„Viele Leute wünschten, sie wären dem Vermittler nie begegnet“

Gerhard Schick, Chef des Vereins Finanzwende, spricht im Interview über die trügerische Ruhe an den Finanzmärkten und die Debatte, Provisionen für Finanzberatungen zu verbieten.
Im März gerieten die Aktien von Banken weltweit unter Druck, nachdem die US-Banken Silicon Valley Bank und Signature Bank schließen mussten. Dann wurde in der Schweiz die Traditionsbank Credit Suisse - die durch hausgemachte Probleme in Turbulenzen geraten war und durch die Geschehnisse in den USA dann in einen Abwärtsstrudel geriet - in einer Notaktion von dem größeren Konkurrenten UBS übernommen. Die Angst vor einer Finanzkrise ging um. Gerhard Schick, Chef des Vereins Finanzwende, der der Finanzlobby etwas entgegensetzen möchte, warnt vor einer trügerischen Ruhe.
Herr Schick, nach den Turbulenzen vor einigen Wochen ist es wieder ruhig geworden an den Märkten. Ist die Krise ausgestanden?
Das kann man natürlich nie wissen, wir haben ja keine Glaskugel. Tatsache ist aber: Es hat seit 2007 fast jedes Jahr eine Rettungsaktion im Finanzsektor gegeben. Nicht nur wurden viele Banken gerettet, es gab auch große Interventionen der Zentralbanken, um Krisen abzufangen – wie im vergangenen Jahr in Großbritannien, als die Notenbank massiv eingreifen musste, da Pensionsfonds in Liquiditätsnöten waren. Es wäre sehr verwunderlich, wenn das nun plötzlich aufhören würde. Denn an der Instabilität des Finanzsystems hat sich ja nichts verändert.
In Kurzfassung: Was kritisieren Sie, was sich nicht verändert hat?
Wie 2008 gibt es immer noch drei große Ratingagenturen, die weiterhin von denen bezahlt werden, die sie bewerten. Auch die Reform der Wirtschaftsprüfer wurde von der Finanzlobby ausgebremst, sie dürfen immer noch beraten und prüfen – ein echter Interessenkonflikt. Das Trennbankensystem wurde nicht eingeführt, also die Aufspaltung in Investmentbanken und Geschäftsbanken. Die Bonussysteme sind im Grunde immer noch die alten und setzen falsche Anreize. Und es ist weiterhin zu wenig Eigenkapital da. Die großen Banken haben nun zwar etwa fünf Prozent statt wie früher um die drei Prozent. Aber das heißt ja im Klartext: 95 Prozent des Geschäfts wird mit Schulden finanziert.
Moment, wie kommen Sie auf fünf Prozent? Deutsche Bank und Commerzbank etwa weisen Quoten von über 13 Prozent aus …
Die Banken rechnen ihr Eigenkapital doch hoch, indem sie es nur ins Verhältnis zu einem Teil ihrer Bilanz setzen. Staatsanleihen etwa werden nicht mitgerechnet, obwohl gerade da ja derzeit Verluste drohen. In keinem anderen Wirtschaftssektor werden Eigenkapitalquoten so definiert wie im Bankensektor. Ich empfehle, immer auf das Verhältnis Eigenkapital zu Bilanzsumme zu schauen, weil das aussagt, wieviel Verlustpuffer im Fall einer Krise vorhanden ist.
Eigenkapital ist für Banken teurer als Fremdkapital. Wenn die Aufsicht mehr fordern würde, hieße das nicht, dass Bankprodukte auch deutlich teurer würden?
Viele kleine und mittlere Institute haben bereits jetzt acht Prozent Eigenkapital und vergeben dennoch deutlich mehr Kredite als etwa eine Deutsche Bank. Ich fordere, dass Banken mindestens zehn Prozent Eigenkapital haben sollten. Das würde bei vielen kleinen und mittleren Instituten also nicht mehr viel Unterschied machen, wohl aber bei den Großbanken. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass keine negativen Auswirkungen auf die Produktpreise und Kreditkosten für die Kunden zu befürchten sind. Die Preise sind nicht abhängig von den Kosten einer Bank, sondern sie sind eine Frage des Wettbewerbs. Und der funktioniert in Deutschland mit seinen vielen Instituten im Kreditgeschäft durchaus. Was aber passieren würde: Aktionäre würden begreifen, dass die Bank mit mehr Eigenkapital im Notfall weniger auf den Staat zählen kann. Und dann würden sie Druck machen, die Risiken zu reduzieren. Eine Deutsche Bank wäre gezwungen ihr Investmentbanking zurückschrauben. Außerdem: Das Geld ist ja da, um das Eigenkapital zu stärken. Die Credit Suisse hat in den letzten zehn Jahren 32 Milliarden Schweizer Franken Boni an ihre Top-Manager ausgezahlt, das Geld hätte sie auch thesaurieren können. Im gleichen Zeitraum hat sie übrigens 3,2 Milliarden Franken Verlust gemacht.
ZUR PERSON
Gerhard Schick , 51, saß von 2005 bis Ende 2018 für die Grünen im Bundestag. Von 2007 bis 2017 war der promovierte Volkswirt finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion und von 2013 bis 2017 Vizevorsitzender des Finanzausschusses im Bundestag. Er leitet nun die Bürgerbewegung Finanzwende, die 2018 gegründet wurde. Der Verein beschäftigt sich kritisch mit finanzpolitischen Themen. nl
Die vergangenen Jahre haben aber doch auch gezeigt: Selbst kleine Banken können das Finanzsystem ins Wanken bringen. Und das gar nicht, weil sie so wichtig sind, sondern weil das Bankwesen Vertrauenssache ist. Wenn das Vertrauen wackelt, ist alles in Gefahr – Finanzkrisen entstehen also nicht unbedingt aus fundamentalen Gründen, sondern aus emotionalen. Müssen wir nicht akzeptieren, dass man das nicht ändern kann?
Dieses Argument wird von Leuten vorgetragen, die von dem System profitieren und nichts ändern wollen. In den 1950ern bis 1970ern waren die Finanzmärkte wesentlich stärker reguliert: fixe Wechselkurse, in den USA ein Trennbankensystem, Versicherungsprodukte mussten genehmigt werden, und so weiter. In dieser Zeit gab es keine relevanten Finanzkrisen. Dann kam die Deregulierung und das System wurde unsicher. Natürlich wird es nie 100-prozentigen Schutz vor Finanzkrisen geben. Aber es gibt doch auch keine 100-prozentige Sicherheit, dass du kein Karies bekommst, obwohl du dir täglich die Zähne putzt. Und trotzdem putzen sich die meisten Leute zumindest ein Mal am Tag die Zähne, weil es das Risiko relevant senkt. Und genau darum geht es: mit guten, harten Regeln das Risiko von Finanzkrisen massiv zu reduzieren. Wenn das Wackeln einer kleinen Bank überall Sorge auslöst, dann kann das nur daran liegen, dass das ganze System instabil ist.
Sie beklagen ja auch oft, die Banken seien zu groß. Wenn man sich das deutsche Bankwesen anschaut, so ist die akkumulierte Bilanzsumme aller Kreditinstitute heute tatsächlich viel größer als vor der Finanzkrise 2008. Allerdings ist das Bruttoinlandsprodukt seitdem prozentual betrachtet deutlich stärker gewachsen.
Sie haben Recht. Ein Indikator für die Stabilität eines Finanzsystems ist das Verhältnis des Wachstums der Finanzvermögen zur Wirtschaftsleistung. Man kann den deutschen Finanzmarkt aber nicht solitär betrachten, wir sind Teil der Eurozone und legen Geld zum Beispiel in Luxemburger oder irischen Fonds an. Und in der Eurozone als Ganzes ist das Finanzwesen deutlich stärker gewachsen als die Wirtschaftsleistung. Außerdem darf man nicht nur die Banken betrachten, sondern muss den gesamten Finanzsektor im Blick haben. Vor allem der Schattenbankensektor wächst seit 2008 ungebrochen und ist nicht reguliert. Auf dem G20-Gipfel von Pittsburgh im Jahr 2009 versprachen die Regierungschefs, dass sie alle Marktteilnehmer regulieren werden. Das ist nicht passiert. Hedge-Fonds, Privat-Equity-Firmen, Geldmarktfonds stellen weiterhin ein sehr großes Risiko für das weltweite Finanzsystem dar. Sie müssten endlich ihrem Risiko entsprechend reguliert werden.
Zum Abschluss ein ganz anderes Thema. Die EU-Kommission prüft, Provisionen zu verbieten, und will Anfang Mai ihre Pläne vorstellen. Ein Provisionsverbot hieße, dass Bankberater:innen nur noch auf Honorarbasis beraten dürften. Würde das nicht viele, vor allem weniger betuchte Menschen abschrecken, wenn sie 100 Euro für ein Beratungsgespräch zahlen müssen?
Die Bankenlobby bemüht immer wieder dieses soziale Argument, dass Leute mit wenig Einkommen sich das nicht leisten könnten. Das ist scheinheilig, denn wenn es nach sozialen Aspekten geht, dann dürfte das, was momentan passiert, überhaupt nicht stattfinden. Menschen mit geringen Einkommen werden beim Kauf eines Altersvorsorge-Produkts heute teilweise 300 Euro und mehr pro „Beratungs“-Stunde durch Provisionen abgenommen, nur merken sie das zunächst nicht, weil sie es nicht separat zahlen müssen. Außerdem ist es gut, wenn manche angebliche „Beratung“ nicht stattfindet. Ich kenne viele Menschen, die wegen Fehlberatungen jetzt ärmer sind und deswegen wünschten, sie wären dem Finanzvermittler niemals begegnet.
Glauben Sie, dass das Verbot von Provisionen kommt?
Es wäre ein Segen – aber leider auch ein Wunder. Die Bankenlobby wehrt sich vehement und ich fürchte, sie wird sich erneut durchsetzen.