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Wahl in Frankreich 2022: „Macron ist ein Mann des Kapitals“

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Von: Claus-Jürgen Göpfert

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Der französische Gewerkschafter André Hemmerle über die Chancen von Marine Le Pen, Frankreichs perspektivlose Jugend und die Entsolidarisierung unter Macron.

Paris – Am Sonntag entscheidet das französische Volk bei der Wahl in Frankreich 2022 zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen. Der amtierende Präsident holte im ersten Wahlgang 27,84 Prozent der Stimmen, seine rechtspopulistische Herausforderin 23,15 Prozent. Vor der Stichwahl spricht der französische CGT-Gewerkschafter André Hemmerle über den Kampf gegen die extreme Rechte, schlecht bezahlte Arbeitsplätze und die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien.

Nach dem ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen in Frankreich liegt Präsident Macron nicht sehr weit vor der rechtspopulistischen Kandidatin Le Pen. Mobilisieren die Gewerkschaften jetzt für den zweiten Wahlgang am 24. April für Macron, ruft die Gewerkschaft CGT zu seiner Wahl auf?

Das Wichtigste aus unserer Sicht ist: Keine Stimme für Le Pen! Der Faschismus darf in Frankreich nicht an die Regierung kommen. „Keine Stimme der Arbeitswelt für die extreme Rechte, sie muss überall bekämpft werden“, sagt die Erklärung der CGT. Ich persönlich halte nichts von Macron. Der Kapitalismus hat immer zwei Stahlstücke im Feuer: Das erste sind die Sozialdemokraten und die Rechte, das Zweite ist der Faschismus wie Le Pen und andere.

Präsident Emmanuel Macron bittet um die Wiederwahl: In Frankreich sei der Individualismus an der Macht, sagt der Gewerkschafter André Hemmerle.
Präsident Emmanuel Macron bittet um die Wiederwahl: In Frankreich sei der Individualismus an der Macht, sagt der Gewerkschafter André Hemmerle. © AFP

Wahl in Frankreich 2022 – Stichwahl zwischen Macron und Le Pen

Wie ist ihre politische Einschätzung von Macron?

Macron ist der Mann des Kapitals und der Bourgeoisie. Schauen wir uns seine Politik in den zurückliegenden Jahren an: Er hat die Vermögenssteuer abgeschafft und die Steuern auf Unternehmensprofite reduziert. Er hat die Mietbeihilfen für bedürftige Menschen gekürzt. Er hat die Rechte der Betriebsräte eingeschränkt. Sie haben jetzt weniger Möglichkeiten, gegen die Abschaffung von Arbeitsplätzen zu kämpfen.

Halten Sie es für möglich, dass Le Pen am 24. April gewinnt?

Ich glaube nicht, dass Le Pen siegt. Ich glaube an das französische Volk und seine Vernunft.

Zur Person

André Hemmerle arbeitet seit 1977 als Sekretär der kommunistischen Gewerkschaft CGT in Frankreich. Er gehört dem Bundesvorstand der CGT-Sparte Nahrungsmittel an, die mit der deutschen Gewerkschaft NGG (Nahrung, Genuss, Gaststätten) vergleichbar ist. Hemmerle arbeitet in Straßburg. Er ist mit einer Kollegin vom DGB Frankfurt zur Kundgebung am 1. Mai auf dem Römerberg in Frankfurt eingeladen worden.

Was wird geschehen, wenn sie wider Erwarten doch Erfolg hat?

Wenn Le Pen siegt, wird es große Demonstrationen auf der Straße geben. Sie hat in Wahrheit kein soziales Projekt, obwohl sie vorgibt, sich um die armen Menschen zu kümmern. Es wird sich schnell zeigen, dass sie eine Politik im Interesse des Kapitals betreibt.

Im ersten Wahlgang haben die Kandidat:innen der bürgerlichen Republikaner und der Sozialisten dramatisch schlecht abgeschnitten. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Ein großer Teil der Republikaner ist zu Macron gewechselt, ein kleinerer Teil auch zu Le Pen. Die Sozialisten haben sich noch nicht von den Folgen der Niederlage ihres Präsidenten Hollande erholt. Viele Franzosen hatten Hoffnungen in die Sozialisten gesetzt, sie haben große Hoffnungen geweckt, aber sie haben versagt. Sie haben eine rechte Politik gemacht. Viele Anhänger der Sozialisten haben den Linken Jean-Luc Melenchon gewählt oder aber Macron.

André Hemmerle arbeitet seit 1977 als Sekretär der kommunistischen Gewerkschaft CGT in Frankreich. Er gehört dem Bundesvorstand der CGT-Sparte Nahrungsmittel an, die mit der deutschen Gewerkschaft NGG (Nahrung, Genuss, Gaststätten) vergleichbar ist. Hemmerle arbeitet in Straßburg. Er ist mit einer Kollegin vom DGB Frankfurt zur Kundgebung am 1. Mai auf dem Römerberg in Frankfurt eingeladen worden.
André Hemmerle. © Privat

Zweite Wahl-Runde in Frankreich 2022 – Macron versus Le Pen

Glauben Sie, dass die Republikaner und die Sozialisten dauerhaft aus dem französischen Parteiensystem verschwinden werden?

Nein, für eine solche Einschätzung ist es zu früh. So etwas geht in Frankreich nicht so schnell. Beide Parteien können zurückkommen. Aber sie haben viel Vertrauen verloren in der Jugend. Viele junge Menschen in Frankreich vermissen eine Perspektive, sie finden nach ihrem Studium keine guten Arbeitsplätze mehr. Viele Arbeitsplätze sind abgebaut worden oder es gibt nur noch schlecht bezahlte, prekäre Arbeitsverhältnisse mit Ein-Jahres-Verträgen in der Wirtschaft.

Profitiert Le Pen von dieser Entwicklung?

Nein. Nicht viele junge Menschen wählen Le Pen. Sie wird von älteren Menschen gewählt, auf dem Land und in den Industrieregionen. Bei diesen Menschen verfängt die Hetze Le Pens gegen Migranten. Bei gut qualifizierten jungen Menschen nicht. Ein Beispiel: In meiner Heimatstadt Straßburg, einer Universitätsstadt mit vielen gut qualifizierten Menschen, lag der Linke Melenchon im ersten Wahlgang vorne.

Wahl in Frankreich 2022 – Stichwahl: Macron oder Le Pen?

Führt die Perspektivlosigkeit der Jugend dazu, dass viele junge Menschen Frankreich verlassen?

Nein, noch gibt es keine massenhafte Abwanderung. Aber einige gehen bereits, weil sie keine gute Arbeit mehr in ihrer Heimat finden.

Was sind die wichtigsten Forderungen ihrer Gewerkschaft für den zweiten Wahlgang am 24. April?

Zuallererst: Es müssen wieder mehr Arbeitsplätze in der Wirtschaft geschaffen werden. Es braucht eine Erhöhung des Lohnniveaus. Die Renten müssen verbessert werden. Das Eintrittsalter für die Rente muss wieder von 65 Jahre auf 60 Jahre gesenkt werden. Für Landarbeiter und andere Arbeitsplätze mit schwerer körperlicher Belastung fordern wir eine Rente ab 55 Jahre. Wir brauchen eine Trendwende in den Betrieben und eine Verlagerung unserer Industrien nach Frankreich.

Was ist damit gemeint?

Die Arbeitszeit muss auf 32 Stunden in der Woche im Durchschnitt gesenkt werden. Nur so können wieder mehr Arbeitsplätze entstehen, können wieder mehr Leute eingestellt werden. Und wir wollen die Industrie in Frankreich verteidigen. Das heißt: Schlüsselbranchen wie etwa die Energieerzeugung müssen verstaatlicht werden. Wir halten aber auch eine Verstaatlichung des Bankensektors für notwendig. In unserem Agrar- und Forstsektor fordern wir die Verstaatlichung von Unternehmen großer Konzerne wie Nestlé, Unilever, Danone und so weiter.

Wahl in Frankreich 2022 – Tat Macron der Wirtschaft gut?

Wie stark ist die Gewerkschaft CGT heute noch?

Wir haben Mitglieder verloren, weil viele Arbeitsplätze in den Betrieben verlorengegangen sind. Ich arbeite ja in der Nahrungsmittelbranche im Elsass. Allein hier sind zum Beispiel in den vergangenen 20 Jahren drei große Brauereien geschlossen worden. Die CGT hat aber in ganz Frankreich noch immer etwa 800.000 Mitglieder und ist damit die zweitgrößte Gewerkschaft Frankreichs.

Wie sehen Sie die weitere gesellschaftliche Entwicklung in Frankreich?

Leider hat in der Regierungszeit von Macron und seiner Vorgänger in aufeinanderfolgenden Regierungen die Individualisierung und die Entsolidarisierung in der Gesellschaft stark zugenommen. Der Individualismus ist an der Macht, viele denken zuerst an sich. Allerdings hat es in der Zeit der Corona-Pandemie auch eine Gegenbewegung gegeben. Die Menschen sind wieder näher zusammengerückt. Es gab viel Solidarität mit den Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten. Und Solidarität zeigt sich jetzt auch mit Geflüchteten aus dem Krieg in der Ukraine, die Frankreich erreichen. Viele Menschen nehmen Geflüchtete bei sich zu Hause auf. Leider gibt es diese Solidarität mit Menschen, die aus Afrika zu uns kommen, nicht. Hier wirkt sich die fremdenfeindliche Ideologie der Rechten in unserer Gesellschaft aus. (Interview von Claus-Jürgen Göpfert)

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