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Zu wenig Hartz IV für Strom

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Von: Sabine Hamacher

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Manche behelfen sich mit einem Campingkocher.
Manche behelfen sich mit einem Campingkocher. © Imago

Sozialberaterin Ursula Saalmüller spricht im Interview mit der FR über Menschen, die von der Versorgung mit Elektrizität abgeschnitten werden.

Frau Saalmüller, wem wird der Strom abgestellt?
Es trifft sowohl Alleinstehende als auch Familien mit Kindern oder Ältere, die ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen sind und auf die Androhung der Stromsperre nicht reagiert haben. Gerade heute ruft mich eine Frau an, die ein dreijähriges Kind hat, und sagt: Der Strom ist abgestellt. Sie lebt von Arbeitslosengeld II und ist vor einiger Zeit in eine andere Wohnung umgezogen. Da gab es eine Schlussabrechnung, die aber an die alte Adresse geschickt wurde. Letzte Woche bekam sie eine Sperrankündigung, ist aber leider nicht sofort zu uns gekommen. Manche Menschen verfolgen eine Vogelstraußpolitik und denken: Wenn ich nichts mache, passiert vielleicht auch nichts. 

Das ist die falsche Taktik?
Die ist total falsch. Unser hiesiger Energieversorger, die MVV, sagt, er stellt nicht ab, wenn Kinder im Haushalt sind. Aber er weiß es natürlich nicht. Wäre die Frau mit der Sperrandrohung gekommen, hätten wir sofort Kontakt mit dem Energieversorger aufgenommen.

Kümmern sich die Versorger darum, ob die Stromsperre zumutbar wäre? 
Sie prüfen nicht, wem sie den Strom abstellen können und wem nicht. Es ist auch unsere Aufgabe in der Sozialberatung, das zu erkennen und Lösungen zu finden. 

Was war denn die Lösung für diese Frau?
In solchen Fällen kann das Jobcenter mit einem Darlehen einspringen. Ich habe ihr gesagt: Bitte gehen Sie hin, es ist unzumutbar, dass Ihnen der Strom abgestellt wird. Sie können nicht kochen, Sie haben kein warmes Wasser, kein Licht. Offenes Feuer mit einem kleinen Kind – das ist lebensgefährlich. Das Problem ist: Jetzt ist der Strom bereits abgestellt, damit wird es noch teurer, weil Öffnungskosten zur Beendigung der Stromsperre dazukommen, die auch wieder von ihrem Arbeitslosengeld II als Darlehen einbehalten werden. 

Das heißt, Ihr erster Rat ist, ganz schnell aktiv zu werden.
Auf jeden Fall. Gleich zu einer Beratungsstelle gehen. Wer sich an das Kundencenter des Energieversorgers wendet, bekommt dort die Kontaktdaten genannt. 

Was ist mit Prävention? 
Wir wissen ja nicht, wo die Notlagen sind. Aber wenn jemand in die Sozialberatung für Schuldner kommt, weil er Probleme mit Inkassobüros oder Banken hat, ist eine meiner ersten Fragen: Sind Miete und Strom bezahlt? Gibt es da Rückstände, Probleme? Wir müssen schauen, ob der Lebensunterhalt gesichert ist. Das ist das wichtigste. 

Wie lange dauert denn so eine Stromsperre?
Normalerweise müssen die Schulden beglichen sein, erst dann wird wieder angestellt. Es sei denn, es geht um einen pflegebedürftigen alten Menschen, Kleinkinder im Haushalt oder auch Kranke, die zum Beispiel ein Beatmungsgerät haben. In diesen Fällen geht es relativ schnell, aber auch dann müssen natürlich langfristige Lösungen gesucht werden. Für akute Fälle gibt es auch einen Nothilfefonds unseres Stromversorgers.

Für wen ist der gedacht?
Für Menschen, die unverschuldet in Not geraten sind. Das klassische Beispiel: Ich bekomme eine hohe Jahresabrechnung und kann die nicht begleichen. Wenn ich dagegen ein halbes Jahr meinen Strom nicht bezahlt habe, greift der Fonds nicht. Ich hatte gerade mit einer Frau zu tun, die eine Witwenrente bekommt. Sie ist umgezogen, nachdem ihr Mann verstorben war, und bekam eine Abrechnung aus der alten Wohnung. Ihre Bank buchte freudig die Kredite ab, und sie konnte die Rechnung einfach nicht bezahlen. Da stand die Stromsperre bevor. Weil es aber eine alte Abrechnung war, konnte der Nothilfefonds einspringen. In einem anderen Fall ging es um einen Mann mit einer psychischen Erkrankung. Da hat der Versorger gesagt, wir regeln das über den Nothilfefonds und stellen den Strom wieder an. 

Ist das auch ein Darlehen?
Nein. Aber die MVV ist einer der wenigen Energieversorger, die einen solchen Nothilfefonds eingerichtet haben.

Kennen Sie Härtefälle, wo wochenlang der Strom abgestellt blieb?
Die haben wir auch schon gehabt. Einen Mann habe ich mal darauf angesprochen, dass er ja schon seit Ewigkeiten ohne Strom sei. Darauf sagte der: Och, ich habe mich mittlerweile mit meinem Campingkocher eingerichtet. 

Auch nicht ungefährlich in geschlossenen Räumen …
… Nein, das habe ich ihm auch gesagt. Ein Kollege hat mal einen Mann beraten, der in einem Gartenhäuschen wohnte und vom Nachbarn gegen einen bestimmten Betrag das Kabel hinüber gelegt bekam. 

Kreativ. Viele Betroffene sind ja Hartz-IV-Empfänger. Sind die Sätze schlicht zu niedrig?
Ich denke ja. Der Anteil am Regelbedarf für einen Alleinstehenden beträgt für Wohnen, Energie und Wohninstandhaltung rund 37 Euro. Er ist aber längst nicht so gestiegen, wie die Strompreise gestiegen sind. Unsere Leute haben oft alte Geräte: den „Stromfresserkühlschrank“, die alte Waschmaschine – und wenn ich wenig im Schrank habe, wasche ich auch häufiger. 

Für neue, energiesparende Geräte ist kein Geld da. Das ist das Problem. Wir schauen dann, dass wir die Leute bei unserem Stromsparcheck anmelden. Der kommt kostenfrei ins Haus, guckt, wo gespart werden könnte und bringt zum Beispiel abschaltbare Steckdosen mit. Er gibt auch Zuschüsse für die Anschaffung energiesparender Geräte. Außerdem wohnen die Leute auch häufig in schlechter isolierten Wohnungen. Ich erinnere mich an eine Zweizimmerwohnung mit einem einzigen Gasofen in der Wohnküche. Die Zimmer der Kinder waren kalt, also wurde ein Heizlüfter gekauft – und die fressen Strom. 

Die hohe Zahl von Stromsperren in Deutschland ist schon lange bekannt. Was muss Ihrer Ansicht nach passieren?
Eine Möglichkeit wäre, mit der letzten Mahnung einen Hinweis zu verschicken, sich umgehend an das Kundencenter oder Beratungsstellen zu wenden. Eine andere Möglichkeit wäre ein System analog zu Wohnungsräumungen. Wenn ich mit meiner Miete im Rückstand bin, muss mein Vermieter eine Räumungsklage erheben. Da habe ich noch Chancen, etwas zu tun. Beim Stromversorger kommen drei Mahnungen, dann die Androhung der Liefersperre in etwa 14 Tagen, eine weitere Androhung drei Tage vor dem Termin und dann die Sperre. Das geht relativ schnell. Dabei ist Strom etwas ganz Essentielles. Ich kann mir nicht vorstellen, ohne Strom in meiner Wohnung zu sitzen.

Und wenn gleich das Jobcenter zahlen würde?
Wenn wir sehen, dass jemand Probleme hat, regen wir an, dass er seine Stromabschläge direkt überweisen lässt. Eine weitere Option ist, den Zahlungstermin auf den Monatsanfang zu legen, wenn Geld auf das Konto gekommen ist. In der alten Sozialhilfe wurden Miete und Strom meistens gleich abgezogen. Die Leute bekamen nur das aufs Konto, was sie zum Leben brauchten. Seit der Umstellung auf SGB II wird die Hilfe zur Selbsthilfe eingefordert. Nicht jeder ist aber in der Lage, dieser Eigenverantwortlichkeit gerecht zu werden. Manchmal wird ein Konto gepfändet, oder irgendeine Rechnung drückt ganz besonders. Wenn Menschen von Inkassobüros mit Schreiben bombardiert werden, löst das oft sehr viel Angst aus. Dann gerät der Strom hintendran. Und es gibt auch sehr viele Leute, die nicht im Hilfesystem sind und trotzdem sehr wenig Geld zum Leben haben.

Interview: Sabine Hamacher

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