Schuften wie Sklaven

Sie pflücken Orangen, ernten Tomaten und holen Aprikosen vom Baum: In der italienischen Landwirtschaft arbeiten zehntausende Menschen unter sklavenähnlichen Bedingungen.
In aller Herrgottsfrühe, lange bevor es hell wird, stehen sie an Kreuzungen und Straßenecken und warten auf die Kleinbusse und Transporter, die sie auf die Felder und in die Weinberge bringen. Afrikaner, Bangladescher, Marokkaner, Osteuropäer und nach Jahren der Wirtschaftskrise immer mehr Einheimische sind darunter. Sie schuften als Tagelöhner in Italiens Landwirtschaft.
Eine halbe Million Saisonarbeiter sind illegal beschäftigt, bei der Trauben-, Oliven- und Orangenernte, auf Tomaten-, Zwiebel- und Erdbeerfeldern, in Pfirsich- und Aprikosenplantagen. Mindestens 100.000 von ihnen werden nach Schätzungen der Agrargewerkschaft Flai-Cgil extrem ausgebeutet. Für wenige Euro am Tag müssen sie zwölf Stunden und länger arbeiten. Wer sich beklagt, wird bedroht und körperlich misshandelt. Das so produzierte Obst und Gemüse landet auch in deutschen Supermärkten. Und kaum ein Verbraucher weiß, dass es durch die Hände moderner Sklavenarbeiter gegangen ist.
Paola Clemente war eine von ihnen. Die 49 Jahre alte Italienerin aus San Giorgio Jonico in Apulien, Mutter von drei Kindern, klappte im Juli zwischen den Weinreben bei 40 Grad im Schatten zusammen und starb. Sie war jahrelang mitten in der Nacht aus dem Haus gegangen, um in aller Frühe bei der Arbeit in den Feldern zu sein. „Wir brauchten das Geld, um zu überleben“, sagte ihr Mann in Interviews. Paola Clemente erhielt 27 Euro am Tag, ihr Stundenlohn lag zwischen 2,50 und drei Euro.
Im süditalienischen Apulien, dem Stiefelabsatz, sind in diesem Sommer noch vier weitere Feldarbeiter gestorben, ein Marokkaner, ein Tunesier, ein junger Flüchtling aus Mali und ein 42 Jahre alter Italiener. Das brachte das Thema in die Schlagzeilen, dabei ist die Ausbeutung im Agrarsektor seit Jahren bekannt. Aber im Gegensatz zu früheren Jahren sind nun auch Italiener betroffen.
Politik und Justiz versprechen zu handeln. Vor allem das kriminelle System des „Caporalato“, das in süditalienischen Regionen wie Apulien, Basilikata, Kalabrien und Sizilien verbreitet ist, soll stärker bekämpft werden. „Caporali“, so werden die Mittelsmänner genannt, die Saisonarbeiter anheuern und sie den Bauern liefern. Sie sammeln die billigen Hilfskräfte morgens ein und transportieren sie auf die Felder. Sie kassieren den Lohn bei den Landwirten und behalten einen Teil davon, oft ist es sogar die Hälfte.
Heer der Arbeitslosen ist riesig
Die idealen Opfer der Caporali sind die Zehntausenden illegal im Land lebenden Flüchtlinge sowie Asylbewerber, die nach sechs Monaten eine Arbeitserlaubnis bekommen. Auch italienische und osteuropäische Frauen werden gern angeheuert, vor allem für die Trauben- und Erdbeerernte, denn sie haben mehr Fingerspitzengefühl. Absurd ist, dass viele Erntehelfer den kriminellen Vermittlern sogar dankbar sind, wenn sie für wenige Euro am Tag schuften dürfen, wie der jüngste Report der italienischen Caritas zur Ausbeutung in der Landwirtschaft feststellte. Denn das Heer der Arbeitslosen in Süditalien ist riesig.
Afrikanische Flüchtlinge werden meist noch schlechter bezahlt als Italiener. Die katholische Ordensschwester Paola Palmieri, die sich in der apulischen Provinz Foggia um Feldarbeiter kümmert, berichtet von jungen Afrikanern, die von fünf Uhr morgens bis sieben Uhr abends Zwiebeln ernten und dann jeweils zehn Euro in die Hand gedrückt bekommen. „Und die Jungs bedanken sich noch. So groß ist ihre Verzweiflung.“ Manchmal wird auch gar kein Lohn für die harte Arbeit gezahlt, ein Illegaler kann sich schließlich schlecht wehren.
Zwei Drittel der Saisonkräfte leben laut Caritas unter katastrophalen Bedingungen: im Freien, in Zelten, selbstgezimmerten Baracken oder verlassenen Häusern, ohne Wasser, Strom und Toiletten. Im apulischen Rignano Garganico hausen schon seit Jahren rund 2000 afrikanische Feldarbeiter in einer Slumsiedlung.
Die Italienerin Paolo Clemente hatte kurz vor ihrem Tod ihren „Caporale“ angefleht, sie ins Krankenhaus zu bringen, sie fühle sich unwohl. Der Mann, ein Italiener, lehnte ab. Gegen ihn wird nun ermittelt. Seit 2011 gilt „Capolarato“ in Italien als Delikt und kann mit Haft zwischen fünf und acht Jahren bestraft werden. Doch der im Fall Clemente zuständige Staatsanwalt Carlo Maria Capristo klagt, die Ermittler stießen auf eine Wand aus Gummi. Die Feldarbeiter hielten den Mund, aus Angst, keine Jobs mehr zu bekommen. Es gilt die Omertá, die Schweigepflicht, genau wie bei der Mafia. „Die Leute verdienen lieber ein paar Groschen, als mit uns zusammenzuarbeiten“, sagt Capristo. Hilfsorganisationen vermuten, dass die Zahl der Todesfälle unter den Arbeitern sogar höher sein könnte als bekannt. In mindestens einem Fall gibt es Hinweise, dass die Leiche eines Afrikaners beseitigt wurde. Illegale Einwanderer sind ja nirgends registriert.
„Das Caporalato muss bekämpft werden wie eine Mafia“, sagt Italiens Agrarminister Maurizio Martina. Er hat auch mehr Kontrollen bei den Bauern angekündigt. Am 1. September wurde zudem gemeinsam mit den Gewerkschaften ein Netzwerk ins Leben gerufen, das landwirtschaftliche Betriebe mit ethisch korrekten Arbeitsbedingungen zertifizieren soll. Der italienische Agrarverband Coldiretti gibt allerdings zu bedenken, dass auch die Dumpingpreise für Obst und Gemüse das System der Ausbeutung am Leben erhalten. „Für ein Kilo Tomaten aus Apulien bekommen die Landwirte nicht mal acht Cent“, klagt Coldiretti-Präsident Roberto Moncalvo. Für Trauben und Orangen würde auch nicht viel besser bezahlt.