Finanzbildung an Schulen: „Es geht um unsere Zukunft!“

Finanzbildung ist wichtig, spielt aber im Lehrplan deutscher Schulen kaum eine Rolle. Schülerinnen aus Wiesbaden, die Chefinnen ihrer eigenen virtuellen Bank sind, wünschen sich Veränderung – und haben auch schon ein paar Ideen. Ein Interview von Antje Mathez
Schon in jungen Jahren, so heißt es, sollte man für das Alter vorsorgen, sich gegen Risiken wie den Verlust der Arbeitsfähigkeit absichern und sich um Himmels Willen nicht mit Ratenkäufen überschulden. Dafür braucht es ein Mindestmaß an Finanzbildung. Doch noch immer hat dieses wichtige Thema keinen Platz im Lehrplan deutscher Schulen.
Es scheint aber, als tue sich etwas: Das Bundesfinanzministerium und das Bildungsministerium haben kürzlich eine Initiative zur Stärkung der finanziellen Bildung gestartet. Ausgearbeitet werden soll nicht weniger als eine nationale Finanzbildungsstrategie. Darüber diskutierten Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit Vertreter:innen der Deutschen Bundesbank, der Finanzaufsicht, der Uni Mannheim und verschiedener privater Initiativen für wirtschaftliche Jugendbildung. Nicht mitreden durfte: die Schülerschaft.
Die FR hat das nachgeholt und Schülerinnen der zehnten Klasse der Integrierten Gesamtschule Alexej von Jawlensky in Wiesbaden nach ihrer Meinung zur Finanzbildung gefragt. Das Besondere: Die Schülerinnen nehmen beim jährlichen Planspiel „Schulbanker“ des Bundesverbands deutscher Banken teil.
Mia, Melina, Zahra und Lea, ihr seid beim Bankenplanspiel „Schulbanker“ dabei und habt euch für die Endrunde qualifiziert. Was genau waren eure Aufgaben?
Melina: Wir haben eine imaginäre Bank geführt. Das heißt, wir haben zum Beispiel Kredite ausgegeben, Zinssätze festgelegt, mit Aktien gehandelt, darüber entschieden, wie viele Filialen die Bank hat, und nach jeder Woche eine Bilanz erstellt.
Hört sich kompliziert an. Wie habt ihr euch darauf vorbereitet?
Mia: Das war schon ganz schön viel Arbeit, weil wir uns natürlich in alles reinlesen mussten. Es gibt zwar ein Handbuch vom Bankenverband zum Planspiel, aber man muss ja erst mal die vielen Fachbegriffe verstehen, die da verwendet werden. Zum Beispiel: Was ist Eigenkapital, was Fremdkapital und so weiter. Das hat uns dann aber unsere Lehrerin alles erklärt und wir haben uns auch privat informiert.
Und? Wer von euch möchte jetzt eine Bankkarriere starten?
Mia: Ich jedenfalls nicht.
Lea : Ob ich das mal machen will, weiß ich jetzt noch nicht. Aber zwei von uns haben im nächsten Jahr Wirtschaft und Verwaltung gewählt und ich kann mir gut vorstellen, das Pflichtpraktikum in einer Bank zu machen.
Es fällt auf, dass ihr eine reine Mädchengruppe seid. Hatten die Jungs keine Lust?
Zahra: Doch, es gab auch Gruppen mit Jungs. Bei uns hat ja der ganze Jahrgang beim Bankenplanspiel mitgemacht. Aber die waren nicht so erfolgreich wie wir.
Wie würdet ihr denn grundsätzlich eure schulische Finanzbildung beurteilen? Kommt das Thema Finanzen in eurem normalen Unterricht irgendwo vor?
Mia: Wir haben in unserer Schule die Wahl zwischen Französisch, Spanisch oder Arbeitslehre. Wir vier haben Arbeitslehre gewählt und fühlen uns damit ganz gut auf Finanzfragen, die einem später begegnen können, vorbereitet. Bei den Schülern, die eine Sprache gewählt haben, ist das aber eher nicht der Fall. Wenn wir uns in den Pausen über das Bankenplanspiel unterhalten, heißt es oft: „Davon haben wir noch nie was gehört, könnt ihr uns das mal erklären?“
Melina: Der Arbeitslehre-Unterricht hilft uns auf jeden Fall. Wir haben den Wirtschaftskreislauf durchgenommen und im Vorfeld des Bankenspiels darüber gesprochen, was man als Kunde einer Bank so wissen muss; also wie man Überweisungen macht, was eine Lastschrift ist, was ein Dispositionskredit und so weiter.
Was ist mit Themen wie Finanzkauf, private Altersvorsorge oder Versicherungen?
Lea: Keine Ahnung! Ich glaube, ich spreche für uns alle, wenn ich sage, dass wir ja noch nicht so viel mit Finanzen und Verträgen und so zu tun haben – einfach, weil unsere Eltern das alles machen. Ich habe aber ein eigenes Konto und eine Karte und muss selbst den Überblick über meine Finanzen haben.
Zur Person
Zahra, Melina, Mia und Lea sind Schülerinnen der zehnten Klasse der Integrierten Gesamtschule Alexej von Jawlensky in Wiesbaden. Eigentlich gehört zum Team auch noch Michelle, doch die Fünfte im Bunde, konnte an dem Gespräch nicht teilnehmen. Die 16-Jährigen sind seit November im Rahmen des Bankenplanspiels Schulbanker die Chefinnen ihrer eigenen virtuellen Bank.
Das Bankenplanspiel Schulbanker wird in diesem Jahr zum 25. Mal vom Bundesverband deutscher Banken (BdB) organisiert. Es richtet sich an Schülerinnen und Schüler zwischen 14 und 21 Jahren der Jahrgangsstufen neun bis 13 an Schulen in Deutschland, Österrreich und der Schweiz. Die Schülerinnen und Schüler sollen praxisnah Wirtschaft erleben. Sie analysieren Bilanzen, prüfen Liquidität und Zinsspannen, vergeben Kredite und schnüren Aktienpakete. Der BdB engagiert sich mit vielen Projekten für die Verbesserung der Finanzbildung und setzt sich für ein Schulfach „Wirtschaft“ ein.
Insgesamt haben in diesem Jahr 2302 Schülerinnen und Schüler an dem Planspiel teilgenommen. In sechs Spielrunden, die jeweils ein Geschäftsjahr der Bank darstellen, wurden die 20 Teams ermittelt, die ihre Bank am erfolgreichsten geführt haben. Sie haben sich damit für das Finale am 13. und 14. Mai in Berlin qualifiziert. Die Gewinner werden am 15. Mai bekannt gegeben. jes
Wo informiert ihr euch über Finanzthemen, die euch interessieren?
Melina: Bis jetzt habe ich mich eigentlich nicht so sehr dafür interessiert. Aber bei dem Planspiel haben wir es ja mit vielen Fremdwörtern zu tun. Die haben wir im Internet nachgeschaut – aber nicht bei Tiktok oder Instagram, weil ich persönlich finde, dass das nicht so seriöse Quellen sind und dort oft Fake News verbreitet werden.
Mia: Ja, jetzt wo wir uns viel mit Themen wie Aktienhandel und so beschäftigt haben, merkt man, dass vieles, was bei Instagram oder Tiktok veröffentlicht wird, einfach nicht stimmt. Bei Tiktok gibt es zum Beispiel die Rubrik „Selfmade“. Da erzählen dann junge Leute, dass sie mit Aktienhandel viel Geld gemacht haben und versuchen so, andere Jugendliche auf ihre Accounts zu locken. Da heißt es dann: Auch wenn es mit der Schule nicht so läuft, kannst du in zwei, drei Jahren Millionär werden. Und es gibt viele Jugendliche in unserem Alter, die darauf reinfallen. Deshalb wäre es eigentlich schon gut, wenn man sich privat mehr mit solchen Themen auseinandersetzen würde.
Melina: Kaufen und Verkaufen ist ein großes Thema bei Tiktok. Man wird dazu angehalten, Waren zu kaufen und teurer weiterzuverkaufen. Meistens sind das Leute so um die zwanzig, die behaupten, dass sie damit Millionäre geworden sind, und anderen ihre Hilfe anbieten, damit sie auch reich werden. Und man merkt schon, dass viele in unserem Jahrgang und auch Jüngere daran glauben und sich darauf ausruhen, statt das mal zu hinterfragen.
Finanzbildung in Eigenregie ist aber eine komplizierte Sache. Sollte das nicht Teil des Lehrplans sein und nicht nur abhängig vom Engagement eurer Lehrerinnen und Lehrer?
Mia: Auf jeden Fall! Es geht dabei ja um unsere Zukunft! Und wenn es nur für ein oder zwei Jahre ist. In der neunten und zehnten Klasse ein paar Grundlagen beigebracht zu bekommen, damit wäre schon vielen geholfen.
Zahra: Ich finde, das Thema muss man schon in der achten Klasse behandeln, weil viele ja schon nach der Neunten die Schule verlassen und eine Ausbildung beginnen.
Melina: Ein Fach Finanzbildung an der Schule wäre schon gut, damit man auf die Zukunft vorbereitet ist. Jetzt, in der zehnten Klasse, ist diese besagte Zukunft halt auch schon sehr nah. Viele müssen sich jetzt mit Ausbildungsverträgen beschäftigen, andere, die auf die Fachoberschule gehen, mit Verträgen für das Jahrespraktikum. Und es gibt ja auch Schüler, die mit 18 ausziehen wollen. Da sollte man schon wissen, worauf man bei einem Mietvertrag achten muss.
Kürzlich haben sich das Finanz- und das Bildungsministerium zusammengetan, um eine Initiative zur Stärkung der finanziellen Bildung zu starten. Schülerinnen oder Schüler waren dort aber nicht vertreten. Würdet ihr euch wünschen, dass ihr beteiligt werdet?
Mia: Also ich fände es schon ziemlich cool, wenn die Schülerinnen und Schüler über sich beziehungsweise ihre Zukunft mitentscheiden könnten und das nicht andere für sie erledigen – zumindest, dass man mal eigene Ideen einbringen kann.
Und? Habt ihr diesbezüglich Ideen?
Mia: Nichts gegen andere Unterrichtsfächer, aber Fächer wie Musik oder Kunst zum Beispiel bereiten kreative Menschen, die das beruflich machen möchten, eventuell auf die Zukunft vor, aber nicht den Großteil der Schüler. Vielleicht könnte man ab der neunten Klasse statt Kunst und Musik einfach Finanzlehre oder generell Arbeitslehre unterrichten. Ich finde, das macht mehr Sinn – und Kunst und Musik hatte man dann ja schon seit der ersten Klasse.
Melina: Oder man könnte aus der Doppelstunde Musik eine Einzelstunde machen und die zweite Stunde durch Finanzlehre ersetzen.
Lea: Ich finde, man könnte vielleicht Kurse in der nullten Stunde anbieten. Das gibt es bei uns an der Schule schon für Sprachen und andere Fächer. Aber das kommt auch immer auf die Lehrer an, ob sie Zeit und Lust dazu haben.
Zurück zum Bankenplanspiel, bei dem ihr es ja sogar ins Finale geschafft habt: Was bringt euch das konkret?
Melina: Als Kunde mal einen Einblick zu bekommen, wie eine Bank funktioniert, finde ich für mich persönlich gut, weil ich demnächst ein Bankkonto eröffnen muss und ich mich jetzt in dem Umfeld sicherer bewegen kann.
Lea: Ich habe ja schon mein eigenes Konto, aber mir gibt das auch mehr Sicherheit. Außerdem finde ich es gut, dass ich jetzt zu Hause besser mitreden kann. Mein Vater kennt sich ganz gut mit Aktien aus und bei uns wird am Esstisch viel über Finanzen gesprochen. Jetzt verstehe ich auch, worüber die da reden.
Mia: Ich finde es interessant, dass ich mich jetzt ein bisschen im Aktiengeschäft auskenne, weil ich ja später auch mein Geld gewinnbringend investieren möchte.
Zahra: Und außerdem haben wir eine Reise nach Berlin gewonnen.