Traum vom Überschall

Nach dem Aus für die Concorde wurde es ruhig um superschnelle Passagierflugzeuge. Doch jetzt arbeiten Ingenieure an ihrem Comeback.
Die Nasa gibt sich ganz unbescheiden. „Die große Transformation der Luftfahrt beginnt.“ So umreißt die Luft- und Raumfahrtagentur ihr neues X-Plane-Projekt. Die Maschinen mit dem X haben eine lange Tradition. Der Nasa geht es dabei seit mehr als 70 Jahren darum, in Grenzgebiete der Fliegerei mit Überschall vorzudringen. Die Tradition, technische Barrieren zum Nutzen aller zu überwinden, werde nun fortgesetzt, sagt Jaiwon Shin, Aeronautik-Experte der Nasa. Es sei super aufregend, solche Flugzeuge zu entwickeln und zu fliegen.
Diese enorme Euphorie bezieht sich auf die Vision einer fliegenden Beförderung von Passagieren mit mindestens doppelt so hoher Geschwindigkeit wie mit konventionellen Jets. Der Startschuss für das neue X-Plane wurde gerade gegeben. Das ist aber nur eins von mehreren Überschall-Projekten – wobei noch längst nicht klar ist, ob daraus auch funktionierende Geschäftsmodelle entstehen.
Dabei gab es das alles schon einmal. Am 31. Dezember 1968 hob erstmals ein Überschallpassagierflugzeug, die sowjetrussische TU 144, ab. Drei Monate später startete die britisch-französische Concorde zu ihrem Jungfernflug. Am 24. Oktober 2003 landete sie zum letzten Mal. Das Ende einer Ära. Mehrere Faktoren kamen zusammen. Im Jahr 2000 stürzte eine Maschine ab. Was eine heftige Diskussion über Sinn und Zweck dieses Fluggeräts auslöste. Hinzu kam dann noch die schwere globale Krise der Luftfahrt nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Damit schossen für die beiden Betreiber des Jets, British Airways und Air France, die ohnehin schon immensen Fehlbeträge im Flugbetrieb noch einmal kräftig in die Höhe.
Die „Königin der Lüfte“ hatte in ihrem Reich mit vielen Widrigkeiten zu kämpfen. Zum enormen Lärm und einem sehr großen Treibstoffdurst kam, dass der Maximalspeed von rund 2400 Stundenkilometern nur über dem Meer erlaubt war. Über Land musste die Concorde unter der Schallgeschwindigkeit (1235 Stundenkilometer bei 20 Grad Außentemperatur) bleiben – das ist international so geregelt. Der Grund dafür ist der Überschallknall, der Fenster zum Bersten bringen, Menschen und Tiere in Panik versetzen kann. Das physikalische Phänomen entsteht, weil sich der Flieger schneller bewegt, als der Schall, den er erzeugt.
Die Nasa hat nun den Flugzeugbauer Lockheed damit beauftragt, einen „Low-Boom-Jet“ zu bauen. Der Knall soll so stark reduziert werden, dass er von den Menschen am Boden schlimmstenfalls noch wie das Geräusch beim Zuschlagen der Autotür einer Luxuslimousine wahrgenommen werde, so die Nasa. Das könne tatsächlich neue Dimensionen für die Luftfahrt eröffnen, heißt es beim Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR). Auch Linienflüge kreuz und quer durch die USA wären dann möglich. Die ersten kleinen Modelle, die im Windkanal getestet wurden, zeigen, wie das mit dem Low Boom funktionieren kann. Es handelt sich um Maschinen mit einer neuen Aerodynamik. Auffälligstes Merkmal ist die extrem verlängerte Nase. 2021 soll ein Prototyp fliegen, in dem nur Platz für den Piloten ist. Bis 2025 soll in Testflügen über vier bis sechs US-Städten überprüft werden, ob tatsächlich nur noch so etwas wie weit entfernter Donner zu hören ist. Danach sollen US-Behörden und die internationale Zivilluftfahrtorganisation ICAO überprüfen, ob das Überschallverbot über Land aufgehoben werden kann. Um das Jahr 2035 könnten womöglich die ersten größeren Langnasen-Jets den Liniendienst aufnehmen, so die Projektionen von Nasa und Lockheed.
Schon viel früher, nämlich für 2023, ist der Erstflug der Aerion AE2 terminiert. Robert Bass, ein Milliardär aus Texas, hat sich in den Kopf gesetzt, einen Business-Jet zu bauen, der mit gut 1700 Stundenkilometern rund 8000 Kilometer weit fliegen kann. In der luxuriösen, aber etwas engen Kabine sollen elf oder zwölf Passagiere Platz finden. Das vier Milliarden Dollar schwere Projekt zur Entwicklung der AE2 hat schon konkrete Formen angenommen. Die Triebwerkbauer von General Electric wollen aus Komponenten, die jetzt schon für zivile Passagierflugzeuge und Kampf-Jets eingesetzt werden, neue Hochleistungsaggregate bauen. Maßgebliche Beiträge zum Design des Businessjets hat der deutsch-französische Luftfahrtkonzern Airbus geleistet. Er zog sich aber Ende vorigen Jahres klammheimlich zurück – weil sich bei Airbus offensichtlich die Prioritäten verschoben haben. Dafür wurde Lockheed an Bord geholt.
Nasa, Aerion und Lockheed
Eine erste Bewertung der Aerion-Technologie habe ergeben, dass es sich lohne, Zeit und Ressourcen für das Vorhaben bereitzustellen, sagte Lockheed Manager Orlanda Carvalho. Was sein Unternehmen da genau vorhat, wird nicht verraten. Branchenkenner vermuten aber, dass da ein industriepolitisch höchst interessantes Dreieck aus Nasa, Aerion und Lockheed entstehen könnte, mit dem die USA im zivilen Überschallflug ganz weit vorne positioniert werden sollen. Erste fixe Bestellungen gibt es jedenfalls schon für die AE2. Die Firma Flexjet, die Privatflüge anbietet, hat 20 Maschinen geordert. Flexjet-Chef Michael Silvestro ist fest davon überzeugt, dass mit GE und Lockheed das Flugzeug bald gebaut werden kann.
In etwas größeren Dimensionen denkt Blake Scholl. Er will mit seiner Firma Boom Technologies einen Überschalljet mit 55 Sitzplätzen bauen. Die Zeichnungen des Boom-Fliegers erinnern stark an die Concorde. Scholl verkündete voriges Jahr auf der Luftfahrtmesse im französischen Le Bourget, dass er bereits 76 Bestellungen eingesammelt habe. Erstkunde soll die britische Virgin Atlantic sein. Eine verkleinerte Version des Fliegers, Baby-Boom genannt, soll noch in diesem Jahr zu Testflügen starten.
Doch lässt sich mit Überschallfliegerei tatsächlich Geld verdienen? Viel hängt davon ab, ob sich Superreiche und Top-Manager für die extrem schnelle und extrem teure Fliegerei interessieren. Scholl, Bass und Lockheed-Manager machen aber einhellig darauf aufmerksam, dass sich seit den Zeiten der Concorde bei den Materialien für Rumpf und Flügel viel getan habe: Moderne Carbonverbundfaser-Werkstoffe sind erheblich fester und leichter als das herkömmliche Aluminium. Motoren sind effizienter geworden. Das soll für geringere Treibstoffkosten und erheblich weniger Triebwerkslärm sorgen.
Gleichwohl: Mit wachsender Geschwindigkeit steigt noch immer der Kraftstoffverbrauch exponentiell. Wie passt der superschnelle Transport weniger Passagiere also in eine Welt, die das Klima schützen will? Die lapidare Antwort eines Branchenkenners: Langfristig müsse man ohnehin auf Biokraftstoff und auf synthetisches Kerosin, das mit Öko-Strom erzeugt wird, umstellen.