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„Der Totalausfall der Bafin muss Konsequenzen haben“

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Von: Thomas Magenheim-Hörmann

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Die Wirecard-Pleite schlägt Wellen.
Die Wirecard-Pleite schlägt Wellen. © Picture alliance/Sven Hoppe/dpa

Anwälte prüfen, ob sie im Fall Wirecard gegen die Finanzaufsicht vorgehen können.

Die deutsche Finanzaufsicht Bafin steht im Skandal um die Pleite von Wirecard massiv in der Kritik. Gegen die Wirecard-Wirtschaftsprüfer EY, Vorstände sowie die Ratingagentur Moody’s sind bereits Schadenersatzklagen auf den Weg gebracht oder in Vorbereitung. Aber auch der Bafin droht Ungemach, obwohl sie gesetzlich eigentlich von Haftung ausgenommen ist.

Das könnte aber europarechtswidrig sein, glaubt der Berliner Anlegeranwalt Marc Liebscher. „Wir sind von internationalen Investoren beauftragt worden, Staatshaftungsklage zu prüfen“, erklärt er. Wenn man die vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) bringt, könne dort der Haftungsausschluss kippen. Begründen kann Liebscher das Anliegen in einem Satz. „Die Aufsicht wurde so organisiert, dass sie scheitern musste.“

Das kann man so sehen. Bei Gründung der Bafin im Jahr 2002 wurde etwa die Digitalisierung der Finanzwirtschaft kaum berücksichtigt. Die Bafin sei nur für die Prüfung der Wirecard Bank und nicht des Gesamtkonzerns zuständig, verteidigte sich Bafin-Chef Felix Hufeld vor wenigen Tagen vor dem Finanzausschuss des Bundestags. Im Einvernehmen mit Bundesbank und Europäischer Zentralbank (EZB) habe man Wirecard als technologiegetriebenen Konzern und nicht als Finanzholding eingestuft. Bei Letzterem hätten volle Kontrollmöglichkeiten bestanden, bei Ersterem nur solche über die Wirecard Bank. Die mutmaßlich kriminellen Machenschaften gab es aber abseits der Bank.

Nach dieser Lesart aufsichtsrechtlich für die Konzernbilanzen zuständig war damit die Deutsche Prüfungsstelle für Rechnungslegung (DPR), der die Bafin Anfang 2019 einen Prüfauftrag zu Wirecard erteilt hat. Die DPR gilt als chronisch unterbesetzt. Ihre Mittel und Möglichkeiten sind sehr beschränkt. Gut ein Jahr nach Prüfauftrag an die DPR liegt noch kein Ergebnis vor. Im Schnitt benötigt die DPR 13,5 Monate für eine Prüfung, so Hufeld.

Einen Systemfehler statt einen der Bafin sieht auch der Chef des Versicherungsriesen Allianz, Oliver Bäte. „Wirecard ist ja ein Finanzdienstleister, aber er wurde nicht reguliert wie ein Finanzdienstleister und ich halte das für falsch“, sagt er. Man müsse die Aufsicht danach ausrichten, was Menschen tun und nicht danach, ob ein Unternehmen Bank oder Versicherung heiße. Es brauche eine andere Regulierungslogik.

Letzteres stimmt, aus dem Schneider ist die Bafin aber nicht. Zum einen ist Dienst nach Vorschrift, hinter dem sie sich verschanzt, kein Freibrief. Experten sind zudem noch am Abwägen, ob die Bonner den Fall per Zahlungsdienstaufsichtsgesetz nicht doch an sich hätten ziehen können und müssen. Noch schlagender ist aber, dass die Bafin eine zweite Möglichkeit hatte, das Richtige zu tun, indem sie Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet, wenn sie mit dem Aufklären nicht weiterkommt. Das haben die Bonner im April 2019 auch getan – allerdings gegen Journalisten der „Financial Times“ (FT), die den Skandal aufgedeckt haben. Sie wurden beschuldigt, den Kurs von Wirecard im Verein mit Spekulanten in den Keller geschrieben zu haben.

Erst über ein Jahr später, im Mai 2020, hat die Bafin ihren Kurs korrigiert und eine zweite Anzeige erstattet – diesmal gegen Wirecard. „Der Totalausfall der Bafin muss und wird Konsequenzen haben“, sagt Anlegeranwalt Andreas Tilp. Er fordert für Wirecard-Opfer einen staatlichen Entschädigungsfonds in Milliardenhöhe sowie Gesetzesreformen, die echte Kontrolle auch moderner Fintech-Konzerne erlauben. Ansonsten droht auch er, gerichtlich gegen die Bafin vorzugehen - und hat dabei wie Liebscher den EuGH im Auge. 36 000 Wirecard-Geschädigte haben sich bei seiner Kanzlei bereits gemeldet.

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