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Wer eine Grube gräbt ...

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Von: Thomas Borchert

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Rentierherde im nordschwedischen Jokkmokk - der dort geplante Eisenerz-Tagebau würde den Tieren ihre Wanderwege abschneiden.
Rentierherde im nordschwedischen Jokkmokk - der dort geplante Eisenerz-Tagebau würde den Tieren ihre Wanderwege abschneiden. © imago images/TT

Schwedens Regierung erteilt die Konzession für eine umstrittene Mine. Samische Rentierzüchter sehen dadurch ihre Lebensgrundlage bedroht und beklagen neues koloniales Unrecht.

Wer wird den schwedischen Streit über eine neue Eisenerzgrube mitten in Rentier-Revieren der indigen Samen wohl gewinnen: Die 19-jährige Klimaaktivistin Greta Thunberg mit ihrem Protest-Tweet gegen das „kurzsichtige, rassistische, kolonialistische und naturfeindliche“ Handeln der Regierung? Oder deren eine Generation ältere Wirtschaftsminister Karl-Petter Thorwaldsson mit seinem forschen: „Wir Sozialdemokraten lieben einfach Gruben. Es ist fantastisch, dass wir Erz und Minerale aus unseren Bergen fördern können.“

Vier Monate nach diesen Sätzen beim Amtsantritt hat Thorwaldsson jetzt die Konzessionsvergabe für einen Eisenerz-Tagebau in Kallak an eine Tochter des britischen Konzerns Beowulf Mining folgen lassen. Entschieden ist der seit knapp einem Jahrzehnt tobende Grundsatzkonflikt über die Kallak-Grube nördlich der Kleinstadt Jokkmokk damit aber längst nicht.

Zum einen, weil die Konzession vorerst nur für die Fortsetzung der Planung, nicht aber für den Abbau gilt und überdies an zwölf recht harsche Bedingungen geknüpft ist. Niemand weiß, ob die Betreiber eventuell darüber die Lust verlieren. Während andererseits vollkommen klar ist, dass die breite Protestbewegung – von den betroffenen Samen selbst über die protestantische Kirche in Schweden, Amnesty International, Fridays for Future hin bis zu Umweltinstituten, der UNESCO und zahlreichen Organisationen – für die Rechte indigener Völker weitermachen wird. Der Konflikt wurde international bekannt, als 2013 Aktivist:innen gegen die ersten Probebohrungen in Kallak ein Protestcamp errichteten, das von der Polizei recht handfest geräumt wurde.

Samen fürchten um ihre Existenzgrundlage

Handfest auch würde der hier knapp über dem Polarkreis geplante Tagebau die Rentierzucht als Existenzgrundlage der samischen Züchter massiv einschränken. Die natürlichen Wanderwege der halbzahmen Hirsche wären durch die Grube selbst und die dazugehörigen Transportgleise sowie -straßen versperrt. Umweltgefährdungen werden auch durch Schwermetalle und giftige Abfälle befürchtet.

Die umstrittene Mine Kallak in Nordschweden: In der Nähe der Kleinstadt Jokkmokk soll Eisenerz abgebaut werden.
Die umstrittene Mine Kallak in Nordschweden: In der Nähe der Kleinstadt Jokkmokk soll Eisenerz abgebaut werden. © FR/OpenStreetMap

Thorwaldsson macht dagegen geltend, dass die schwedischen Umweltstandards viel höher seien als in anderen Ländern und deshalb der Abbau von Eisenerz faktisch ein Beitrag Richtung „grüner Stahlerzeugung“. Die britische Betreibergesellschaft verspricht 300 direkte Arbeitsplätze und etwa 200 in deren Gefolge. Viel mehr als eine Handvoll wirtschaftlich negativ betroffener Rentierzüchter. Letztere sollen laut den zwölf Konzessionsbedingungen schadlos gehalten werden.

Das stellt die Protestbewegung absolut nicht zufrieden. Sie sieht hinter der Kosmetik von ein paar wohlklingenden Entschädigungsversprechen nackten Kolonialismus gegenüber den geschätzt 20 000 bis 40 000 im hohen schwedischen Norden lebenden Samen neu aufsprießen. Bis in die Stockholmer Regierung hinein ist ansonsten die eigene Verantwortung für das Unrecht an der Urbevölkerung mit Raub von Grund und Boden, kultureller Unterdrückung, sprachlicher Zwangsassimilierung und den anderen klassischen Elementen kolonialer Herrschaft akzeptiert. Seit 1. März gilt ein Gesetz, das der Interessenvertretung der Samen ein Konsultationsrecht in allen sie selbst betreffenden Fragen garantiert. Kulturministerin Jeanette Gustafsdotter sprach von einem „Meilenstein“ bei der Durchsetzung der Menschenrechte für das samische Volk.

Aufarbeitung kolonialen Unrechts

Dazu wollte nicht so recht passen, dass Gustafsdotter Parteikollege Thorwaldsson sich wenige Tage später geradezu damit brüstete, dass seine Regierung sich vor der Konzessionsvergabe mit überhaupt niemandem ins Benehmen gesetzt habe. So könne man nun unvoreingenommener miteinander diskutieren. „Respektlos“ nennt Jenny Wik Karlsson vom Reichsverband der Samen den Umgang mit den Betroffenen. Sie verweist im Online-Magazin „Altinget“ auf den Widersinn einer gerade mit ihrer Arbeit beginnenden staatlichen „Wahrheitskommission“ zur Aufarbeitung des kolonialen Unrechts an Samen. Wenn doch „die Übergriffe weitergehen“, sollte man sich vielleicht als Erstes das Jetzt vornehmen: „Entschuldigungen für die Vergangenheit sind nicht das, was unsere Samengemeinschaften jetzt am dringendsten brauchen.“ Warum wolle man für die nur auf 15 Jahre anvisierte Nutzungsdauer der Grube das Aus für das Kernstück einer indigenen Kultur in noch bedrohlichere Nähe rücken?

Thorwaldsson gesteht zu, dass es hier durchaus einen Interessengegensatz gebe. Aber seine Prägung ist eben eine ganz andere als die der Samen. Nach acht Jahren an der Spitze des in Schweden betont industriefreundlichen Gewerkschaftsdachverbandes LO heuerte der 57-Jährige als Berater beim Bergbaukonzern LKAB an. Bis 2021 Schwedens Grüne, strikte Gegner des Kallak-Projektes, die Koalition mit den Sozialdemokraten verließen. Damit war der Weg frei für Thorwaldsson als Wirtschaftsminister und seine sozialdemokratische Liebeserklärung an Gruben schlechthin.

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