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Sauerstoff für den Notfall

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Von: Antje Mathez

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Montage eines Beatmungsgerätes bei Drägerwerk.
Montage eines Beatmungsgerätes bei Drägerwerk. © Drägerwerk

Der Medizintechnikkonzern Drägerwerk rückt in den Global Challenges Index auf.

Medizintechnik ist in Pandemiezeiten ein kostbares Gut. Während Ärzteschaft und Pflegepersonal besonders in der Intensivmedizin zum Teil erheblich mehr arbeiten mussten und müssen, profitieren die Firmen, die das nötigte medizinische Material und die Technik liefern. Dazu gehört auch der Konzern Drägerwerk, der Beatmungsgeräte und Atemschutzmasken herstellt. Doch nicht die Geschäftszahlen der 1889 gegründeten Lübecker Firma sind hier das Thema. Es geht vielmehr um Nachhaltigkeit: Drägerwerk wird an diesem Freitag in den Global Challenges Index (GCX) aufgenommen.

Der Nachhaltigkeitsindex, den die Frankfurter Rundschau täglich auf ihrer Börsenseite abbildet, wird alle sechs Monate einer Prüfung unterzogen – wer die nicht besteht, wird ersetzt. So geschehen beim aktuellen Rebalancing: Erwischt hat es diesmal Tarkett, ein Hersteller von Bodenbelägen aller Art, der erst im September 2019 den Sprung in den GCX geschafft hatte. Den Index verlassen muss das Unternehmen aufgrund einer Kapitalmaßnahme, die dazu geführt hat, dass die Zahl der frei handelbaren Aktien unter 15 Prozent gesunken sind. Damit verstößt Tarkett zwar nicht gegen Nachhaltigkeitskriterien des GCX, wohl aber gegen die Mindestanforderungen zur Marktkapitalisierung.

Debatte über Greenwashing

Beim Stichwort Nachhaltigkeitskriterien stellt sich die Frage: Was ist eigentlich nachhaltig? Und wie können Anlegerinnen und Anleger sicher sein, dass ihr Geld in die gewünschte Bahn gelenkt wird? Pessimisten mögen angesichts der jüngsten Ereignisse bei der Deutsche Bank-Tochter DWS feststellen: gar nicht. Deutschlands Nummer eins der Fondsgesellschaften, die, wie ihr Chef Asoka Wöhrmann regelmäßig betont, „Nachhaltigkeit zum Kern des Handelns“ macht, wird von ihrer ehemaligen Nachhaltigkeits-Chefin Greenwashing vorgeworfen. Demnach soll die DWS deutlich weniger Geld nachhaltig angelegt haben als angegeben. Der Vermögensverwalter weist das von sich. Es heißt, US-Justizministerium und Börsenaufsicht stellen Untersuchungen an.

Ob es nun stimmt oder nicht, der Fall beschert Anbietern nachhaltiger Geldanlagen ein Glaubwürdigkeitsproblem. Dadurch würde „in der öffentlichen Diskussion teilweise der Eindruck erweckt, als ob Greenwashing allgemein üblich wäre. Damit wird automatisch eine ganze Branche unter Generalverdacht gestellt“, sagt Hendrik Janssen, Chef der Börse Hannover, die den GCX 2007 lanciert hatte. Was zum Thema Nachhaltigkeit bis heute fehle, seien klare und verbindliche Standards, so Janssen zur FR. Hier sei der Gesetzgeber gefragt.

Das Problem ist die fehlende Taxonomie

„Genau da liegt der Hase im Pfeffer: bei der fehlenden Taxonomie“, bestätigt der Geschäftsleiter von Primafonds, Jan-Peter Schott, einem Anbieter von Fondsprodukten, die den GCX als Basis nutzen. Die EU hat zwar eine Taxonomie beschlossen, um grüne oder nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten allgemeingültig zu klassifizieren. Die dort genannten Umweltziele sind aber noch nicht abschließend ausformuliert. „Deshalb ist das Hauptproblem derzeit, dass niemand genau weiß, wo die Messlatte anzulegen ist. Die Folge ist, dass wir gar nicht genau sagen können, ab wann wir es mit Greenwashing zu tun haben“, so Schott.

Ein Glaubwürdigkeitsproblem für den GCX und die Produkte darauf sieht der Börsenchef Jannsen dennoch nicht. Denn die 50 im Index gelisteten Unternehmen werden nach strengen Richtlinien bewertet. Einerseits müssen sie sich der Bewältigung von sieben globalen Herausforderungen widmen. Dazu gehören etwa der Klimawandel, der Kampf gegen Armut und Korruption und das Schrumpfen der Biodiversität. Andererseits dürfen sie – selbst wenn sie besonders nachhaltig und ressourcenschonend arbeiten – keines der Ausschlusskriterien erfüllen. Dazu zählen beispielsweise Geschäfte mit der Atom- oder Rüstungsindustrie, das Tolerieren von Kinderarbeit in der Lieferkette oder Gentechnik.

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Ausgewählt werden die Unternehmen von der renommierten Nachhaltigkeitsratingagentur ISS ESG (früher Oekom Research), hinzu kommt ein unabhängiger Expertenbeirat, der die Auswahl von Unternehmen begleitet. „Die Methodologie der ESG-Bewertung durch ISS ESG wurde im Laufe der Jahre permanent angepasst und auch die Ausschlusskriterien wurden erweitert und verschärft“, erklärt Janssen. Daher entspreche die ESG-Qualität des Index nicht nur den Markterwartungen, sondern gehöre eindeutig zur Spitzengruppe. „Das wird regelmäßig durch unabhängige Dritte wie das FNG (Forum nachhaltige Geldanlagen d. Red.) und Finanztest bestätigt.“ Tatsächlich erhielten zwei Fonds, die in den GCX investieren, im September von „Finanztest“ eine Nachhaltigkeitsbewertung von 91 und 92 Prozent sowie fünf von fünf möglichen Punkten.

Neueinsteiger Drägerwerk, der neben Produkten für die medizinische Akutversorgung auch Lösungen für den Feuerwehrbedarf und industriellen Arbeitsschutz anbietet, fördert laut Börse Hannover „mit seinem Produkt- und Dienstleistungsangebot Nachhaltigkeit und trägt zur Bewältigung globaler Herausforderungen bei“. Konkret hat sich das familiengeführte Unternehmen, das weltweit rund 15 000 Beschäftigte zählt, eine bessere Gesundheitsversorgung der Menschen auf die Fahne geschrieben. Zudem trägt das Angebot in der Sicherheitstechnik dazu bei, Emissionen von Schadstoffen und Schadensereignisse zu verhindern. Aber man kehrt auch vor der eigenen Tür: Bis 2025 will Drägerwerk die CO2-Emissionen um 29 Prozent gegenüber 2015 verringern – und zwar ohne den Zukauf von Zertifikaten.

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