Schlingerkurs bei der Gentechnik
Deutschland hat in der EU einer Zulassungsverlängerung für eine Gen-Rübe zugestimmt. Jetzt überdenkt die Regierung ihr Votum. Die Analyse.
Bisher folgten Abstimmungen über die Zulassung gentechnisch veränderter Lebensmittel auf EU-Ebene zuverlässig einem Muster: Manche Staaten votierten dafür, andere dagegen – und Deutschland enthielt sich, weil in der Bundesregierung kein Einvernehmen herrschte. Denn während die Union der „grünen Gentechnik“ tendenziell positiv gegenübersteht, lehnt die SPD gegen den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft ab. In der vergangenen Legislaturperiode standen sich zumeist das CSU-geführte Landwirtschaftsministerium (BMEL) unter Christian Schmidt und das SPD-geführte Umweltressort (BMU) unter Barbara Hendricks gegenüber. So war das.
In der mittlerweile vierten schwarz-roten Koalition ist nun Julia Klöckner (CDU) für Landwirtschaft, Svenja Schulze (SPD) für Umwelt zuständig. Auch das deutsche Abstimmungsverhalten in Brüssel hat sich geändert: Am 19. März, fünf Tage nach der Vereidigung des Kabinetts, stimmte der deutsche Vertreter im EU-Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebens- und Futtermittel (Scopaff) der weiteren Zulassung einer genmanipulierten Zuckerrübe zu, genauer: Ein Vertreter des federführenden BMEL hob die Hand für die verlängerte Zulassung von Lebens- und Futtermitteln, die Bestandteile der Zuckerrübe H7-1 enthalten.
Die Pflanze ist gegen Glyphosat resistent. Letztmals war das hoch umstrittene Pestizid in die Schlagzeilen gelangt, als Ex-Agrarminister Schmidt im Dezember als letzte Amtshandlung der Zulassung von Glyphosat um weitere fünf Jahre zustimmte – gegen den ausdrücklichen Widerstand der SPD und einer Weisung aus dem Kanzleramt.
Vor diesem Hintergrund schrillten bei den Grünen alle Alarmglocken. Sollte Klöckner gleichsam „den Schmidt“ gemacht und im Alleingang für die Gen-Rübe gestimmt haben, müsse die SPD „schon jetzt den Koalitionsaufstand“ wagen, forderte Harald Ebner, Gentechnik-Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. „Frau Klöckner zeigt damit gleich mal, wo ihre politischen Prioritäten liegen – bei der Agrarindustrie und nicht bei den Verbrauchern“, schäumte Parteikollege Oliver Krischer.
Ganz so arg scheint die Sache indes nicht zu sein. Das Landwirtschaftsministerium ließ Ebner wissen, es handele sich lediglich um die Verlängerung einer bereits 2007 erteilten Zulassung, die sich zudem nicht auf den Anbau der Rübe oder den Import „lebender Pflanzenteile“ beziehe, sondern lediglich auf die Einfuhr verarbeiteter Lebensmittel, in denen H7-1 enthalten ist. Das deutsche Votum sei in der Regierung abgestimmt gewesen. Alles ganz normal?
Zumindest nicht aus Sicht der EU. Im Sitzungsprotokoll der Scopaff-Abstimmung findet sich die Anmerkung, Deutschland habe mit seinem Ja für eine Überraschung gesorgt. Ebner ist denn auch keineswegs beruhigt: „Für mich stellt sich die grundsätzliche Frage, wie die neue Bundesregierung mit dem Thema Gentechnik umgeht.“
Zur Klärung der deutschen Position trägt vermutlich die erneute Abstimmung zu H7-1 im EU-Berufungsausschuss bei, die wegen fehlender Mehrheiten im Scopaff notwendig geworden war. Nun heißt es aus der Regierung plötzlich, dass die Positionierung Deutschlands für das Votum vom heutigen Tage noch offen sei, es stehe „noch nicht fest“. Ganz so selbstverständlich, wie Fuchtel das deutsche Ja vom 19. März darstellte, ist es wohl doch nicht.