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IG-Metall-Chef zur Aufrüstung im Ukraine-Krieg: „Die Nato geht mit Strategien vor“

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Von: Claus-Jürgen Göpfert

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IG-Metall-Vorstand Hans-Jürgen Urban über den Krieg in der Ukraine und die provozierende Rolle, die die Nato dabei gespielt hat.

Frankfurt - Mit 2,1 Millionen Mitgliedern ist die IG Metall die größte europäische Gewerkschaft. In ihrem Vorstand sitzt Hans-Jürgen Urban. Der Politologe spricht über den Ukraine-Krieg, die Aufrüstung der Bundeswehr und den wirtschaftlichen Umbruch hierzulande.

Herr Urban, was haben Sie gedacht, als die russische Armee in die Ukraine einfiel?

Mein erster Gedanke war: Jetzt haben sie es doch getan. Ich war überrascht und schockiert. Ich habe mir sofort die Frage gestellt, ob ich hinsichtlich der russischen Politik zu naiv war, ob auch ich die Bedrohung nicht ernst genug genommen habe.

Ukraine-Krieg: „An schmerzhaften Sanktionen gegen Russland führt wohl kein Weg vorbei“

Leopard 2“-Panzer der Bundeswehr 2019 bei einer Geländeübung.
„Leopard 2“-Panzer der Bundeswehr 2019 bei einer Geländeübung. © Philipp Schulze/dpa

Müssen sich nicht viele Linke in Deutschland vorwerfen, dass sie Russlands Politik falsch eingeschätzt haben?

Das ist eine stark emotionalisierte Debatte. Es gilt, eine moralische Position zu beziehen. Für die Linke kann das meines Erachtens nur bedeuten: Wir verurteilen den Krieg, fordern die sofortige Einstellung aller Waffenhandlungen und zeigen uns solidarisch mit den Menschen in der Ukraine und der Friedensbewegung in Russland. Auch an schmerzhaften Sanktionen gegen Russland führt wohl kein Weg vorbei. Ziel muss es sein, möglichst zielgenau Wladimir Putin und seine Oligarchenclique zu treffen. Doch zugleich müssen die Ursachen des Krieges und die politischen Strukturen, die ihn befördert haben, rational analysiert werden.

Wie sieht Ihre Analyse darüber hinaus aus?

Nichts rechtfertigt diesen Krieg. Aber wir müssen auch sehen, dass er Teil des Kampfes der Großmächte um eine Neuordnung ihrer geopolitischen Einflusssphären ist. Auch die Nato geht mit Strategien vor, die andere als Provokationen empfinden. Die vieldiskutierte Ost-Erweiterung gehört dazu.

Zeigt sich nicht klar, dass Russland nur noch mit militärischer Gewalt zu stoppen ist?

Gegen die militärische Invasion müssen sich die Ukrainer verteidigen, auch mit Waffen. Dennoch knüpfen sich an die Waffenlieferungen des Westens auch Zweifel. Sie bedeuten ja vor allem, dass die Politik versagt hat.

„Die zunehmende Akzeptanz von Krieg als Mittel der Politik ist mir nicht geheuer.“

Hans-Jürgen Urban, IG Metall

Aber kann der Westen nicht froh sein, dass die Ukraine stellvertretend für ihn kämpft?

Das Wort froh ist im Zusammenhang mit dem Krieg gänzlich ungeeignet. Dass der Krieg dauerhaft über Waffen gestoppt werden kann, ist nicht ausgemacht. Keiner weiß, ob eine Seite einen militärischen Sieg erzielen kann oder ob am Ende nicht vor allem über wirtschaftliche Sanktionen und politischen Druck ein Waffenstillstand erzwungen werden muss. Die zunehmende Akzeptanz von Krieg als Mittel der Politik ist mir nicht geheuer.

Ukraine-Krieg: Es fehlt der Aufrüstungsoffensive an demokratischer Legitimation

Der Krieg in der Ukraine hat dazu geführt, dass die deutsche Politik Grundsätze über Bord wirft, die bisher als unverrückbar galten. Plötzlich ist ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro zur Aufrüstung der Bundeswehr geplant.

Ich halte das für den falschen Weg. Die Militärausgaben der Nato übersteigen die Russlands um ein Vielfaches, ihre Militärtechnik ist weit überlegen. Das hat Wladimir Putin offensichtlich nicht abgeschreckt. Zugleich fehlt es der Aufrüstungsoffensive an demokratischer Legitimation. Politische Pfadwechsel dieser Größenordnung bedürfen der Beteiligung der Parlamente, und vor allem einer breiten und transparenten Debatte in der Gesellschaft. Einsame Entscheidungen vermeintlich starker Staatslenker sind da völlig fehl am Platz.

Zynisch gesprochen sieht es nach einem Plan aus, der zumindest in der deutschen Rüstungsindustrie Arbeitsplätze sichert.

Na ja, es sollen Kampfflugzeuge in den USA bestellt werden, und es wird über den Kauf von Raketenabwehrsystemen etwa aus Israel nachgedacht. Überdies gilt: Aufrüstung zur Arbeitsplatzsicherung kann keine Richtschnur der Politik sein. Viel sinnvoller ist es, wenn Gewerkschaften mit Betriebsräten und Belegschaften für Konversionsstrategien, also die Umwandlung von Rüstungs- in zivile Produkte, streiten.

Gegenwärtig werden alle Teile der russischen Gesellschaft, vom Sport über die Literatur bis hin zur klassischen Musik, international boykottiert. Ist das der richtige Weg? Müssen wir nicht daran denken, wie Russland langfristig in die Völkergemeinschaft zurückgeführt werden kann?

Die Bilder von getöteten Zivilisten, die uns erreicht haben, sind kaum zu ertragen. Diese Verbrechen schädigen das Ansehen Russlands in der Welt auf lange Zeit. Und doch wird es eine Zeit nach dem Krieg geben. Wir dürfen die russische Bevölkerung und die russische Kultur nicht pauschal zum Feind erklären. Aber Russland wird in der Völkergemeinschaft wohl nur dann erneut willkommen sein, wenn es seine imperialen Machtansprüche aufgibt und glaubhaft einen Weg in Richtung Demokratie einschlägt.

Hans-Jürgen Urban, 60, trat 1984 in die IG Metall ein. Seit 2007 ist er geschäftsführendes Vorstandsmitglied.
Hans-Jürgen Urban, 60, trat 1984 in die IG Metall ein. Seit 2007 ist er geschäftsführendes Vorstandsmitglied. © Alexander Paul Engler

Der Krieg trifft die deutsche Wirtschaft in einer Phase, in der die Pandemie einen radikalen Umbruch des kapitalistischen Wirtschaftssystems beschleunigt hat.

Das ist richtig. Corona und der Ukraine-Krieg fallen mit einer Transformation des Gegenwartskapitalismus zusammen. Bald werden die alten Fragen mit Wucht zurückkehren. Etwa die Dominanz globaler Digital-Monopole auf den Märkten oder der voranschreitende Digitalisierungsschub. Vor allem aber der Klimawandel, der eine rasche Dekarbonisierung unserer Produktionsweisen verlangt.

Vernichtet die Digitalisierung nicht gerade viele Arbeitsplätze?

Das ist kein Naturgesetz. Der Digitalisierung wohnen zwei widerstreitende Logiken inne. Sie kann Arbeit vernichten oder intensivieren. Sie kann Arbeit auch rund um die Uhr verfügbar machen und stärker als bisher kontrollieren. Aber die Digitalisierung kann für den Einzelnen auch mit mehr Arbeitszeitsouveränität einhergehen und die Arbeit inhaltlich anreichern. Es ist unsere Aufgabe, die kapitalistische Rationalisierungs- und Kontrolldynamik zurückzudrängen und die positiven Potenziale der Digitalisierung zur Geltung zur bringen. Durch eingreifende Arbeitspolitik, kollektive Rechte und betriebliche Mitbestimmung.

In der Zeit der Pandemie haben die Gewerkschaften Mitglieder verloren. Wie kann hier gegengesteuert werden?

Viele Betriebe haben ökonomische Probleme. Das erhöht oft den Druck auf die Beschäftigung, und mit Arbeitsplätzen gehen auch Mitglieder verloren. Zugleich ist es unter Pandemiebedingungen schwieriger, neue Mitglieder zu gewinnen. Gewerkschaftsarbeit braucht die direkte Kommunikation, das zwischenmenschliche Gespräch. Wenn die Beschäftigten aus Infektionsschutzgründen ins Homeoffice abwandern und im wahrsten Sinne des Wortes voneinander Abstand halten müssen, ist das schwierig.

Beschäftigte wünschen sich für die Zukunft, zwischen Homeoffice und Präsenzarbeitsplatz wählen zu können

Hans-Jürgen Urban, IG Metall

Wie sehr hat das Homeoffice die Arbeitswelt verändert?

Sehr, die neue Arbeitswelt wird nicht die alte sein. In der Hochzeit von Corona hat das Homeoffice stark zugenommen. Viele Beschäftigte wünschen sich für die Zukunft, zwischen Homeoffice und Präsenzarbeitsplatz wählen zu können, am besten tageweise. Für mich steht fest: Es braucht verlässliche betriebliche, tarifliche und gesetzliche Regeln, um diese Form der mobilen Arbeit zu einer Variante guter Arbeit zu machen.

Die Automobilindustrie, in der die IG Metall stark verankert ist, befindet sich im Umbruch. Wie viele Arbeitsplätze werden auf der Strecke bleiben durch den Verzicht auf diesel- und benzinbetriebene Fahrzeuge?

In der Auto- und Zulieferindustrie vollzieht sich mit dem Übergang zur E-Mobilität eine technologische Revolution. Wir können und wollen diese Transformation nicht aufhalten. Aber wir wollen und müssen den Beschäftigten eine soziale Perspektive bieten. Die E-Mobilität eröffnet auch Chancen für neue Beschäftigung. Diese Chancen wollen wir ergreifen. Auch deshalb, weil rechte Listen bei den gegenwärtigen Betriebsratswahlen erneut versuchen, die Verunsicherung der Belegschaften für ihre antidemokratische Propaganda zu instrumentalisieren.

Wird das Automobil überleben?

Ja, davon bin ich überzeugt. Das mit grünem Strom angetriebene und umfassend recycelbare Auto hat eine Zukunft. Vorausgesetzt, es ist in eine Verkehrswende und ein nachhaltiges Mobilitätskonzept eingebettet. Dazu müssen zugleich der öffentliche Personennahverkehr erheblich ausbaut und neue Konzepte der Integration der verschiedenen Mobilitätsträger entwickelt werden. Dazu braucht es offensive Reformallianzen, an den sich die Gewerkschaften beteiligen. (Interview: Claus-Jürgen Göpfert)

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