Spielbälle des Weltmarkts

Die G7-Staaten beklagen ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von China. Doch das sind Klagen auf hohem Niveau, wie ein Blick auf ärmere Länder zeigt.
Auf dem Gipfeltreffen der G 7-Staaten an diesem Wochenende steht ein Thema im Zentrum: „Ökonomische Zwangsmaßnahmen“, und zwar gleich doppelt. Zum einen beraten die Regierungschefs darüber, wie die Wirtschaftssanktionen gegen Russland verschärft werden können. Zum anderen wollen sie neue Instrumente schaffen, mit denen China die Möglichkeit genommen werden soll, ökonomischen Zwang auf andere Länder auszuüben. Hintergrund der Bemühungen ist die Klage des Westens über seine ökonomische Abhängigkeit vom Reich der Mitte. Ein Blick auf die Realität zeigt allerdings, dass die G 7 hier auf hohem Niveau klagen.
Ende März hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gefordert, die EU müsse „wirtschaftlich unabhängiger von China“ werden. Und laut US-Außenminister Anthony Blinken „versucht China, sich unabhängiger von der Welt zu machen und die Welt abhängiger von China“. Die Klage gründet sich wesentlich auf Chinas Rohstoffvorkommen, insbesondere bei Seltenen Erden. Zudem ist das Land ökonomisch inzwischen so bedeutend, dass wirtschaftliche Sanktionen gegen China für den Westen teuer werden könnten – wesentlich teurer als im Falle Russlands. „Im Falle eines bewaffneten Konflikts um Taiwan wäre die deutsche Wirtschaft erpressbar, so Jürgen Matthes vom unternehmensnahen Institut IW.
Die beklagten ökonomischen Verbindungen bestehen zwar. Dass die Weltwirtschaftsmächte der G 7 allerdings nur in geringem Maße vom Ausland abhängig und erpressbar sind, zeigt der Vergleich mit anderen Ländern. Insbesondere der Globale Süden ist auf die Industrieländer wirtschaftlich angewiesen, schließlich sind sie als Gruppe der weltweit wichtigste Exportmarkt und Kreditgeber.
Krasse Formen der Abhängigkeit zeigt zum einen die Exportstruktur. Die Welthandels- und Entwicklungskonferenz (Unctad) klassifiziert 101 Staaten der Welt als „abhängig vom Rohstoffexport“, da ihre Ausfuhren zumindest zu 60 Prozent aus Öl, Gas, Metallen oder Agrarrohstoffen bestehen. Fast alle davon sind Entwicklungsländer, die nicht nur vom Rohstoffexport, sondern insbesondere von den Rohstoffpreisen abhängig sind. Diese schwanken an den globalen Börsen heftig auf und ab, abhängig von der Nachfrage und den Konjunkturen der Abnehmer in die Industrieländern.
„Diese Schwankungen sind für die Exporteure ein großes Problem“, notierte der Internationale Währungsfonds (IWF) im März. Denn sie führen zu starken Schwankungen der Staatseinnahmen in den betreffenden Ländern. Nicht nur mit deren Exporterlösen geht es stark auf und ab. Zudem führten gerade in der jüngsten Vergangenheit deutliche Preiserhöhungen zu stark steigenden Importkosten, die sich viele arme Länder kaum leisten könnten.
Viele arme Länder müssen inzwischen deutlich sparen, weil ihre Finanzen abhängig sind vom Zinsniveau in Europa und den USA. Steigende Zinsen im Norden verteuern zum einen die Auslandsschulden, deren Anteil in der Subsahara-Region 40 Prozent der Gesamtschulden beträgt. Zudem ziehen steigende Zinsen im Globalen Norden Kapital dorthin – um weitere Kredite zu bekommen und eine Kapitalflucht zu verhindern, müssen die armen Länder ihrerseits die Zinsen erhöhen, weit über das Niveau hinaus, zu dem sich die USA und Europa verschulden können. Laut der NGO Debt Justice wird Subsahara-Afrika dieses Jahr 17 Prozent seiner Staatseinnahmen für Zinsen ausgeben müssen.
Zudem, darauf wies der IWF diese Woche hin, stärken die steigenden US-Zinsen den Dollar, die Entwicklungsländerwährungen werten ab – so sind die Währungen Ghanas und Sierra Leones seit Januar um 45 Prozent abgestürzt. Das trifft die Bevölkerung hart: „Wenn Währungen gegenüber dem Dollar abwerten, steigen in dem Land die Preise, da vieles, was die Menschen dort kaufen, importiert werden muss“, erklärt der Fonds. Mehr als zwei Drittel aller Importe Subsahara-Afrikas werden in Dollar gehandelt.
In vielen armen Ländern ist die Finanzlage inzwischen so angespannt, dass sie sich beim IWF um Hilfskredite bemühen mussten. Stand März hatte der Fonds insgesamt 155 Milliarden Dollar vergeben, 93 Länder der Welt schulden ihm Geld – und sind damit implizit von den Industrieländern abhängig. „Das US-Außenministerium sieht sowohl den IWF wie auch die Weltbank als Instrumente, die außenpolitischen Ziele der USA zu unterstützen“, erklärt Morten Bøas, Professor am Norwegischen Institut für Internationale Angelegenheiten. Ein Arbeitspapier der Europäischen Zentralbank stellte 2008 fest, dass „geopolitische Erwägungen ein wichtiger Faktor bei den Entscheidungen zur Kreditvergabe des IWF sind“.
Eine weitere Abhängigkeit des Globalen Südens besteht schließlich durch die große Bedeutung der „Remittances“ – also den Heimatüberweisungen im Ausland lebender Staatsbürger:innen. Im Libanon erreichen Remittances 28 Prozent der Wirtschaftsleistung, der Wert für Länder wie El Salvador, Jamaika oder Honduras liegt bei über 25 Prozent. Laut Weltbank betrugen die Remittances 2022 global 626 Milliarden Dollar und „halfen in Krisenländern dabei, Armut zu lindern und Hunger zu bekämpfen“.
Damit sind viele Länder abhängig von der Migrationspolitik der reichen Länder sowie deren Bedarf an billiger Arbeitskraft aus dem Ausland.
