“ Eiweiß in der Blutbahn handelte, müsse man zudem berücksichtigen, „dass Antikörper bereits im Blut abgefangen werden und erhebliche Schwierigkeiten haben werden, in das Gehirn zu gelangen“. Forscher haben kürzlich herausgefunden, dass sich Alzheimer wie eine Infektion im Gehirn ausbreitet.
Kommt Alzheimer-Medikament Aducanumab nun doch?
Ein ganz anderer Antikörper schien bereits kurz davor, in ihn gesetzte Erwartungen zu erfüllen, bei einer Behandlung in einem frühen Stadium den weiteren Verlauf von Alzheimer zumindest verlangsamen können. Es handelte sich um Aducanumab, eine Substanz, die lösliche Oligomere (Moleküle die aus mehreren gleichen oder ähnlichen Einheiten bestehen) und Ablagerungen des Proteins Beta-Amyloid binden sollte. In Tierexperimenten ließ sich damit das Fortschreiten der Erkrankung verhindern.
Doch zwei im Jahr 2016 von dem US-Unternehmen Biogen und dem japanischen Pharmakonzern Eisai gemeinsam gestartete klinische Studien wurden wegen fehlender Aussicht auf eine signifikante positive Wirkung vorzeitig abgebrochen. Die Nebenwirkungen (am häufigsten sollen Kopfschmerzen und angeblich meist symptomlose, sich von selbst zurückbildende Hirnödeme gewesen sein) seien hingegen nicht der Grund für das Scheitern gewesen.
Wie das Deutsche Ärzteblatt berichtet, soll eine neue Bewertung der Daten aus den abgebrochen Studien zu einer Kehrtwende geführt haben. Demnach sollen die Forscher des Unternehmens Biogen nun doch zum dem Schluss gekommen sein, dass Aducanmab das Fortschreiten der Krankheit bremsen kann – dann, wenn es in hohen Dosen und bereits in einem ausreichend frühen Stadium gegeben wird. Laut Deutschem Ärzteblatt planen Verantwortliche von Biogen, bei einem Kongress in San Diego Anfang Dezember weitere Details zur neuen Analyse zu präsentieren. Das Unternehmen habe bereits zu den Zulassungsbehörden für Arzneimittel in den USA aufgenommen.
Alzheimer: Mit Musik Erinnerungen wecken
Wirkstoffe sollen Alzheimer aufhalten: An der Uniklinik Frankfurt laufen mehrere klinische Zulassungsstudien zu Alzheimer. Doch auch diese Medikamente helfen nur in einem frühen Stadium der Krankheit.