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„Wir hätten daraus lernen müssen“

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Von: Joachim Wille

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Zeremonie zum Baubeginn der Nord-Stream-Pipeline nahe St. Petersburg im Jahr 2010. Die Inbetriebnahme liegt nun auf Eis.
Zeremonie zum Baubeginn der Nord-Stream-Pipeline nahe St. Petersburg im Jahr 2010. Die Inbetriebnahme liegt nun auf Eis. © dpa

Der Energie-Experte Hans-Josef Fell über Versäumnisse der deutschen Energiepolitik, die starke Abhängigkeit von russischem Gas - und was nun dagegen zu tun ist.

Durch den Krieg in der Ukraine verschärft sich die Energiekrise. Was ist die richtige Antwort darauf? Die Bundesregierung müsse nun den Ausbau der Öko-Energien noch stärker beschleunigen, fordert der Energieexperte Hans-Josef Fell.

Herr Fell, Deutschland ist in einer Energiekrise ohne Beispiel, hohe Spritpreise, rekordteures Erdgas und nun die Gefahr, dass Hauptlieferant Russland als Reaktion auf die Sanktionen des Westens den Hahn abdreht. Ausweglos?

Energie ist häufig als politische Waffe eingesetzt worden, beginnend mit der Opec-Ölkrise 1973. Russland hat 2010 schon einmal den Erdgas-Hahn für ganz Südost-Europa abgedreht, und die Menschen haben gefroren in ihren Wohnungen. Wir hätten daraus lernen müssen, die Warnungen waren da. Tatsächlich wurde die Abhängigkeit von russischem Erdgas noch erhöht, statt sie zu senken. Wir haben uns mit der westlichen Welt generell in die Hand der Lieferanten der fossilen Energien begeben, auch bei Öl und Kohle. Das lässt uns kaum Handlungsspielräume, steigenden Energiepreisen entgegenzutreten und politisch unabhängig zu entscheiden.

Was kann denn getan werden, um die Erdgas-Krise schnell zu entschärfen? Mehr Gas aus Norwegen oder den Niederlanden, LNG-Flüssiggas aus den USA?

Kurzfristig kann man nicht viel machen. Die Niederlande, die einmal der Hauptlieferant für Deutschland waren, können nicht einspringen. Dort gibt es Erdbeben und Gebäudeschäden durch das Leerwerden der Gasfelder. Norwegen ist fast am Anschlag, kann allenfalls kleine Mengen zusätzlich liefern. In den USA ist es ähnlich. Sie könnten zwar mehr nach Europa umlenken, dann bekommen andere Abnehmer weniger. Das Problem ist: Der Kuchen wird insgesamt nicht größer. Die globale Energienachfrage ist sehr stark angestiegen, man kann zwar umschichten, aber das bringt keine generelle Entspannung.

Waren solche Verwerfungen auf den Energiemärkten absehbar?

Natürlich waren sie das. Wir diskutieren zum Beispiel seit Jahren darüber, dass „Peak Oil“ droht. Doch die offizielle Politik hat das nicht ernst genommen. Verknappungstendenzen gibt es auch bei Kohle und Erdgas, zwar nicht so stark, aber der Aufwand, die verbleibenden Reserven zu fördern, steigt an.

Was bleibt also? Heizung runterdrehen?

Innerhalb des fossilen Systems ist keine zufriedenstellende Lösung möglich. Länder, wie Deutschland, die finanzstark sind, werden höhere Preise zahlen und so die nötigen Energiemengen bekommen. Ärmere Länder werden das Nachsehen haben. Entscheidend ist es nun, die Abhängigkeit von den fossilen Rohstoffen so schnell wie möglich zu senken – und das heißt: Schnell in die erneuerbaren Energien und die Energie-Einsparung zu investieren. Das ist die Lösung, die allerdings in den letzten 16 Jahren unter Kanzlerin Merkel missachtet wurde. Das rächt sich nun bitterböse.

Kurzfristig bringt das aber auch keine Lösung.

Richtig. Aber in drei, vier Jahren lässt sich da sehr viel tun. Der Ausbau der Erneuerbaren kann wieder auf ein Niveau gebracht werden wie zuletzt 2012, als wesentlich mehr Leistung hinzukam als 2021. Zudem muss in Speicher investiert und die Flexibilisierung des Stromverbrauchs erhöht werden. Ein wichtiger Schritt wäre, die Abhängigkeit vom Erdgas in der Stromproduktion zu verringern. Man kann die vorhandenen Biogas-Anlagen ohne großen Aufwand so umrüsten, dass sie den Strombedarf zu Zeiten abdecken helfen, wenn Sonne und Wind wenig liefern. Bereits bis Mitte des Jahrzehnts könnten wir rund 80 Prozent unseres Strombedarfs durch Öko-Energien decken und gegen 2030 gar 100 Prozent.

Zur Person

Hans-Josef Fell ist Präsident der Energy-Watch-Group, einem internationalen Think Tank aus Wissenschaftler:innen und Parlamentarier:innen. Er war von 1998 bis 2013 Grünen-Bundestagsabgeordneter und einer der Initiatoren des Erneuerbare Energien-Gesetzes, das weltweit kopiert wurde. jw

Nun will die Ampel-Bundesregierung aber neue Erdgaskraftwerke bauen, um Atom- und Kohleausstieg abzufedern.

Das war von vorneherein die falsche Strategie. Erstens ist Erdgas keine klimafreundliche Energie. Es kann sogar bis zu 30 Prozent klimaschädlicher als Kohle sein, wenn es mit Fracking gewonnen wird und als LNG geliefert wird. Zweitens machte es schon vor dem Ukraine-Krieg keinen Sinn, sich noch abhängiger von Russland zu machen. Das jetzt weiterzuverfolgen, wäre völlig abwegig.

Besser, die Abschaltung der restlichen drei AKW und der Kohlemeiler zu verschieben?

Das ist auch keine Lösung. Um die AKW länger laufen zu lassen, müssten sie sicherheitstechnisch für viel Geld nachgerüstet werden, und ein späteres Abschalten der Kohle verbietet sich aus Klima- und Umweltgründen. Das Geld muss in den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Speicher gesteckt werden. Hier haben wir die großen Potenziale. Hätten die Merkel-Regierungen den Boom der Erneuerbaren nicht seit 2012 Stück für Stück abgewürgt, könnten wir heute schon 100 Prozent Ökostrom haben. Auf diesen Pfad müssen wir zurückfinden.

Bis wann wäre eine Umstellung auf ein reines „grünes“ Energiesystem machbar?

Mit großen Anstrengungen können wir sogar die Umstellung der Gesamtenergieversorgung bis 2030 schaffen. Wir haben das in der Energy Watch Group, deren Präsident ich bin, in einer Studie durchgerechnet. Den Hauptbeitrag werden Sonne und Wind liefern, aber auch die Biomasse, die Wasserkraft und die Geothermie haben noch Potenziale, die ökologisch ausgebaut werden können. Ergänzt wird das durch Speichertechnologien wie Batterien, Wasserstoff-Speicher, Pumpspeicher und Wärmespeicher. Das Ganze wird digital gesteuert, so dass das Stromsystem weiter so stabil ist wie heute.

Wäre das überhaupt bezahlbar?

Natürlich. Erneuerbare liefern die Energie billiger als neue Erdgas- oder Atomkraftwerke, selbst inklusive Speichern. Hinzu kommt: Die nötigen Investitionen sind leichter finanzierbar als die steigenden Preise der fossilen Energien, die die Privathaushalte und die Industrie erdrücken. Es gibt so viel privates Kapital, das auf Bankkonten liegt und keine Zinsen abwirft. Dieses für die Erneuerbaren, gerade auch als Bürgerenergie in Genossenschaften, zu mobilisieren, hätte enorme Wohlfahrtseffekte. Das muss von der Politik angereizt werden. Sie muss aber auch mehr Unterstützung für eine Erneuerung der industriellen Basis geben. Wir brauchen neue Fabriken für Solarzellen, Batterien, Elektroautos, Wärmepumpen und andere Technologien, gerade auch in Deutschland. Das bringt auch viele Jobs und neue Einkommensmöglichkeiten

Würde dieser Erneuerbaren-Turbo denn von der Bevölkerung akzeptiert? Siehe Windkraft-Proteste.

Die Zustimmungsraten zum Ausbau der Erneuerbaren liegen seit vielen Jahren bei 80 Prozent oder mehr. Das ist viel höher als bei Atom, Kohle oder Erdgas. Wenn das keine Grundlage ist, was dann?

Interview: Joachim Wille

Energie-Experte Hans-Josef Fell.
Energie-Experte Hans-Josef Fell. © privat

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