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Wegen Lohnprotestes in Haft

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Von: Finn Mayer-Kuckuk

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Demonstration für den Leiharbeiter Fu Tianbo vor dem VW-Werk in Emden.
Demonstration für den Leiharbeiter Fu Tianbo vor dem VW-Werk in Emden. © Karsten Weber/Labournet

Fu Tianbo war Leiharbeiter von Volkswagen in China. Dann setzte er sich für faire Bezahlung ein. Das hatte zwar Erfolg, doch Fu sitzt für seinen Protest nun im Gefängnis.

Wie viel Einfluss hat der Volkswagen-Konzern auf seinen chinesischen Partner FAW? Wofür sind die Manager bereit, sich mit den Machthabern in China anzulegen, dem profitabelsten Automarkt der Welt? Die Freiheit eines einzelnen Leiharbeiters ist hier offenbar kein größeres Engagement wert. Fu Tianbo ist jedenfalls immer noch in Haft. Der einfache Arbeiter hatte es im vergangenen Jahr gewagt, einen Protest für gleiche Bezahlung zu organisieren. Die Polizei nahm ihn fest und verhörte ihn zunächst auf dem Werksgelände, bevor sie ihn mitnahm und in eine Zelle steckte. Seitdem bangen seine Kollegen und seine Familie um sein Schicksal. 

Der Fall Fu Tianbo ist typisch für die Lage in China. Die Machthaber dort hassen Lohnproteste und freie Gewerkschaften. Sie lassen nur eine Form der Arbeitervertretung zu: die Gesamtchinesischen Generalgewerkschaften unter dem Dach der Kommunistischen Partei Chinas (KPCH). Diese Megagewerkschaft hat mehr als 130 Millionen Mitglieder und ist vom Staat gesteuert. Im realen Sozialismus sei weiterer Schutz der Arbeiter überflüssig, behauptet die Partei. Schließlich regiere ja bereits das Proletariat. Doch die KPCH ist längst eine Organisation der Bosse. Wer höheren Lohn fordert, wer gar Kritik am Management übt, stört das System. Und macht sich strafbar.

VW hält sich für machtlos

Fu Tianbo war Leiharbeiter, also von einer Drittfirma an seinen Arbeitsplatz entsandt. Diese Beschäftigungsverhältnisse gelten überall auf der Welt als besonders unsicher. Auch in der nordostchinesischen Stadt Changchun – und auch bei der Firma FAW-VW, einem Gemeinschaftsunternehmen des Volkswagen-Konzerns mit dem chinesischen Staatsbetrieb FAW. VW gehören 40 Prozent daran, FAW 60 Prozent – das Unternehmen ist also chinesisch dominiert und spielt nach chinesischen Regeln. Gemeinsam bauten VW und FAW eines der größten Autowerke der Welt auf.

Die Stadt Changchun ist ein Moloch, eine wahre Industriehochburg. Am Stadtrand rosten Ruinen der schmutzigen Schwerindustrie aus der Mao-Zeit vor sich hin. Die Stadt ist immer noch viel zu häufig in Smog gehüllt. Hier liegt seit 1955 der Sitz von First Auto Works, dem ersten Kraftfahrzeugkombinat der Volksrepublik China. Damals rollten die ersten Modelle der robusten Lastwagen, die zu den Arbeitspferden der chinesischen Entwicklung wurden, vom Band. 

Sechzig Jahre später geht es FAW weiterhin gut. Eigentlich ein verkrusteter Staatsbetrieb, ist das Unternehmen zugleich ein Massenhersteller beliebter Autos. Dank VW. Denn die Deutschen produzieren in Changchun zusammen mit FAW den Golf, den Audi A3 und viele andere beliebte Modelle. Für beide Seiten ist die Fabrik eine Goldgrube.

Fu Tianbo und die anderen Leiharbeiter waren überzeugt, dass ihr Protest gleich mehrfach gerechtfertigt sei. Sie stellten fest, dass sie nur ungefähr die Hälfte des Stundenlohns der regulären Belegschaft erhielten. Doch sowohl das ab 2016 geänderte chinesische Arbeitsrecht als auch die „Charta der Zeitarbeit im Volkswagen-Konzern“ sehen im Wesentlichen gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit vor. 

Doch das ist nur Theorie. Wenn ein Arbeitskampf den mächtigen Funktionären der Staatsbetriebe nicht passt, dann sitzen sie am längeren Hebel. Fu und seine Kollegen verhandelten sieben Runden lang mit dem Management und zogen sogar vor Gericht – vergeblich. Dann organisierten sie einen Protest vor dem Werkstor. 

Wenig später folgte Fus Festnahme. Der konkrete Vorwurf lautet „Störung der öffentlichen Ordnung“ – ein Vergehen, das die Staatsmacht bemüht, wenn sie gegen Demonstranten vorgeht. Dennoch handelt es sich um eine konkrete Straftat nach chinesischem Recht. „Da es sich um den Vorwurf der Störung der öffentlichen Ordnung handelt, hat Volkswagen leider keine Möglichkeit, sich hier aktiv für den Arbeiter der Leiharbeitsfirma einzusetzen“, teilt ein VW-Sprecher der Frankfurter Rundschau mit. Nach der Festnahme von Fu hat Volkswagen zwar reagiert und die betroffenen Leiharbeiter zu fairem Lohn fest einstellen lassen. Doch für Fu konnte das Unternehmen angeblich nichts mehr tun.

Fus Fall ist nicht vergessen

Doch sein Fall ist nicht vergessen: 2500 Kilometer weiter südlich, in der Handelsstadt Hongkong, bangt ein anderer Arbeiteraktivist um Fus Schicksal. Han Dongfang ist 55 Jahre alt und leitet dort die Organisation China Labour Bulletin, die sich für bessere Arbeitsbedingungen in der Volksrepublik stark macht. Als 26-jähriger Arbeiter hatte Han es schon im Jahr 1989 gewagt, eine freie Gewerkschaft zu gründen und auf bessere Bezahlung zu pochen. 

Seine Gruppe marschierte bei den Tiananmen-Protesten mit – und fand sich nach deren blutiger Niederschlagung in der Rolle verfolgter Staatsfeinde wieder. „Der Fall Fu Tianbo ähnelt meinem insofern, als wir beide Arbeiter in großen Staatsbetrieben waren“, sagt Han. „Und die Arbeiter im Nordwesten haben weiterhin eine starke Identität als Arbeiterklasse, so wie wir sie damals hatten.“ Doch die Verhaftung Fus sei deutlich ungerechter. „Wir hatten damals durchaus politische Ambitionen, während es Fu und seinen Mitkämpfern wirklich nur um einen zum Leben ausreichenden Lohn geht.“

Han Dongfang appelliert an die für Volkswagen zuständigen Gewerkschaften und den Betriebsrat, sich weiterhin eindeutig für Fu einzusetzen. „Wir haben eine hochgradig verschränkte Weltwirtschaft, und was in Changchun passiert, tangiert auch die Anteilseigner des Volkswagen-Konzerns, darunter das Land Niedersachsen“, sagt der Hongkonger Aktivist. Eine Option könne sein, dass Betriebsratsvertreter darauf bestehen, Fu zu besuchen. „Es geht hier nicht um Politik“, betont Han. „Es geht aber um das Image von VW und das Wohlergehen seiner Mitarbeiter weltweit.“

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