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Moskaus Devisenreserven: Der russische Milliardenschatz

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Von: Stephan Kaufmann

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Können die Devisen Moskaus und das Vermögen der Oligarchen für den Wiederaufbau eingesetzt werden? Eine Frage, die die gesamte Weltordnung berührt.

Moskau – In ihrem Kampf gegen die russische Invasion unterstützt der Westen die ukrainische Regierung mit Waffen und Geld. Ein Vielfaches der finanziellen Kriegskosten wird aber für den Wiederaufbau des Landes nötig sein. Politiker:innen fordern, für diesen Zweck die russischen Vermögen einzusetzen, die nach der Invasion im Westen eingefroren worden sind. Doch eine solche Enteignung wäre nach geltender Rechtslage wohl nicht legal. Jurist und Jurist:innen sowie die Politik suchen nun nach Wegen, die Enteignung dennoch zu legitimieren. Damit aber riskiert der Westen eine Schwächung der „regelbasierten Weltordnung“, zu deren Verteidigung er nach eigener Aussage die Ukraine gegen Russland unterstützt.

Laut Schätzungen kostet der Wiederaufbau der Ukraine zwischen 300 und 1000 Milliarden Dollar – allerdings sind diese Berechnungen bereits einige Monate alt, und die Kosten wachsen mit jedem Kriegstag. Damit liegt die Frage auf dem Tisch: Wer zahlt? Russland dürfte es nach bisheriger Lage voraussichtlich nicht sein. Denn der in der Historie übliche Weg, einen Staat für seinen Krieg zahlen zu lassen, ist wohl versperrt: Reparationen. Die Ukraine wird nach einem Kriegsende kaum in der Lage sein, von Moskau Entschädigungen zu verlangen. Dafür müsste Russland den Krieg eindeutig verlieren.

Ukraine-Krieg: 300 Milliarden Dollar sind derzeit dem Zugriff Russlands entzogen

Gefordert wird vielfach ein „Marshall-Plan“ für die Ukraine. Aber auch das historische Vorbild hielte Russland schadlos. „Es waren die Vereinigten Staaten – nicht die geschlagenen Achsenmächte –, die nach dem Zweiten Weltkrieg den Marshall-Plan finanzierten“, so die US-Juristen Scott Anderson und Chimène Keitner.

115 Meter Luxus: Die Yacht des russischen Oligarchen Farchad Achmedow liegt im Hamburger Hafen.
115 Meter Luxus: Die Yacht des russischen Oligarchen Farchad Achmedow liegt im Hamburger Hafen. © Manfred Segerer/Imago

Um die russische Seite dennoch für die Kosten des Wiederaufbaus heranzuziehen, werden seit einigen Monaten die großen Vermögen von Oligarchen und Regierung in den Blick genommen, die der Westen nach der Invasion eingefroren hat. Diese Vermögen bestehen laut Schätzungen aus 30 Milliarden Dollar Anlagen russischer Privatpersonen – Yachten, Unternehmen, Villen und Finanzvermögen. Der eigentliche Schatz im Besitz des Westens aber besteht aus den Devisenreserven der russischen Zentralbank: 300 Milliarden Dollar, die vor der Invasion auf Bankkonten in den USA und Europa lagen, sind derzeit dem Zugriff Moskaus entzogen.

FR-Ausgabe: Ein schwarzer Tag

Der russische Angriff auf die Ukraine markiert eine Zäsur. Wie der Krieg das Denken militarisiert und sich die Sicherheitslage in Europa verändert, untersucht die Themenausgabe der Frankfurter Rundschau vom 24. Februar 2023, der wir diesen Text entnommen haben. Weitere Aspekte daran:

Neue Normalität: Frieden wird die Ausnahme sein, sagt der Soziologe Richard Sennett.

Altes Denken: Wie der Militarismus einen Siegeszug durch unsere Köpfe angetreten hat.

Neuer Alltag: Stefan Scholl berichtet für die FR aus Moskau. Der Krieg hat sein Leben verändert.

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Insbesondere Regierungen in Osteuropa fordern, diese Milliarden zu konfiszieren und zum Wohle der Ukraine auszugeben. Auch die Bundesregierung hat sich dafür offen gezeigt – die Voraussetzung sei allerdings, dass rechtliche Bedenken ausgeräumt und die Verbündeten mitziehen würden. Das bedeutet: Europa wird hier kaum allein handeln, sondern nur im Gleichklang mit den USA. Doch noch zeigt sich Washington zurückhaltend. Denn die entschädigungslose Übernahme der russischen Vermögen wäre nicht nur juristisch fragwürdig, sondern wirft ökonomische und geopolitische Fragen auf.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskov bezeichnete die Blockade der russischen Vermögen im Oktober zwar als „Akt des Diebstahls“. Doch ist dies nicht ganz korrekt. Laut internationalem Recht ist es Staaten erlaubt, ausländische Vermögen einzufrieren. Voraussetzung dafür ist, dass es sich hierbei um eine „Gegenmaßnahme“ handelt, mit der ein Staat – im aktuellen Fall Russland – dazu gebracht werden soll, internationales Recht wieder zu befolgen. Die Blockade darf aber keine Strafe sein, sondern bloß eine Zwangsmaßnahme. Die Vermögen verbleiben im Eigentum der russischen Adressen und müssen zurückgegeben werden, sobald der Grund für die Blockade entfällt. Die Konfiskation von ausländischen Vermögen hingegen stellt eine Enteignung dar. Sie wäre eine Strafmaßnahme und – sollte das Geld an die Ukraine fließen – zudem dauerhaft. Enteignungen allerdings sind im Prinzip durch internationale Investitionsabkommen untersagt.

Allerdings gibt es Ausnahmen. So darf die US-Regierung laut nationaler Rechtslage ausländische Privatvermögen einziehen, wenn diese durch illegale Handlungen erworben worden sind – die „illegale Handlung“ wäre im vorliegenden Fall der Verstoß gegen Russland-Sanktionen der USA. Doch ist dies ein aufwendiger und langwieriger Prozess. Um finalen Zugriff auf die Yachten und Konten russischer Oligarchen zu erhalten, müssten die USA zunächst belegen, dass ein Russe tatsächlich Eigentümer beispielsweise einer Yacht ist – was angesichts der extrem verschachtelten Besitzverhältnisse der russischen Elite schwierig sein kann. Zudem muss belegt werden, dass das Geld aus Geschäften stammt, die gegen die Russland-Sanktionen der USA verstoßen – eine Verbindung des Eigentümers zu Präsident Wladimir Putin reicht hier nicht aus. Diesen Beweis zu führen, dürfte vielfach schwerfallen – und Jahre dauern.

Vor allem aber könnte über diesen Weg kein Zugriff auf den eigentlichen russischen Schatz erfolgen: die Devisenreserven der Zentralbank. Denn staatliche Vermögen genießen besonderen Schutz. Prinzipiell gewähren die USA – im Einklang mit internationalem Recht – Auslandsvermögen von Staaten Immunität. Einschränkungen erlauben sich die USA bislang nur gegenüber Regierungen, die für terroristische Attacken gegen US-Bürger verantwortlich sind, mit denen sie sich im Krieg befinden oder von denen sie angegriffen worden sind.

Mit dieser Begründung zog Washington 2003 irakische Vermögenswerte ein – die allerdings zum großen Teil in den Wiederaufbau des Irak flossen. Vergangenes Jahr konfiszierten die USA zudem sieben Milliarden Dollar der afghanischen Zentralbank. Auch dazu sah sich die US-Regierung berechtigt, weil sie Kriegspartei in Afghanistan war – diese Begründung fiele im Fall Ukrainekrieg weg, so der Wissenschaftliche Dienst des Europäischen Parlaments EPRS. Zudem fließt die Hälfte des Geldes in die Unterstützung der afghanischen Bevölkerung.

Ukraine-Krieg: Der globale Status des Westens insgesamt steht auf dem Spiel

„Theoretisch“, schreiben die US-Juristen Anderson und Keitner, „könnte die Biden-Regierung argumentieren, die USA befänden sich bereits in einer Art bewaffneter Auseinandersetzung mit Russland.“ Doch dies habe sie bisher unterlassen, auch weil Biden bislang jeden Eindruck vermeiden wolle, offiziell Krieg gegen Russland zu führen.

Als alternativer Weg zur Enteignung wird daher vorgeschlagen, die Rückgabe der eingefrorenen Vermögen so lange zu verweigern, bis sich Moskau zur Zahlung von Reparationen an die Ukraine bereiterklärt. Der US-Jurist Evan Criddle hält dies für legitim, weil Russland gemäß internationalem Recht dazu verpflichtet sei, die Ukraine für seinen illegalen Krieg zu entschädigen. Möglich ist auch, schlicht die Gesetze zu ändern, um eine Enteignung zu ermöglichen. „Die nationale Rechtslage in den USA erlaubt es dem Kongress, Gesetze zu erlassen, die internationalem Recht widersprechen“, so Anderson und Keitner. „Allerdings sind damit ernsthafte Risiken verbunden.“

Die Risiken sind zum einen ökonomische. Schließlich beruht die Stellung des US-Dollar als Weltleitwährung darauf, dass ihn alle als sicheren Hafen schätzen. 60 Prozent der globalen Devisenreserven der Zentralbanken bestehen daher aus der US-Devise, der Rest aus Euro, britischem Pfund und japanischem Yen. „Jede Enteignung von staatlichen Vermögenswerten“, mahnte der britische „Economist“, „könnte andere Länder, insbesondere China, davon abhalten, substanzielle Anlagen im Westen zu halten.“ Dieses Misstrauen in die Gelder des Westens scheint bereits um sich zu greifen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) stellt in einer neuen Untersuchung fest, dass Zentralbanken im Globalen Süden vermehrt Gold kaufen. Ein Grund dafür sei „die Verhängung von Finanzsanktionen durch die Reservewährungsländer USA, EU, Großbritannien und Japan“. Indem der Westen die Macht seiner Währungen nutzt, untergräbt er gleichzeitig die Basis dieser Macht: die Verlässlichkeit des Eigentums.

„Der globale Schutz, den die USA generell ausländischen Vermögen gewähren – insbesondere Vermögenswerten von Staaten und Zentralbanken – sind eine wesentliche Grundlage für die Rolle, die die USA in der Weltwirtschaft spielen“, erklären Anderson und Keitner. Entscheider sollten daher Vorsicht walten lassen bei der Veränderung der Regeln, „die die USA zu einer globalen Wirtschaftsmacht gemacht haben, und sie sollten nicht den Grad an Unterstützung überschätzen, den sie von nicht-europäischen Ländern erwarten dürfen“.

Die Risiken sind aber nicht nur ökonomische, auf dem Spiel steht der globale Status des Westens insgesamt. Europa sollte darauf achten, nicht als Akteur zu erscheinen, „der ungeniert die Geltung internationaler Rechtsprinzipien missachtet“, mahnt die europäische Denkfabrik CEPR. Und für Washington besteht laut Anderson und Keitner „das größte Risiko in einer weiteren Schwächung der Rolle der USA als Wächter des internationalen Rechts“. Es ist dieses internationale Recht, die „Weltordnung“, die die USA mithilfe der EU nicht nur garantieren, sondern auf der gleichzeitig ihre Macht gründet – weswegen es gefährlich ist, diese Macht zur Änderung der Weltordnung einzusetzen. (Stephan Kaufmann)

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