„RWE versucht, die Leute zu brechen“

Eckardt Heukamp ist als letzter Bauer am Braunkohletagebau Garzweiler eine Symbolfigur der Klimabewegung. Doch jetzt gehört sein Hof dem Energiekonzern. Ein Gespräch über hartnäckigen Widerstand und was er bewirken kann – trotz einer Niederlage
Eckardt Heukamp, Jahrgang 1964, ist der letzte Landwirt des Erkelenzer Ortsteils Lützerath im Südwesten des Braunkohletagebaus Garzweiler. Sein Hof, der denkmalgeschützte Duisserner Hof, ist am ersten September nach langwieriger juristischer Auseinandersetzung in den Besitz des Tagebaubetreibers RWE Power übergegangen. Bis Anfang Oktober muss Eckardt Heukamp den Hof verlassen, der an dieser Stelle seit dem 13. Jahrhundert existiert und ursprünglich zum Besitz des Zisterzienserinnen-Klosters in Duisburg-Duissern gehörte. Das heutige Wohngebäude stammt aus dem Jahr 1763. Historiker:innen vermuten zudem, dass eine große Erdmulde auf dem Hofgelände der Rest einer römischen Lehmkuhle ist – also eines antiken Tagebaus.
Ende 2020 stellte Eckardt Heukamp Aktivist:innen der Klimagerechtigkeitsbewegung einige Nebengebäude und eine große Wiese zur Verfügung. Es entstanden Baumhäuser und ein Hüttendorf, und Lützerath wurde nach dem Hambacher Wald zum neuen Zentrum des Widerstands gegen die Braunkohlegewinnung und -verstromung. Im Juni 2021 erklärte eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung die Straße vor dem Ort zur buchstäblichen 1,5-Grad-Grenze, deren Überschreitung nicht nur energiepolitisch unnötig sei, sondern auch eine Einhaltung der Pariser Klimaschutzziele unmöglich machen würde. Neuere Studien sehen selbst angesichts der aktuellen Energiekrise die Versorgungssicherheit bei einem Erhalt Lützeraths nicht gefährdet. Im Juli 2022 befürwortete der Deutsche Bundestag im Text des Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetzes „den Erhalt des Dorfes Lützerath am Tagebau Garzweiler und den Verzicht auf die Nutzung der Braunkohle unter dem Dorf“. Gleichzeitig betont der neue NRW-Umweltminister Oliver Krischer (Grüne): „RWE hat das Recht, die Kohle dort abzubaggern. Das ist durchgeklagt. Also ist diese Frage nur im Gespräch mit RWE zu klären.“ Diese Gespräche finden aktuell statt und sollen bis Ende Sptember abgeschlossen sein.

Herr Heukamp, Sie begehen in diesem Jahr eine Art Jubiläum. Vor genau zehn Jahren hat RWE in Borschemich zum ersten Mal einen Enteignungsprozess gegen Sie begonnen – und hatte Erfolg. Wie ist es dazu gekommen, dass sich nun die Geschichte in Lützerath für Sie wiederholen konnte?
Es ist für RWE etwas ganz anderes, Ersatzflächen für einen landwirtschaftlichen Betrieb zu finden, als eine Familie umzusiedeln. Da baut man nicht einfach ein Haus, und dann kommt der Umzugswagen. Natürlich ziehe ich auch mit meinem Hausrat um, aber dazu kommt der Maschinenpark, der untergebracht werden muss. Und dann die Felder. Ackerland ist in Deutschland rar, gutes Ackerland erst recht, und der Löß, den wir hier im Rheinischen Revier haben, gehört zu Deutschlands besten Böden. Das ist eigentlich unersetzlich. Was mir dafür an Ersatz angeboten wurde, ist kein Vergleich. Einmal haben sie mich bis nach Brandenburg geschickt, da stand ich dann in einer Sandwüste. Nein, einen solchen Betrieb gibt man nicht einfach so auf. In Borschemich ist es zu einer Einigung mit RWE gekommen, und ich bin 2015 auf den alten Hof meiner Familie nach Lützerath gezogen. Da lag der Tagebau noch weit auf der anderen Seite der A61, und vielleicht habe ich auch ein wenig gehofft, dass die Autobahn die Grenze bleiben würde. Aber auch die ist ja inzwischen Geschichte.
Haben Sie den Prozess und die Niederlage diesmal anders erlebt?
In Borschemich hat mich ein Anwalt aus Köln unterstützt, und ich fühlte mich juristisch gut aufgehoben. Diesmal hatte die Unterstützung eine ganz andere Qualität. Schon bevor das Land NRW und der Konzern das Enteignungsverfahren gegen mich in die Wege geleitet haben, sind die ersten Aktivisten nach Lützerath gekommen, mit der Dauermahnwache an der L277. Ich habe ihnen dann erst Wohnraum und später auch meine Wiese zur Verfügung gestellt, wo sie ihr Hüttendorf und die Baumhäuser gebaut haben. Als dann das Verfahren begann, hatte ich zwei Möglichkeiten: zu akzeptieren oder dagegen anzugehen. Die Aktivisten haben mir geholfen, kundige Anwälte zu finden, und sie haben während des ganzen Prozesses hinter mir gestanden – auch als ich am Ende verkauft habe und auch jetzt noch. Ich gehe oft abends an die Mahnwache, oder wir sitzen am Lagerfeuer, quatschen und trinken ein Bierchen zusammen. Es wird auch für mich ein ziemlicher Riss werden, wenn diese Gemeinschaft zerstört wird. Es ist eine Gegenseitigkeit: Ohne mich hätten die Aktivisten hier nicht Fuß fassen können; ohne die Aktivisten wäre Lützerath nicht dieser Symbolort gewesen.

Wie haben Sie in dieser Zeit Ihren Betrieb weitergeführt?
Ich habe erst Kartoffeln angebaut und jetzt Weizen. Durch die Ukrainekrise ist das ja noch dringender geworden, auch wenn wir hier in Deutschland vergleichsweise Luxusprobleme haben. Die Bürger geben hier im Schnitt etwa zehn Prozent ihrer Lebenshaltungskosten für Lebensmittel aus; das ist relativ wenig und wird jetzt eben etwas mehr. Aber in Afrika sind durch den Ausfall der ukrainischen Landwirtschaft Menschenleben akut bedroht. Ich konnte jetzt noch 25 Hektar Weizen ernten, danach werden die Felder zerstört. Es war immer klar, dass der Verlust der Felder überhaupt nicht zu verhindern sein würde. Natürlich gibt es auf der anderen Seite des Tagebaus rekultivierte Flächen; dort habe ich auch etwas gepachtet. Aber die Qualität des Bodens dort ist mit dem, was hier abgebaggert wird, nicht zu vergleichen. Und es ist mit den schweren Maschinen jedesmal ein weiter Weg dorthin.
Denken Sie also manchmal ans Aufhören?
Ja und nein. Den Hof, den RWE mir jetzt übergangsweise hier in der Nähe zur Verfügung gestellt hat, muss ich in zwei Jahren wieder verlassen. Bis dahin kann ich dort zur Miete wohnen und meine Geräte unterbringen. Mit meinen Geschwistern besitze ich noch ein Grundstück in Keyenberg, dem Nachbardorf, das jetzt vor dem Tagebau gerettet ist. Vielleicht baue ich mir dort etwas auf, aber erst, wenn geklärt ist, was aus dem Ort wird. Teile der Politik sehen ihn ja schon als lukratives Gewerbegebiet. Und die Bürokratie in der Landwirtschaft wird auch nicht weniger. Statt mich auf meinen Beruf konzentrieren zu können, auf das Pflegen und Ernten, das mir solche Genugtuung bereitet, muss ich mich mit Zertifikaten für jede einzelne Spritzdüse befassen. Das sind Nebenschauplätze, die – von meiner speziellen Situation ganz abgesehen – Menschen wie mich aus der Selbständigkeit verdrängen. Trotzdem: Ich will das noch machen.
„Es schmerzt, wenn man sieht, wie massiv sie in die landwirtschaftlichen Flächen reingehen. Jetzt wird alles vernichtet für fünf Minuten Dampf im Kohlekraftwerk.“
Durch den guten Boden hier haben Sie einen Vorteil – spüren Sie trotzdem die Folgen des Klimawandels?
Natürlich. Die trockenen Jahre häufen sich, und ich muss darauf achten, den Boden schonender zu bearbeiten, um ihm dabei zu helfen, möglichst viel Wasser zu halten. Weil der Pflug die Kapillarität unterbricht, setze ich möglichst auf Grubbern statt Pflügen. Man kann Pflanzen anbauen, die gesünder sind; daran wird ja gearbeitet. Aber ohne Wasser läuft nichts, das ist elementar. Umso absurder, dass uns RWE das Wasser auch von unten weiter abgraben darf. Seit Jahren bauen sie hier als Vorboten des Tagebaus Sümpfungspumpen, um das Grundwasser abzusenken. Und natürlich droht auch für jede einzelne Pumpe ein Enteignungsverfahren, wenn man sich weigert, den Boden dafür und für die Zufahrt abzutreten. Es schmerzt einfach, wenn man sieht, wie massiv sie jetzt in die landwirtschaftlichen Flächen reingehen… Wenn man bedenkt, wie viele Generationen dieses Land bewirtschaftet haben, sich und andere versorgt haben, und jetzt wird es vernichtet für fünf Minuten Dampf im Kohlekraftwerk.
Sie spielen nicht nur Fußball mit Aktivisten, sondern auch Tennis im Verein, und Sie fahren Ski. Nehmen die Menschen im Verein Anteil an Ihrer Geschichte?
Nein. Wenn einmal jemand von ihnen herkommt, sind sie im negativen Sinne beeindruckt. Aber es sind zu wenige, und auch das ist ein Symbol: Das, was uns allen durch die Klimakrise und durch gesellschaftliche Unruhen droht, ist in den Köpfen noch immer viel zu wenig angekommen.

Wie würden Sie das Vorgehen des Konzerns in der Region beschreiben?
Sie versuchen, die Leute zu brechen, und oft gelingt ihnen das auch. Meine Verwandtschaft in Immerath ist durch die Umsiedlung schwer getroffen worden; der Abriss des Doms war schrecklich für sie. Und hier versuchen sie es ja auch. Der Abriss der Häuser auf der anderen Straßenseite an zwei Tagen bei Sturm ohne jeden Staubschutz – das war eine klare Botschaft an mich. So wie der Bau des Erdwalls Mitte August und wie das Vorrücken der Bagger trotz laufender Gespräche mit der Landesregierung klare Botschaften sind.
In der Nacht auf den 1. September ist Ihr Hof in den Besitz von RWE übergegangen. Viele Aktivisten haben diesen Übergang mit einer Nachtwache vor dem Hof begleitet. Sonst ist nichts passiert. Wie geht es nun weiter?
Ich habe auch eine Stunde bei dieser Nachtwache gesessen; das war sehr ergreifend. RWE hat der Landesregierung versprochen, hier keine weiteren Fakten zu schaffen, bis die gemeinsamen Gespräche abgeschlossen sind und am Verhandlungstisch über Lützerath entschieden wurde. Diese Gespräche sollen bis Ende September dauern, und bis dahin hat RWE mir auch Aufschub gewährt, um meinen Umzug zu bewerkstelligen. Noch hat sich also äußerlich nichts verändert – noch geht’s. Aber ich muss mich jetzt damit vertraut machen, dass es das war. Eine weitere Verlängerung wird es nicht geben. Es sei denn, in den Gesprächen geschieht ein Wunder.
Würden Sie rückblickend etwas anders machen?
Im Wesentlichen nicht. Man hätte sich ein anderes Finish gewünscht, aber es war richtig, den Weg des Widerstands zu gehen. Und ich werde die Aktivisten auch weiter unterstützen, denn es gibt ja noch genug zu tun. Vor allem muss das Bergrecht geändert werden. Dass ein Gesetz aus der Nazizeit hier alles aushebeln kann – Denkmalschutz, Naturschutz, Menschenschutz -, das ist von gestern und gehört dringend geändert. Denn auch nach dem Ende der Braunkohle werden Menschen hier weiter Bodenschätze gewinnen wollen. Es ist möglich, dass Lützerath das letzte Dorf sein wird, das noch für Braunkohle fällt. Weiteren Raubbau – egal für welchen Rohstoff – darf es so nicht geben.