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Ukraine und andere Konflikte: Sanktionen als Mittel der Wahl – Wenn Wirtschaft zur Waffe wird

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Von: Stephan Kaufmann

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Ein ukrainischer Marinesoldat steht in einem Graben an der Trennungslinie zu den prorussischen Rebellen in der Region Donezk.
Ein ukrainischer Marinesoldat steht in einem Graben an der Trennungslinie zu den prorussischen Rebellen in der Region Donezk. © Andriy Dubchak/dpa

Sanktionen werden immer häufiger eingesetzt, auch im Konflikt mit Russland. Dabei ist ihre Wirkung bis heute unklar.

Kiew – Die USA und die EU erwägen im Ukrainekonflikt neue Maßnahmen gegen die russische Wirtschaft. Das fügt sich in einen Trend ein, der bereits seit langem besteht: „Wirtschaftssanktionen sind im vergangenen Jahrzehnt zu einem bevorzugten diplomatischen Mittel geworden“, so Peter van Bergeijk von der Erasmus Universität. Insbesondere die USA und die EU setzen ihre zentrale Stellung auf dem Weltmarkt ein, um Regierungen unter Druck zu setzen. Ob sie damit ihre Ziele erreichen, bleibt allerdings umstritten.

Die ökonomische Schädigung von Gegnern gehört schon immer zum Arsenal von Staaten. In den 1990er Jahren allerdings wurde diese Waffe häufiger gezogen. Als Gründe dafür sieht Bergeijk den Untergang des Ostblocks, der eine geschlossene Front der sanktionsverhängenden Staaten leichter möglich machte, zum Beispiel 1990 gegen den Irak. Dazu kam die zunehmende internationale Vernetzung, die stärkere Abhängigkeiten zwischen den Staaten schuf. „Die Globalisierung öffnete viele Ökonomien, die zuvor kaum durch Sanktionen geschädigt werden konnten“, so der Ökonom.

Sanktionen: Konfrontation mit Russland lässt „zweite Welle“ rollen

Inzwischen sieht er eine größere, „zweite Sanktionswelle“ rollen. Während die Zahl der entsprechenden Maßnahmen in den 1990ern um knapp 60 Prozent zunahm, folgte ab 2010 ein Zuwachs von 73 Prozent. Gründe hierfür seien unter anderem der „neue kalte Krieg“ zwischen den USA und China, die Konfrontationen mit Russland sowie die verstärkte Neigung der Regierungen, Handel als „strategisches Feld“ zu betrachten.

Die erklärten Sanktionsziele reichen von der Durchsetzung von Menschenrechten über Regimewechsel bis zur Beendigung von Kriegen. Hauptakteur sind die USA, bei denen Wirtschaftssanktionen zu einem Wesensmerkmal der Außenpolitik geworden seien, erklärt Anders Aslund vom Atlantic Council. An zweiter Stelle folgt die EU.

USA und EU nutzen Sanktionen als Waffe

Dass vor allem die USA und Europa die Wirtschaft als Waffe nutzen, ist kein Wunder. Sanktionen sind ein Instrument der ökonomisch Mächtigen. Denn damit sie greifen, müssen erstens intensive Geschäftsbeziehungen zu dem sanktionierten Land bestehen. „Sanktionen können nicht das Verhalten von betroffenen Regierungen verändern, wenn das Handelsvolumen zwischen Absender und Adressat vernachlässigbar ist“, erklärt Bergeijk. Zweitens muss der Schaden für den Adressaten größer sein als für den Absender. Daher ist es kein Wunder, dass kein Fall von Handelssperren eines afrikanischen Landes gegen Nord-West-Europa bekannt ist.

Ähnlich liegt der Fall Russland: „Da die russische Wirtschaft so viel kleiner ist als die der westlichen Länder, kann Moskau auf die Sanktionen nicht effektiv antworten, ohne sich selbst stark zu schädigen“, erklärt Aslund. Zwar kann Moskau Europa mit einem Stopp der Gaslieferungen drohen. „Allerdings ist kaum zu erwarten, dass die russischen Lieferungen für einen längeren Zeitraum ausfallen“, so die Commerzbank. „Schließlich ist Russland auf die Einnahmen angewiesen und wird Ausfälle kaum vollständig und rasch durch verstärkte Exporte etwa nach China ausgleichen können.“

Sanktionen als Mittel der Wahl: Eine polnische Demonstrantion fordert im vergangenen Sommer wirtschaftliche Restriktionen gegenüber Belarus.
Eine polnische Demonstrantin fordert im vergangenen Sommer wirtschaftliche Restriktionen gegenüber Belarus. © Aleksander Kalka/imago

Forderung: EU solle Sanktionen stärker einsetzen

Die EU hat in den vergangenen Jahren ihr Sanktionsarsenal stark aufgestockt, „um ihren Mangel an militärischer Macht zu kompensieren“, erklärt Gerald Schneider von der Universität Konstanz. In diese Richtung sollte die Union sich weiterentwickeln, rät Cecilia Malmström, bis 2019 EU-Handelskommissarin, in einem Beitrag für das Peterson Institute (PIIE). „Eingeklemmt zwischen den USA und China und in Anbetracht der russischen Ukraine-Politik sollte Europa den Hebel ansetzen, den es zur Verfügung hat: den Handel.“ Schließlich sei es eine „Handels-Supermacht“ mit einem riesigen Binnenmarkt und 50 Handelsabkommen mit anderen Staaten.

Unklar ist, ob Sanktionen überhaupt wirken. Laut Schneider habe wirtschaftlicher Zwang im Durchschnitt in 30 bis 50 Prozent der Fälle sein Ziel erreicht. Das bedeutet: In 50 bis 70 Prozent der Fälle verfehlen Sanktionen ihr Ziel. Die Gründe dafür sind zahlreich. Betroffene Länder können ihre Wirtschaft umorganisieren und sich andere Zulieferer- oder Abnehmerstaaten suchen. Insbesondere China bietet sich als Alternative zu den USA und der EU an und beschränkt so deren Sanktionsmacht. „Je länger Sanktionen in Kraft sind, umso besser kann sich das Zielland umstellen“, erklärt Bergeijk. (Stephan Kaufmann)

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