Streiks in Frankreich: Große Proteste gegen Rentenreform

Streik, Demos, Blockaden: In Frankreich stehen neue Massenproteste gegen die geplante Rentenreform an. Womit zu rechnen ist und wie es weitergeht.
In Frankreich ist kein Ende der Proteste gegen die von Präsident Emmanuel Macron geplante Rentenreform in Sicht. An diesem Dienstag wird in vielen Bereichen wieder gestreikt. Es ist die fünfte Mobilisierung der Gewerkschaften, sie sprechen davon, den 7. März in einen „schwarzen Tag“ zu verwandeln.
Was ist am Dienstag zu erwarten?
Gewerkschaften und Linksparteien rufen ein weiteres Mal zum Widerstand gegen die Rentenreform auf. Vor allem die Schulen und der öffentliche Verkehr werden bestreikt. Nur jeder fünfte TGV-Zug dürfte verkehren. Fernfahrer:innen wollen zudem Autobahnzufahrten sperren. Und auch Ölraffinerien dürften blockiert werden. In 260 französischen Orten sind Demonstrationen geplant. Die Gewerkschaften treten geschlossen an und hoffen auf mehr als eine Million Teilnehmer:innen. Diese Zahl gilt als Gradmesser für den Erfolg der Proteste. Die Vorlage wird seit Wochen im französischen Parlament diskutiert. Die Linke versucht, mit einer systematischen Blockadepolitik eine Abstimmung im Senat wie in der Nationalversammlung zu verhindern.
Was treibt die Reformgegner an?
Der Hauptwiderstand richtet sich gegen die Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre. Sie wird als massiver sozialer Rückschritt empfunden. Zudem scheint der Moment für eine solche Reform schlecht gewählt zu sein: Seit der Corona-Pandemie, der zunehmenden Zahl von Beschäftigten im Homeoffice und dem Hitzerekord des Sommers 2022 nimmt in Frankreich die Kritik am leistungsorientierten Gesellschaftsmodell zu. Viele junge Leute wollen weniger arbeiten – nicht länger. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die geplante Abschaffung der Sonderkassen namentlich für öffentlich Bedienstete. Die Pariser Metro-Angestellten und gewisse Lokführer:innen können heute schon ab 50 in Rente gehen. Die Regierung entgegnet, dass auch in diesen Berufen nun zwei Jahre länger gearbeitet werden müsse.
Welche Bevölkerungsteile sind besonders betroffen?
Laut den Gewerkschaften sind es schlechter Verdienende mit körperlich anstrengenden Jobs: Sie hätten eine geringere Lebenserwartung, weshalb 25 Prozent von ihnen schon vor Erreichen des 64. Lebensjahres stürben. Bei den Büroangestellten liege diese Zahl bei fünf Prozent. Frauenverbände warnen zudem, Mütter hätten in der Reform mehr zu verlieren als andere, da ihre Beitragsjahre durch die Kinderbetreuung häufig unterbrochen würden. Die Regierung will diesem Umstand mit neuen Konzessionen Rechnung tragen.
Besonders hart treffen würde die Reform auch Frankreichs Seniorinnen und Senioren. Sie werden von ihren Arbeitgebern häufiger als in anderen Ländern entlassen: Von den über 55-Jährigen sind in Frankreich nur 56 Prozent beruflich aktiv. Die Regierung scheint das aber erst in der Parlamentsdebatte gemerkt zu haben: Sie will nun Unternehmen mit Bußgeldern dazu anhalten, einen Mindestanteil an Senior:innen zu beschäftigen, und plant für sie einen speziellen Arbeitsvertrag mit Schutzwirkung.
Junge Leute sind von der Reform dagegen nicht über Gebühr betroffen. In den Demonstrationszügen sind aber auch sie stark vertreten. Viele wenden sich gegen die „produktivistische“ Grundhaltung der Reform. Eine junge Frau, die nicht streikte, sagte fatalistisch, wenn sie einmal mit 64 den Ruhestand erreicht habe, gebe es wohl ohnehin kein Rentensystem mehr.
Wie reagiert Macron auf die massiven Proteste?
Der unpopuläre Präsident hält sich bewusst aus der Schusslinie. Seiner Regierung gelingt es indessen nicht, das Reformziel der Bevölkerung näherzubringen. Ein Minister räumte ein, die Kommunikation sei „schlecht, was aber bei einem so unpopulären Thema gar nicht anders möglich“ sei. Premierministerin Elisabeth Borne hat es nicht einmal geschafft, „linke“ Aspekte der Reform – wie etwa die Einführung einer Mindestrente von 1200 Euro – zu verkaufen: Bis heute ist unklar, wie weit die Ausnahmen von dieser sehr teuren Maßnahme gehen werden. Um das Gesamtprojekt zu retten, muss Borne außerdem immer mehr Konzessionen machen. Sie beeinträchtigen sogar das Grundziel der Reform, einen ausgeglichenen Rentenhaushalt bis 2030 zu schaffen.
Kompliziert wird die Lage für Macron auch, weil sein Lager in der Nationalversammlung keine Mehrheit hat, weshalb der Präsident auf die Schützenhilfe der konservativen Republikaner angewiesen ist. Sie stellen erstaunlicherweise vermehrt soziale Rentenforderungen. Die Macronisten verdächtigen sie, die Regierung zu Fall bringen zu wollen.
Wie wird es weitergehen?
Die Gewerkschaft CGT ruft zumindest in der Pariser U-Bahn zur „unbefristeten“ Fortsetzung des Streiks auf. Linken-Chef Jean-Luc Mélenchon würde gerne die ganze Landeswirtschaft lahmlegen. „Blockiert so viel ihr könnt“, rief er am Wochenende einem studentischen Publikum zu. Die Regierung dagegen warnt vor einer Radikalisierung der Proteste, die schnell einmal in Gewalt und Krawalle ausufern könnten. Die Frage ist, für welche Seite das kontraproduktiv wäre. Vorläufig sind laut Umfragen bis zu 70 Prozent der Französinnen und Franzosen gegen die Reform.
1995 hatte der damalige Premierminister Alain Juppé eine ebenso unpopuläre Rentenreform nach dreiwöchigen Protesten und Sperren abblasen müssen. Macron allerdings kann sich einen Rückzieher politisch kaum leisten, stellt doch die Rentenreform das Kernstück seiner beiden fünfjährigen Amtszeiten dar. Die nächsten Tage dürften die Entscheidung bringen. Es wird zweifellos ein Kampf auf Biegen und Brechen.