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Viel Saft für E-Autos: Die Herausforderung ist riesig

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Von: Joachim Wille

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Ganz schön „spacig“: Tesla-Ladesäule für E-Autos an einer Tankstelle an der Ausfahrt der A 96.
Ganz schön „spacig“: Tesla-Ladesäule für E-Autos an einer Tankstelle an der Ausfahrt der A 96. © imago images/MiS

Batterie-Pkw boomen dank der Kaufprämien. Langsam wird greifbar, wie viel Ökostrom dafür zusätzlich nötig sein wird. Das ist auch ein großes Thema im Wahlkampf.

Endlich kommt die Elektromobilität in Fahrt. Im August erreichte der Anteil reiner E-Autos an den Neuzulassungen erstmals 15 Prozent, und im ersten Halbjahr 2021 wurden insgesamt mehr Batterie- und aufladbare Hybrid-Pkw als Diesel-Pkw verkauft. Die staatlichen Kaufzuschüsse von bis zu 6000 Euro wirken also. Doch dieser Boom macht sich nun auch bundesweit beim Stromverbrauch bemerkbar, wie eine aktuelle Analyse zeigt. Sie untermauert die Forderung: Damit die E-Autos wirklich klimafreundlich unterwegs sind, müssen die erneuerbaren Energien deutlich schneller ausgebaut werden.

Von Januar bis August wurden hierzulande rund 203 000 reine E-Autos zugelassen, hinzu kamen 218 000 Plug-In-Hybride, die allerdings nur zu einem kleinen Teil mit Strom aus der Steckdose elektrisch gefahren werden. Anteil zusammen: 13,2 Prozent. Im Jahr 2019 hatte der Marktanteil erst vier Prozent betragen. Der Bestand an reinen E-Pkw liegt inzwischen über einer halben Million. Expert:innen schätzen, dass es Ende des Jahres 600 000 sein werden.

Das Bonner Beratungsunternehmen EUPD-Research hat den gemeinsamen Stromverbrauch der reinen E-Pkw-Flotte hochgerechnet: Ende 2021 ergibt sich danach eine Elektrizitätsmenge von 1,8 Terawattstunden jährlich, was dessen Angaben zufolge der Produktion eines Kohlekraftwerks mit 330 Megawatt Leistung oder dem Verbrauch von 581 000 deutschen Durchschnittshaushalten entspricht. Und die Ladestrom-Mengen werden weiter rasant ansteigen. Denn Ende 2021 werden trotz des aktuellen Verkaufsbooms erst rund 1,2 Prozent des deutschen Pkw-Bestands voll elektrifiziert sein.

E-Autos werden überwiegend zu Hause geladen

Für eine komplette Umstellung der Autoflotte von derzeit 48,2 Millionen wären nach Schätzung der Fachleute rund 140 Terawattstunden pro Jahr nötig. Rechnet man die Elektrifizierung von Lkw- und Bus-Verkehr hinzu, kommt man leicht auf rund 200 Terawattstunden. Zum Vergleich: Der gesamte Stromverbrauch in Deutschland beträgt in diesem Jahr voraussichtlich 580 Terawattstunden. EUPD-Research-Geschäftsführer Martin Ammon kommentierte: „Dadurch wird die Dimension des erforderlichen Strukturwandels durch die Elektromobilität deutlich.“

Laut einer Umfrage des Unternehmens werden die E-Autos überwiegend zu Hause aufgeladen. Die Strommenge, die dort für das Laden gebraucht wird, beträgt für die Ende 2021 erwartete E-Auto-Flotte laut EUPD Research rund 1,3 Terawattstunden im Jahr. „Entsprechend erhöht sich der Verbrauch der Haushalte mit E-Autos“, sagte Ammon. Für einen durchschnittlichen E-Pkw werden laut ADAC pro Jahr bei 14 000 Kilometern Laufleistung rund 2800 Kilowattstunden Strom benötigt. Zum Vergleich: Der deutsche Durchschnittshaushalt ohne E-Auto verbraucht jährlich rund 3200 Kilowattstunden.

Das Beratungsunternehmen rechnet vor: Um den Zuhause-Ladestrom der 2021er Flotte komplett mit Solarstrom vom eigenen Dach zu decken, braucht es bilanziell etwa 187 000 mittelgroße Photovoltaik-Anlagen (7,5-Kilowatt Leistung), wie sie auf Ein- und Zweifamilienhäusern üblich sind – mehr als zum Beispiel im Rekordjahr 2020 neu errichtet wurden, damals waren es 152 000 solche Anlagen.

Grafik: Wie die Leute laden
Wie die Leute laden © FR

Wer als E-Auto- und Solaranlagenbesitzer:in allerdings sicherstellen will, dass möglichst viel Ökostrom vom eigenen Dach geladen wird, braucht einen stationären Stromspeicher, da die E-Pkw zumeist abends und über Nacht am Netz hängen, wenn wenig oder keine Sonne scheint. „Mit einem Speicher wächst der Anteil an solarer Deckung beim Laden des E-Autos deutlich“, so EUPD. Allerdings steigen dadurch auch die Kosten des selbst hergestellten Ökostroms. Andererseits sind Speicher in den letzten Jahren spürbar billiger geworden. So kostete ein Speicher für ein Einfamilienhaus vor fünf Jahren im Schnitt rund 10 000 Euro, heute ist er für 6 000 Euro zu haben.

Streit über Strommengen: Bewusst kleingerechnet?

Ammon betont: „Die Umstellung auf E-Mobilität macht einen deutlich schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien, der Speicher und der Strom-Verteilnetze notwendig, als er bisher geplant wurde.“ Hinzu komme die Umrüstung im Gebäudesektor, wobei Erdöl- und Erdgas-Heizungen durch strombasierte Wärmepumpen ersetzt werden sollen. Insgesamt werde der deutsche Stromverbrauch von derzeit unter 600 Terawattstunden bis 2030 auf rund 800 Terawattstunden steigen.

Über die tatsächlich notwendigen Strommengen hat es in den letzten Jahren immer wieder Streit in der Politik gegeben. So beharrte das Bundeswirtschaftsministerium von Peter Altmaier (CDU) lange darauf, dass der Stromverbrauch trotz der angestrebten Klimaneutralität mittelfristig nicht wesentlich ansteigen werde – trotz Kritik an dieser Position von Fachleuten, Opposition und vom Koalitionspartner SPD. Moniert wurde, das Ministerium rechne die benötigten Strommengen bewusst klein, um ambitioniertere Ziele beim Ausbau von Wind- und Solarstrom zu umgehen. Erst in diesem Juli, korrigierte Altmaier sich. Er legte ein Gutachten des Prognos-Instituts vor, wonach der Stromverbrauch 2030 um 15 Prozent höher liegen werde als heute, nämlich bei 655 Terawatt.

Erneuerbare Energien und grüner Strom: Die Herausforderung ist riesig

Inzwischen ist unter den Parteien nicht mehr umstritten, dass der Erneuerbaren-Ausbau von der nächsten Bundesregierung kräftig gepusht werden muss. Das zeigte sich zuletzt auch bei den TV-Debatten der Kanzlerkandidat:innen. CDU-Chef Armin Laschet will den Ausbau beschleunigen und legt dazu einen 15-Punkte Plan vor. Darin: Verkürzung der Genehmigungszeiten für Windräder auf sechs Monate und mehr Anreize für Dach-Solaranlagen.

SPD-Kandidat Olaf Scholz will ambitionierte Ökostrom-Ziele sofort im ersten Amtsjahr festlegen und macht eine Zustimmung dazu zur Voraussetzung für mögliche Koalitionspartner. Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock steht ohnehin für einen Ausbau der Öko-Energien, unter anderem will sie eine Solaranlagenpflicht für neue Häuser. Trotzdem ist klar: Die Herausforderung ist riesig. Fachleute schätzen, dass ein klimaneutrales Deutschland am Ende Kapazitäten für 1000 Terawatt Strom brauchen wird.

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