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So schnell rutschen Leiharbeiter in Hartz IV ab

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Von: Stefan Sauer

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Hartz-IV-Familien erlitten vor dem Bundesgerichtshof einen herben Rückschlag.
Hartz-IV-Familien erlitten vor dem Bundesgerichtshof einen herben Rückschlag. © dpa

Die gesetzliche Hürden für den Bezug von Arbeitslosengeld I sind für Leiharbeiter meist zu hoch. Zwar existiert seit Jahren eine Sonderregelung - doch diese bleibt wirkungslos.

Fast 130.000 Leiharbeitsbeschäftigte, die im vergangenen Jahr arbeitslos wurden, erhielten keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Stattdessen rutschten sie nach Ende des Arbeitsverhältnisses direkt in den Hartz-IV-Bezug.

Ursache sind die gesetzlichen Hürden für den Bezug von Arbeitslosengeld I (ALG I): Für die 24 Monate vor Eintreten der Erwerbslosigkeit müssen die Betroffenen sozialversicherungspflichte Beschäftigungsverhältnisse mit einer Gesamtdauer von mindestens einem Jahr nachweisen, um die gegenüber Hartz IV vergleichsweise hohe Arbeitslosenversicherungsleistung in Höhe von 60 Prozent (für Kinderlose) oder sogar 67 Prozent (mit unterhaltspflichtigen Kindern) des vorangegangenen Nettoeinkommens zu erhalten.

Eben dieser Nachweis gelingt vielen Leiharbeitnehmern nicht, da in der Branche kurze Beschäftigungszeiten eher die Regel als die Ausnahme sind: Knapp ein Drittel aller Leiharbeitsverhältnisse enden bereits innerhalb von 30 Tagen, weitere 19 Prozent vor Ablauf von drei Monaten.

"Eklatante Schieflage im System"

Bei solcher Fluktuation binnen zweier Jahre auf zwölf Arbeitsmonate zu kommen, ist keine Kleinigkeit. In der Folge waren 2016 genau 129.516 Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer unmittelbar nach dem Verlust ihres Jobs auf Hartz IV angewiesen. Das entspricht 38 Prozent aller Leiharbeitskräfte, die sich im vergangenen Jahr bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) erwerbslos meldeten.

Wie extrem hoch dieser Anteil ist, verdeutlicht eine zweite Zahl: Jeder vierte der insgesamt 509.268 Menschen, die 2016 sofort nach dem Ende ihrer Arbeitsverhältnisse Hartz-IV-Leistungen erhielten, war zuvor als Leiharbeitskraft beschäftigt. Dabei sind gerade einmal 2,7 Prozent aller Beschäftigten auf Verleihbasis tätig.

Nach Ansicht der arbeitsmarktpolitischen Sprecherin der Grünen, Brigitte Pothmer, sind die Daten Beleg für „eine eklatante Schieflage im System“. Es könne nicht sein, „dass ausgerechnet diejenigen, die am flexibelsten arbeiten, das höchste Risiko tragen, bei Arbeitslosigkeit direkt ins Hartz-IV-System zu rutschen“, sagte Pothmer der Frankfurter Rundschau. Die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen für ALG I müssten daher grundlegend reformiert werden. Demnach soll bereits eine viermonatige Beschäftigung innerhalb von zwei Jahren ausreichen, um für zwei Monate ALG I zu erhalten.

Mit längeren Beschäftigungszeiten soll auch die Dauer des ALG-I-Bezugs schrittweise ansteigen: Für zwei Monate zusätzlicher Beschäftigung würde es einen Monat länger ALG I geben. Zudem müssten Leiharbeitsbeschäftigten vom ersten Tage an genauso bezahlt werden wie Stammkräfte des entleihenden Unternehmens.

Eine 2009 in Kraft getretene Sonderregelung für Beschäftigte mit regelmäßig sehr kurz befristeten Arbeitsverträgen, die nur sechs Monate Beschäftigung in zwei Jahren zur Voraussetzung des ALG-I-Bezugs festlegt, ist laut Pothmer wirkungslos geblieben.

In der Tat lassen die Daten der BA kaum einen anderen Schluss zu. Zwischen dem 1. April 2015 und dem 31. März 2016 wurden auf Basis der Ausnahmeregelung bundesweit 239 Anträge bewilligt. In den Jahren zuvor waren es zwischen 219 und 295 Fälle.

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