Der Umsatzanteil des Geschäftsbereichs Klimalösungen wird aktuell auf 85 Prozent beziffert, sein Wert auf elf Milliarden Euro. Das Unternehmen ist in der Hand der in der Region verwurzelten Familie Viessmann – noch. Denn laut übereinstimmenden Berichten von „Wall Street Journal“ und „Handelsblatt“ will Viessmann die Klimasparte an den US-Konzern Carrier Global verkaufen. Die börsennotierte Carrier-Gruppe hat mehr als 50 000 Beschäftigte unter anderem in der Kühl- und Kältetechnik und machte 2022 gut 20 Milliarden Dollar Umsatz.
Laut den Medienberichten soll die Transaktion insgesamt zwölf Milliarden Euro umfassen, wobei die Familie den Kaufpreis zum Teil in Aktien und zum Teil in bar bekommen soll. Mit einer dann deutlich größeren Kaufkraft solle Viessmann stärker wachsen und besser im Wettbewerb mit asiatischen Anbietern wie Samsung oder Mitsubishi bestehen, hieß es. Der Unternehmenssitz könnte in Allendorf bleiben.
Eine Bitte um Stellungnahme beantwortete Viessmann bis Redaktionsschluss nicht, allerdings deutete das Unternehmen an, sich bald zu äußern.
Die Meldung kommt nur wenige Tage, nachdem sich das Bundeskabinett auf eine Novelle des Gebäudeenergiegesetzes geeinigt hat. Die Gesetzesänderung sieht vor, dass ab 2024 alle neu eingebauten Heizungen zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Die Umstellung soll mit einer Grundförderung und drei „Klimaboni“ unterstützt werden. Auch deshalb ist Viessmann für Investoren jetzt noch lukrativer.
In Deutschland spielt das Unternehmen mit seinen Produkten eine zentrale Rolle bei der angestrebten Wärmewende. Bei einem Firmenbesuch im vergangenen Sommer lobte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): „Sehr froh bin ich auch, dass die Technologien, die ich heute hier gesehen habe, Technologien aus Deutschland sind.“ Fast alle Energie „müssen wir derzeit noch importieren, deshalb ist der Ausbau grüner Klimalösungen so wichtig wie noch nie“.
Am Dienstag wurden sowohl aus der Bundes- als auch aus der Landespolitik Befürchtungen im Hinblick darauf geäußert, dass Viessmanns Wärmepumpensparte vermutlich bald von einem US-Konzern kontrolliert wird. Die für den Kreis Waldeck-Frankenberg zuständige Landtagsabgeordnete Daniela Sommer (SPD) sagte der Frankfurter Rundschau, Viessmann sei nicht nur eine Marke, sondern trage auch den Stempel „Made in Germany“ und präge mit seinem Know-how den Umbau der Energieversorgung. „Das Wissen und der Standort müssen gesichert sein“, forderte Sommer. „Es geht um über 14 000 Arbeitsplätze. Wir stehen an der Seite der Beschäftigten.“
Als Teil des Mischkonzerns United Technologies hatte Carrier 2004 die Kältetechnik der damaligen Linde AG übernommen und die Fertigung in Deutschland zwei Jahre später eingestellt.
Mehrere Vertreter:innen der Ampelkoalition, darunter die Vizechefin der SPD-Bundestagsfraktion, Verena Hubertz, forderten bei einem Verkauf Arbeitsplatz- und Standortgarantien. Michael Kruse, energiepolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, sprach von einem starken Indiz dafür, dass deutsche Technologieunternehmen „aufgrund der unzulänglichen Standortpolitik seitens des Wirtschaftsministers massiv unter Druck“ seien.
Dennis Schindehütte, zuständiger Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall Nordhessen, sagte der FR, die Nachricht über den offenbar bevorstehenden Viessmann-Deal sei überraschend gewesen, „auch wenn die Klima-branche so relevant wie noch nie und das Bestreben zu wachsen enorm ist“. Ökonomisch könne ein solcher Schritt nachvollziehbar sein, vor allem um mit mehr Kapital größere Investitionen in der kostenintensiven Sparte zu tätigen. Für die Gewerkschaft stehe im Vordergrund, was dies für die Beschäftigten bedeuten könnte. In Teilen der Belegschaft brodelt es, die Sorgen sind groß. Dass nun Ängste hochkommen, verstehe er, so Schindehütte. Das Thema sei emotional, es handele sich um ein Familienunternehmen. Die Folgen eines Verkaufs seien allerdings noch unklar und sollen in den nächsten Tagen mit dem Betriebsrat erörtert werden. Gemeinsam würden sie mit aller Kraft das Ziel verfolgen, Arbeitsplätze langfristig zu sichern.
In einer gemeinsamen Mitteilung erklärten der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und der Wirtschaftsminister des Landes Tarek Al-Wazir (Grüne) am Dienstagnachmittag: „Wir sind sicher, dass die Eigentümer im Falle einer Übernahme weiterhin ein großes Interesse daran haben, dass Viessmann nicht nur insgesamt wachsen, sondern das auch am Standort Nordhessen stattfinden wird.“ Gewerkschaftssekretär Schindehütte betonte, dass es Viessmann derzeit ausgezeichnet gehe. Im Zuge des rasanten Wachstums habe das Unternehmen in Polen neue Jobs geschaffen, aber auch zu Hause viel dazu beigetragen, die Beschäftigung zu sichern und Mitarbeitende für neue Aufgaben fortzubilden.
Im Mai 2022 hatte Viessmann angekündigt, insgesamt mehr als eine Milliarde Euro in den Ausbau von Wärmepumpen und „grüne Klimalösungen“ zu investieren, gut 200 Millionen Euro davon an einem neuen Standort im polnischen Legnica.
Zum Viessmann-Konzern, der in 74 Ländern vertreten ist, gehören auch eine Digitalsparte, Immobilien und Stiftungen. Die Familie hinter dem 1917 gegründeten Unternehmen hatte sich kürzlich aus dem operativen Geschäft des Bereichs Klimalösungen zurückgezogen, führt jedoch weiter die Viessmann-Unternehmensgruppe.