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Wettanbieter vor Gericht

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Von: Pitt von Bebenburg

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Jetzt legal: Seit Juli 2021 hat der Wettanbieter Tipico eine Lizenz für Deutschland.
Jetzt legal: Seit Juli 2021 hat der Wettanbieter Tipico eine Lizenz für Deutschland. © Fabian Bimmer/dpa

Jahrelang lockten Anbieter mit illegalem Glücksspiel im Internet. Nun spezialisieren sich Kanzleien darauf, das verlorene Geld für Geschädigte zurückzuholen.

Wer nicht besonders großes Glück hat, der verliert beim Zocken in der Regel viel Geld. Manche Menschen setzen innerhalb kurzer Zeit, zusätzlich verlockt durch den Auftritt von Größen des Sportgeschäfts, Tausende Euro bei Online-Sportwetten oder in Online-Casinos.

Die Anbieter, die dieses Geld kassiert haben, taten das jahrelang ohne Lizenz für Deutschland. Und damit illegal, wie immer mehr Gerichte bundesweit entscheiden. Für die Spielerinnen und Spieler heißt das: Es gibt Geld zurück. Oft viel Geld. Und zwar mit zusätzlichen Zinsen.

Anwaltskanzleien in der ganzen Republik haben sich darauf spezialisiert, die Veranstalter des illegalen Spiels zu verklagen. Die Spielerinnen und Spieler, die früher der Werbung der Anbieter erlegen sind, werden von Anwältinnen und Anwälten umworben. Denn auch im Geschäft mit dem Recht geht es um viel Geld. Der Deutsche Sportwettenverband, in dem die wichtigsten Anbieter zusammengeschlossen sind, wollte zu den „komplexen Verfahren“ keine Stellungnahme abgeben, da er kein Beteiligter in den Prozessen sei.

Spieler erhält gut 450.000 Euro zurück

Erfolgreich geklagt hat zum Beispiel ein Spieler aus Baden-Württemberg, der gegen das Unternehmen Tipico vor das Landgericht Heilbronn zog und im Januar Recht bekam, mit Unterstützung des Stuttgarter Anwaltsportals Chargeback24 und der HFS Rechtsanwälte aus Ludwigsburg. Der Verwaltungsangestellte hatte jahrelang auf Sportereignisse gewettet, zunächst nur auf Fußballspiele, später auch auf Begegnungen im Tennis und Basketball. Dafür musste er nicht einmal in einen Sportwetten-Laden gehen, sondern schloss die Wetten vom heimischen Computer oder vom Smartphone aus ab.

Von April 2014 bis Oktober 2020 setzte der heute 34-jährige Mann ein kleines Vermögen ein – knapp eine halbe Million Euro. Der größte Teil des Geldes stammte aus einer Erbschaft, wie das Anwaltsportal vermeldete. „Da ich auf einen Schlag recht viel Geld zur Verfügung hatte, ist es auf Anhieb in die Sucht gekippt“, wird er zitiert.

Die Gewinne konnten mit den eingesetzten Summen nicht mithalten. Von Tipico bekam der Spieler gut 109 000 Euro überwiesen. Er forderte daraufhin genau 377 431 Euro und 58 Cent von dem Veranstalter des illegalen Wettspiels zurück – und bekam Recht. Daneben muss Tipico ihm fast 77 000 Euro an Zinsen erstatten – und auch noch die Kosten des Rechtsstreits tragen.

Vergeblich hatte sich das Unternehmen vor Gericht darauf berufen, dass das Angebot der Online-Sportwetten von den Behörden geduldet worden sei. Man sei davon ausgegangen, dass das Veranstalten von Sportwetten erlaubt gewesen sei. Im Übrigen habe der Tipper freiwillig mitgespielt und Chancen auf Gewinne gehabt.

Das Gericht wies jedoch darauf hin, dass das beklagte Unternehmen zum Zeitpunkt der Wetten „unstreitig“ nicht über die notwendige Konzession verfügt habe. „Auch eine etwaige Duldung durch staatliche Behörden würde das Verbotsgesetz nicht außer Kraft setzen und ist mithin nicht erheblich“, so der Richter. Es spiele auch keine Rolle, wenn das Angebot später durch die Erteilung einer Lizenz legal gewesen sei, „weil daraus keine Heilung der in der Vergangenheit abgeschlossenen Verträge erwächst“.

Die massive Werbung für seine Angebote, etwa mit dem früheren Fußball-Torwart und heutigen Bayern-München-Funktionär Oliver Kahn, gerät Tipico jetzt zum Nachteil. Auch wegen „der Medienpräsenz unter anderem mit bekannten Persönlichkeiten musste für einen durchschnittlich informierten und verständigen Betrachter der Eindruck entstehen, die veranstalteten Sportwetten seien im Einklang mit der Rechtsordnung“, stellte das Heilbronner Gericht fest.

Chronik der Lizenzen

Im Oktober 2020 gab es erstmals bundesweite Lizenzen für Online-Sportwetten. Ein Versuch aus dem Jahr 2012, Lizenzen zu vergeben, war gescheitert. Die Anbieter hatten sich erfolgreich gegen eine quantitative Begrenzung der Erlaubnisse gewehrt.

Seit Juli 2021 können auch Online-Casinos Lizenzen für den ganzen deutschen Markt erwerben. Die ersten Lizenzen wurden im April 2022 vergeben.

Am 1. Januar 2023 nahm eine neue Behörde ihren Betrieb in Halle auf, die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder (GGL). Sie vergibt die Lizenzen und soll dafür sorgen, dass die Regeln etwa für den Spielerschutz eingehalten werden.

Schleswig-Holstein hatte zuvor einen Sonderweg eingeschlagen. Es legalisierte 2011 als einziges Bundesland das Online-Glücksspiel. Das führte dazu, dass Anbieter mit Lizenz in Schleswig-Holstein bundesweit für ihre Angebote warben, die auch jenseits der Landesgrenzen erreichbar waren. pit

Nicht immer geht es um so viel Geld. Der in Heilbronn entschiedene Fall sei von den bereits entschiedenen Fällen, die Chargeback 24 vertreten habe, derjenige mit der höchsten Summe, für den es bisher ein Urteil gebe, sagt der Gründer des Portals, Florian Friederich. Im Schnitt hätten die Mandantinnen und Mandanten gut 43 000 Euro verloren.

„Männer glauben zum überwiegenden Teil tatsächlich, dass sie gewinnen können“

Da mehrere Hundert Verfahren laufen oder bereits zugunsten der Spielerinnen und Spieler entschieden sind, dürften auf die Unternehmen Rückzahlungen mindestens in einer zweistelligen Millionensumme zukommen. Das ist nicht wenig, allerdings ins Verhältnis zu setzen zu den rund neun Milliarden Euro Umsatz, die die Branche im Jahr macht.

Männer verspielten deutlich häufiger ihr Geld als Frauen. Insbesondere Sportwetten seien eine Männerdomäne beobachtet Friedrich, während der Frauenanteil bei Casino-Spielen immerhin bei etwa 20 Prozent liege. Auch die Motivation unterscheide sich: „Frauen suchen eher Ablenkung von Alltagsproblemen oder Schicksalsschlägen. Männer glauben zum überwiegenden Teil tatsächlich, dass sie gewinnen können.“ Das sei aber ein Trugschluss: „Die Quoten sind so gestaltet, dass am Schluss der Anbieter so gut wie immer gewinnt“, stellt Friederich fest.

Als wegweisend gilt ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt aus dem April 2022. Es hatte die Berufung eines maltesischen Betreibers von Online-Casinos gegen einen Spruch des Landgerichts Gießen abgelehnt. Vergeblich hatte das Unternehmen vorgetragen, man könne „von einer aktiven Duldung des Glücksspiel-angebots“ durch die zuständigen deutschen Behörden ausgehen. Das Gericht wies dieses Argument in drastischen Worten zurück. Es handele sich „allenfalls um ein ,faktisches Vollzugsdefizit‘, weil den zahlreichen Verbotsverstößen und dem ,geschickten‘ Vorgehen der Rechtsbrecher nicht in dem Ausmaß und der Vollständigkeit beizukommen ist, wie dies vielleicht wünschenswert wäre“, hieß es in dem Urteil.

Zahlreiche Kanzleien werben um Spielerinnen und Spieler, die viel Geld beim Online-Spiel verloren haben, ohne dass die Anbieterfirmen über Lizenzen verfügten. Manche wie der Mönchengladbacher Rechtsanwalt Gerrit Hartung berichten, dass sie schon an Klagen wegen des Abgasskandals beteiligt gewesen seien und sich nun darum kümmerten, die Ansprüche von Geschädigten gegen Online-Casinos durchzusetzen. Jeden Tag komme eine Kanzlei hinzu, die sich jetzt auch mit dem Thema befasse, berichtet Chargeback-Sprecherin Sandra Dambacher-Schopf – vor allem Kanzleien, die schon mit Diesel-Klagen erfolgreich gewesen seien. „Die Klagewelle im Abgasskandal ebbt ja nun ab und viele Kanzleien versuchen jetzt bei der nächsten mitzuschwimmen“, erklärt Dambacher-Schopf.

Fachleute fordern Werbeverbot für Sportwetten

Dabei geht es um die Rechtslage der Vergangenheit. Seit zweieinhalb Jahren werden Sportwetten-Lizenzen vergeben. Anbieter wie Tipico können ihre Dienste nun legal betreiben, aber auch Bwin, Bet-at-home, Bet365, Tipwin und etliche andere gehören zu den rund 30 lizenzierten Unternehmen. Seit Mitte 2021 gibt es eine solche Regelung auch für Online-Casinos.

Für Spielsüchtige ist die Lage dadurch nicht besser geworden. Ein breites Bündnis hat sich daher zum Saisonbeginn der Fußballligen im vorigen Jahr zusammengeschlossen zum „Bündnis gegen Sportwetten-Werbung“. Unter der Schirmherrschaft des Suchtbeauftragten der Bundesregierung, Burkhard Blienert (SPD), dringen rund 50 Organisationen und Persönlichkeiten auf „die weitestgehende Einschränkung von Sportwetten-Werbung“, wie sie andere europäische Länder bereits vormachten.

Bei einer Anhörung im Hessischen Landtag hatten Fachleute schon vor zwei Jahren angemahnt, mit einem Werbeverbot für Glücksspiele auf die Legalisierung zu reagieren. „Bei Zigaretten hat es funktioniert. Das wünschen wir uns auch im Glücksspielbereich“, sagte Daniela Senger-Hoffmann von der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen.

Auch der 34-Jährige, der in Heilbronn die Rückzahlung seiner Einsätze durchsetzte, berichtet von seiner Erfahrung als Spielsüchtiger: „Ich war am Tiefpunkt, als ich mich im alltäglichen Leben einschränken musste, weil mir das Geld ausging.“ Immerhin hat er sich das Geld zurückholen können – anders als diejenigen, die heute noch wetten.

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