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Russland kollabiert in Zeitlupe

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Von: Stefan Scholl

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Gazprom-Zentrale in Berlin
Besonders Gazprom leidet unter der russischen Wirtschaftskrise. © dpa

Moskaus Propaganda suggeriert, es sei alles nicht so schlimm. Doch es wird immer klarer, dass die Rohstoffexportwirtschaft und damit der Staatshaushalt in Schieflage geraten.

Nichts habe sich geändert, versicherte ein Gazprom-Mitarbeiter im westsibirischen Nowy Urengoj der Agentur Reuters. „Wir hatten vergangenes Jahr zwei Lohnerhöhungen.“ Aber nach einem Jahr Wirtschaftskrieg gegen den Westen ist Gazprom wie auch der russische Staatshaushalt in Schwierigkeiten geraten. Russlands Rohstoffexportwirtschaft droht langsam aber sicher in die Schräglage zu rutschen.

Wladimir Putins Versuch, Europa in diesem Winter „weich zu frieren“, hatte schon bis Ende 2022 einen Einbruch der Gasexporte in die EU um 80 Prozent zur Folge. Russlands Gasproduktion sank vergangenes Jahr um zwölf Prozent. Und im Januar sind laut Reuters die Gewinne des Staatskonzerns Gazprom gegenüber dem ersten Monat 2022 von 6,3 Milliarden Dollar auf 3,4 Milliarden Dollar gefallen.

Insgesamt sanken im Januar nach Angaben des russischen Finanzministeriums die Staatseinnahmen durch Gas- und Ölexporte gegenüber dem Vorjahresjanuar um 46 Prozent auf 426 Milliarden Rubel (5,3 Milliarden Euro). Auch deshalb entstand schon im ersten Monat 2023 ein Haushaltsdefizit von 1,76 Billionen Rubel (knapp 22 Milliarden Euro).

„Man kann ein Wettbüro für die Ökonomen aufmachen“

Und die Zeitung Iswestija schreibt unter Berufung auf das staatliche Portal Elektronny Bjudschet, das Defizit sei bis Ende Februar auf 3,96 Billionen Rubel (49,4 Milliarden Euro) gewachsen. Es hat damit die für das gesamte Jahr kalkulierte Maximalfehlsumme schon um über 1,1 Billionen Rubel (13,7 Milliarden Euro) überschritten.

Finanzminister Anton Siluanow versicherte dieser Tage dem Sender Russia Today, man habe im Januar und Februar insgesamt fünf Billionen Rubel (62,3 Milliarden Euro) Steuern eingenommen. Aber viele Experten glauben dem amtlichen Verlautbarungsoptimismus nicht mehr. „Man kann ein Wettbüro für die Ökonomen aufmachen, die auf das Defizit am Ende des Jahres wetten wollen“, sagt der Moskauer Wirtschaftswissenschaftler Igor Lipsiz. „Die einen reden von vier, die anderen von fünf Billionen. Russland hat seine Haushaltsstabilität verloren, Armut droht.“ 60 Prozent der Bevölkerung ernähre der Staatshaushalt, 2023 gäbe es noch Reserven, aber 2024 müsse man mangels Geld die Ausgaben für Bildung, Medizin und Sozialhilfe kürzen.

Laut Lipsiz hat der Staat die Geldmasse schon vergangenes Jahr klammheimlich um 24 Prozent erhöht. Noch ohne sichtbare negative Folgen. Aber um eine Inflation zu verhindern, muss die Wirtschaft wieder Öl- und Gas zu hohen Preisen exportieren, also die westlichen Sanktionen umgehen. Das ist bisher nicht gelungen. Zwar gilt es als offenes Geheimnis, dass vor allem asiatische Kunden trotz des westlichen Preisdeckels von 60 Dollar russisches Rohöl auch für 70 bis 80 Dollar pro Barrel kaufen. Aber offenbar lassen viele Exportfirmen einen Großteil dieser Marge auf eigene Konten verschwinden, so dass der Staat leer ausgeht.

Neue Kundschaft im Kongo und in Afghanistan

Dazu kommt der seit Februar geltende Preisdeckel für Benzin und andere Ölprodukte. Er ist noch unangenehmer, weil China und Indien, die jetzt viel russisches Rohöl kaufen, selbst Benzin exportieren. Das finnische Zentrum für Energieforschung CREA sagt Russland deshalb tägliche Verluste von 280 Millionen Euro voraus. Moskau selbst will ab März seine Ölförderung um 500 000 Barrel täglich drosseln.

Gazprom hofft auf China als Großabnehmer. Aber um das weggebrochene Europageschäft zu kompensieren, bräuchte es eine zusätzliche, jahrelang zu bauende Pipeline quer durch Sibirien. Und nach Ansicht von Analytikern zahlten die Chinesen Gazprom 2022 nur 270 Dollar pro 1000 Kubikmeter Gas, ein Bruchteil der EU-Marktpreise, die zeitweise weit über 1000 Dollar lagen. Immerhin, nach russischen Presseangaben finden sich neue Kunden. So wird Moskau im Kongo eine neue Ölpipeline verlegen und den Taliban in Afghanistan Benzin verkaufen. Obwohl diese anfangs mit Trockenfrüchten bezahlen wollten.

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