Russlands Wirtschaft – von China immer abhängiger
Autos, Computerchips und Finanzen – Russlands Wirtschaft ist immer mehr auf das Reich der Mitte als Handelspartner angewiesen.
Moskau – Im Gefolge der Ukraine-Invasion hat der Westen umfangreiche Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt. Der Fluss von Geldern, Rohstoffen und Waren zwischen Europa und den USA auf der einen Seite und Russland auf der anderen kommt langsam zum Erliegen. In die Lücke springen andere Staaten: Indien, die Türkei und vor allem China, das inzwischen größter Handelspartner Russlands ist. Das vermindert zwar den Einbruch der russischen Wirtschaft, führt aber in neue Abhängigkeiten.
Die USA und Großbritannien hatten bereits vor Monaten ihre Häfen für russische Öltanker gesperrt. Die Europäische Union zog im Dezember 2022 nach und hat inzwischen auch den Import von Ölprodukten gestoppt. Allerdings ist es Moskau gelungen, neue Abnehmer zu finden. Laut dem britischen Magazin „Economist“ verkaufte es im Januar so viel Erdöl wie zuletzt im Juni 2022 und zudem mehr als in allen Monaten des Jahres 2021. Abnehmer sind vor allem China und Indien, auch Kasachstan und die Türkei kaufen kräftig zu. Das spült Milliarden in Moskaus Staatshaushalt, der vor dem Ukrainekrieg zu 30 Prozent aus Energieexporten finanziert wurde.

Handelsbeziehungen zwischen China und Russland werden ausgebaut
„Russlands Handel verschiebt sich von sanktionierenden zu nichtsanktionierenden Ländern“, stellt der Internationale Währungsfonds (IWF) fest. Das betrifft nicht nur Rohstoffe, sondern auch Waren. Laut der US-Denkfabrik Carnegie bietet Russland einen großen Markt für chinesische Lieferungen, die westliche Güter ersetzen. China sei inzwischen zu Russlands weitaus größtem Handelspartner aufgestiegen, es nimmt schätzungsweise ein Fünftel der Ausfuhren ab und liefert 35 bis 40 Prozent der Einfuhren. Elf von 14 Marken auf dem russischen Automarkt seien inzwischen chinesische, schreibt Alexandra Prokopenko in einer Analyse für Carnegie. „Nur Nordkorea ist noch abhängiger von Einfuhren aus China als Russland.“
Statt der erwarteten Schrumpfung des russischen Bruttoinlandsprodukts von zehn Prozent und mehr lag das Minus 2022 voraussichtlich bei bloß 2,2 Prozent, prognostiziert der IWF. Für dieses Jahr rechnet er sogar wieder mit einem kleinen Plus. Im Westen wird allerdings erwartet, dass vor allem das Lieferembargo für Hochtechnologiegüter die russische Wirtschaft langfristig stark schädigen wird. Das Wiener Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo sagt „Jahre der Fast-Stagnation“ voraus.
Import von Russland durch Sanktionen nicht gestoppt
Ob das so kommt, ist aber noch nicht sicher. Laut der außerhalb Russlands ansässigen Free Russia Foundation „haben die Sanktionen Russlands Import von Dual-use-Hightech-Produkten nicht gestoppt“. Im Gegenteil, die Importe von Halbleitern und Mikroprozessoren seien 2022 von 1,82 auf 2,45 Milliarden Dollar gestiegen. Wichtigste Quelle sei hier abermals China, dessen Halbleiterlieferungen nach der Ukraineinvasion von 200 auf 500 Millionen Dollar „explodiert“ seien. Allein für September zählt die Organisation über 19 000 Transaktionen mit chinesischen Herstellern von Computerchips, die oftmals über die Türkei nach Russland kämen. Unklar sei allerdings, ob alle diese Technologiegüter unter westliche Sanktionen fielen.
Nicht nur als Handelspartner hängt Moskau von Peking ab, sondern in verstärktem Maße im Finanzbereich. Denn der Westen hat Russland vom internationalen Zahlungsverkehr sowie vom Dollar- und Euro-Kreislauf weitgehend abgeschnitten.
Der Anteil der Dollar-Zahlungen in Russland sinkt auf unter 50 Prozent
Für russische Bürger:innen ist das chinesische Union Pay-System inzwischen der einzige Weg, ihre Bankkarten im Ausland zu verwenden. Auch die russische Regierung muss nach Wegen suchen, Zahlungen für Im- und Exporte abzuwickeln. Dafür setzt sie zunehmend auf Chinas Yuan.
Laut Alexandra Prokopenko ist der Anteil von Dollar-Zahlungen in Russland in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres von 52 auf 34 Prozent gefallen, der Anteil des Euro sank von 35 auf 19 Prozent. Parallel dazu stiegen die Abrechnungen in Rubel und Yuan. Der russische Aktienhandel wird mittlerweile zu einem Drittel in der chinesischen Währung abgerechnet. Das Finanzministerium in Moskau hat die Yuan-Anlagen im Nationalen Wohlfahrtsfonds auf 60 Prozent erhöht.
Russland ersetzt die Abhängigkeit der USA durch eine Abhängigkeit von China
„Die Ent-Dollarisierung der Wirtschaft ist im Grunde eine Yuanisierung“, so Prokopenko. Russland ersetze die Abhängigkeit vom Dollar durch die vom chinesischen Geld. Dies sei allerdings kaum eine nachhaltige Lösung. Denn dadurch würden Russlands Devisenreserven und Zahlungssysteme beeinflusst durch die Entscheidungen der Pekinger Regierung und Zentralbank. „Sollte sich das Verhältnis beider Staaten verschlechtern, drohen Moskau Verluste.“ Zudem sei die Unabhängigkeit vom US-Dollar eine relative. Denn der globale Status des Yuan als Zahlungsmittel sei abgesichert durch den gigantischen Dollar-Schatz Pekings.

Zwar hilft Russlands Yuanisierung der Regierung in Peking dabei, aus ihrer Währung ein internationales Geld zu machen. Gleichzeitig aber, so die britische Denkfabrik Economist Intelligence Unit, „wird Peking darauf achten, seinerseits nicht zu abhängig von Russland zu werden“. Fraglich bleibt zudem, wie viel seiner noch guten Geschäftsbeziehungen zum Westen China zum Wohle Russlands zu opfern bereit ist. (Stephan Kaufmann)