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Antibiotika-Resistenz: Bakterien gefährlich wie Viren - Wissenschaftler machen Entdeckung

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Von: Pamela Dörhöfer

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Bakterien passen sich an und entwickeln Resistenzen gegen Antibiotika. Viele Mittel werden so wirkungslos. Das kann für den Menschen sehr gefährlich sein. Ein Münchner Wissenschaftler sucht eine Alternative.

In Zeiten der Corona-Krise richtet sich die Aufmerksamkeit vor allem auf Viren als Erreger von Infektionskrankheiten. Doch Wissenschaftler mahnen seit langem, auch die von Bakterien ausgehende Gefahr nicht zu vernachlässigen. Gerade in den reichen Ländern schien sie gebannt zu sein, nachdem Alexander Fleming 1928 das Penicillin entdeckt hatte und seit Ende des Zweiten Weltkriegs immer mehr Antibiotika entwickelt wurden.

Antibiotika-Resistenz: 33.000 Menschen sterben jährlich an Folgen von Infektionen mit resistenten Erregern

Gefürchtete Infektionskrankheiten wie die Tuberkulose oder die Cholera waren mithilfe dieser Medikamente nun auf einmal zu behandeln. Doch viele Bakterien haben sich angepasst und Resistenzen gegen Antibiotika gebildet. Viele der einst so potenten Mittel sind stumpf und wirkungslos geworden. Allein in der Europäischen Union erkranken jedes Jahr rund 670 000 Menschen an Infektionen, die von solchen resistenten Erregern ausgelöst werden, etwa 33.000 sterben an den Folgen.

Seit Jahren suchen Forscher nach neuen Antibiotika – oder eben auch gänzlich anderen Wegen, um krank machende Bakterien auszuschalten. Zwar gibt es immer wieder Meldungen aus der Grundlagenforschung, die Hoffnung machen. Doch der große Durchbruch, der es bereits in die klinische Anwendung geschafft hätte, ist bisher noch nicht gelungen. Wenn es Neuerungen auf den Markt geschafft haben, so waren es meist Verbindungen, die aus bereits existierenden Antibiotika abgeleitet wurden.

Antibiotika-Resistenz: Münchner Forscher gewinnt „Future Insight Prize“

Gleich mehrere innovative Strategien gegen multiresistente Erreger verfolgt derzeit eine Arbeitsgruppe um Stephan Sieber von der Technischen Universität München. Für seine Forschung zur Überwindung von Antibiotika-Resistenzen hat der 44 Jahre alte Professor der Chemie am Montag den „Future Insight Prize“ des Darmstädter Wissenschafts- und Technologieunternehmens Merck erhalten. Die mit einer Million Euro dotierte Auszeichnung wurde zum zweiten Mal vergeben. Ziel des „Future Insight Prize“ ist es laut Merck, ambitionierte Forschungsprojekte aus den Bereichen Gesundheit, Ernährung und Energie zu fördern und damit die Entdeckung „bahnbrechender“ wissenschaftlicher Erkenntnisse oder die Entwicklung von Schlüsseltechnologien anzuschieben.

Prof. Dr. Stephan A. Sieber.
Prof. Dr. Stephan A. Sieber. © Astrid Eckert

Sieber und sein Team erhalten das Preisgeld vor allem für ihre Arbeit an einem bestimmten Wirkstoff. Er hat die etwas sperrige Bezeichnung PK150. Bei dieser Substanz handelt es sich um ein sogenanntes „Small Molecule“, einen Stoff mit niedriger Molekülmasse, der in der Lage sein soll, multiresistente Keime unschädlich zu machen. Die Münchner Wissenschaftler gehen bei ihrer Suche nach antibakteriellen Substanzen verschiedene Wege. Der Ansatz, der sie zu PK150 führte, war es, bei bereits existierenden Stoffen nach geeigneten Kandidaten Ausschau zu halten.

Antibiotika-Resistenz: Wirkungsweisen finden, die nicht auf klassischen Antibiotika beruhen

In den Blick nahmen die Forscher unter anderem Inhibitoren (Hemmstoffe), die in humanen Zellen gegen Enzyme aus der Klasse der Kinasen wirken, erklärt Stephan Sieber. Kinasen spielen bei vielen Prozessen nicht nur im menschlichen Körper, sondern auch bei Bakterien eine wichtige Rolle. Die Wissenschaftler sehen in ihnen eine mögliche neue Angriffsfläche, um die Mikroorganismen zu attackieren: „Es geht darum, Wirkweisen zu finden, die nicht auf den klassischen Antibiotika beruhen“, erläutert Sieber. Antibiotika verfügten nur über ein „limitiertes Set“ an Angriffszielen bei Bakterien. Dazu gehören die Zellwandsynthese, die DNA-Synthese und die Proteinbiosynthese. Zwar gibt es viele verschiedene Antibiotika, natürliche ebenso wie synthetische, doch sie alle basieren auf einer begrenzten Zahl von Wirkmechanismen. „Deshalb ist es so wichtig, nach neuen Zielen zu suchen“, sagt Sieber.

Zur Person

Stephan Sieber (44) ist Professor der Chemie. Er forscht an der TU München zur Überwindung von Antibiotika- Resistenzen. A. Eckert/TU Muenchen

Beim Durchforsten von kinasehemmenden Arzneistoffen wurden die Forscher schließlich fündig bei einem Krebsmittel: Es heißt Sorafenib und wird unter anderem bei fortgeschrittenem Nieren- und Leberkrebs eingesetzt. Siebers Team entwickelte synthetische Variationen dieses Stoffes, „die nicht mehr stark verwandt mit dem ursprünglichen Mittel waren, aber eine wesentlich verbesserte antibiotische Wirksamkeit aufwiesen.“

Antibiotika-Resistenz: Kleiner Teil von Bakterien kann im Körper überleben - und wieder aktiv werden

Überraschenderweise zeigten Studien zum Wirkmechanismus, dass nicht Kinasen, sondern der Energiemetabolismus sowie die Proteinsekretion der Bakterien durch PK150 attackiert werden. Die Forscher testeten anschließend PK150 gegen eine Referenzbibliothek des Robert-Koch-Instituts, bestehend aus rund 100 klinischen Isolaten des methicillinresistenten Staphylococcus aureus, dem berüchtigten Krankenhauskeim MRSA. Das Ergebnis: „PK150 wirkte gegen all diese Keime ohne Einbußen in der Aktivität.“ Und auch sogenannte Persister haben auf PK150 angesprochen. Von Persistern spricht man, wenn bei einer Infektion ein kleiner Teil der Bakterien auch nach einer scheinbar erfolgreichen Antibiotikatherapie überlebt und im Körper verbleibt. „Sie verfallen in einen Ruhezustand und wachsen nicht“, erläutert Sieber. „Das macht es extrem schwierig, sie zu bekämpfen.“

Für Patienten sieht es zunächst so aus, als sei die Erkrankung überwunden. Doch wenn das Immunsystem kurzzeitig geschwächt ist, können diese „Schläfer“ wieder aktiv werden und die Infektion flammt erneut auf. Bislang sind nur wenige Antibiotika gegen solche Persister wirksam. Zudem, so Sieber, sei PK150 auch in der Lage, Biofilme aufzulösen – also auf Oberflächen gebundene und durch eine Hülle geschützte Bakterien, die Wirkstoffen das Eindringen in die Keime erschweren.

Antibiotika-Resistenz: Entwicklung dauert noch drei bis vier Jahre

Noch befinden sich die Wissenschaftler mit der Forschung an PK150 in einer frühen Phase. Sie ist geprägt von pharmakologischen Analysen, Untersuchungen zur Wirksamkeit und Toxizität der Substanz. Erste Versuche mit Mäusen sahen vielversprechend aus, sagt Sieber. Ob es sich jedoch auch bei Menschen so verhält, sei zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht einzuschätzen. Der Chemiker geht davon aus, dass es noch etwa drei bis vier Jahre dauern wird, bis PK150 in einer klinischen Studie erprobt werden kann. „Bis dahin sind noch viele Rückschläge möglich. Das Preisgeld hilft uns, diese schwierige Phase zu überstehen.“

Antibakterielle Stoffe sind schwierig und teuer in der Entwicklung, bringen Pharmaunternehmen aber in der Regel nicht so viel Umsatz wie Medikamente, die dauerhaft eingenommen werden müssen, etwa Blutdrucksenker. Für viele Firmen ist die Forschung an Medikamenten gegen Infektionen deshalb wenig attraktiv und finanziell riskant. „Vielleicht müsste die Politik ein anderes Anreizsystem schaffen, damit sich die Entwicklung von solchen Mitteln lohnt“, sagt Sieber.

Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt: „Durch Corona merken viele Menschen, dass Infektionskrankheiten uns eben doch noch gefährlich werden können.“ Stephan Sieber sieht in Bakterien ein ähnliches Bedrohungspotenzial wie in Viren: „Die Gefahr kommt langsamer auf die Menschen zu als jene durch neue Viren. Doch die Auswirkungen werden heftig sein, wenn wir in den nächsten Jahren nicht in der Lage sind, neue Wege zu gehen. Bakterien sind so anpassungsfähig wie Viren. Bereits bekannte Bakterien können weiter mutieren und ihre Eigenschaften verändern. Irgendwann kann es dazu kommen, dass auch die Antibiotika, die uns jetzt noch zur Verfügung stehen, nicht mehr wirken.“

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