Rückkehr der Solarindustrie nach Europa: Der Sonne hinterher

Europa versucht endlich, wieder Anschluss bei der Solarproduktion zu bekommen. Gigafabriken sollen in Frankreich, Italien und Deutschland entstehen.
Bis vor gut zehn Jahren dominierten europäische Konzerne den Weltmarkt für Solarzellen und -module, vor allem solche aus Deutschland. Dann kam der Absturz. Heute werden rund 95 Prozent dieser Produkte in asiatischen Ländern gefertigt, 80 Prozent in China. Doch Europa steht offenbar vor einem Comeback. In Frankreich soll bis 2025 eine große Fabrik für Photovoltaik entstehen. Sie wird im Endausbau jährlich Module mit insgesamt fünf Gigawatt Leistung fertigen, die den Energiebedarf von einer Million Haushalten decken. Und auch Deutschland könnte wieder ein wichtiger Produktionsstandort werden – falls die Politik die Ansiedelung ausreichend fördert.
„Holosolis“ heißt das neue Unternehmen, das dazu beitragen will, die Abhängigkeit Europas von Solarimporten zu verringern und so die Energiesicherheit des Kontinents zu stärken. Es will seine Gigafabrik im ostfranzösischen Hambach im Départment Moselle bauen, nahe der deutschen Grenze bei Saarbrücken. Hinter Holosolis stehen drei Akteure: der französische Solarproduzent TSE, die französische Immobiliengruppe Idec sowie EIT Innoenergy, ein von der Europäischen Union co-finanzierter Cleantech-Investor mit Sitz im niederländischen Eindhoven. Der Gigafabrik-Standort umfasst über 50 Hektar und bietet damit Raum für Erweiterungen. Dort sollen 1700 Arbeitsplätze entstehen.
Die Gigafabrik ist eine Pilotinitiative im Rahmen der Europäischen Solar-Industrie-Allianz (Esia), die ab 2025 eine Produktionskapazität von 30 Gigawatt pro Jahr aufbauen will, wovon Holosolis gut 15 Prozent abdecken würde. Damit soll es möglich werden, einen nicht unerheblichen Teil der in der EU zur Installation geplanten Solarmodule zumindest wieder selbst zusammenzubauen. Die Brüsseler Kommission hat in ihrem REPower EU-Plan das Ziel ausgegeben, bis 2030 insgesamt 600 Gigawatt (GW) an Solar-Leistung ans Netz zu bringen. Ende 2022 waren EU-weit rund 210 GW installiert.
Solarkrise: Rund 80.000 Jobs pfutsch
Derzeit sind rund zwei Drittel der heute weltweit verkauften Silizium-Solarzellen „made in China“. Inklusive der weiteren Herstellerländer Japan, Malaysia, Südkorea und Vietnam erreicht Asien einen Anteil von 95 Prozent. Größere Solarhersteller gibt es sonst nur in den USA und Kanada, Europa kommt gerade noch auf 0,4 Prozent.
Bei den Modulen, die daraus gefertigt werden, liegt der Asien-Anteil immerhin bei vier Fünfteln. Dabei waren es deutsche Firmen wie Solarworld, Q-Cells und Centrotherm gewesen, die den ersten Solarboom in den 2000er Jahren auslösten. Die hiesige Photovoltaik-Industrie kollabierte im letzten Jahrzehnt, nachdem die Merkel-Regierung die Förderung gekappt und chinesische Hersteller mit subventionierter Billigware den Markt aufgemischt hatten. Rund 80 000 Jobs gingen verloren. Inzwischen versucht die EU, mit ihrem „Green Deal Industrial Plan“, wieder eine eigene industrielle Basis für die Energiewende zu schaffen. Das Holosolis-Projekt ist ein Zeichen dafür, dass er offenbar funktioniert.
Der Chef von Holosolis, Jan Jacob Boom-Wichers, sagte: „Wir werden die energieeffizientesten Module mit den neuesten Photovoltaik-Technologien, mit dem geringsten CO2-Fußabdruck und den höchsten sozialen Standards herstellen.“ Die Firma peile drei Hauptmärkte an: Dachanlagen für Wohnhäuser sowie Industrie/Gewerbe und Photovoltaik in der Landwirtschaft. Der hohe Ausstoß des Werks sowie die Automatisierung der Produktionslinien würden die Kosten so weit senken, dass sie mit denen der Branchenriesen aus Asien konkurrieren könnten.
Holosolis hat sich nach eigenen Angaben für Ostfrankreich als Standort wegen des dortigen Know-hows, der Verfügbarkeit von Arbeitskräften und der guten Infrastruktur entschieden. Ironie der Geschichte: Die Standortentscheidung für die Solarfabrik sei auch wegen des CO2-armen Strommixes gefallen, der vor allem durch den hohen Atomstromanteil in Frankreich bedingt ist.
Neben Holosolis gibt es derzeit vier bis fünf ernsthafte Projekte, um die Photovoltaik-Produktion in einem rentablen Multi-Gigawatt-Maßstab aufzubauen. Darunter ist in Deutschland dasjenige des Schweizer Herstellers Meyer Burger, der in Sachsen-Anhalt bereits in Pilotanlagen-Größe produziert, und in Italien die „3-Sun-Fabrik“ des Energiekonzerns Enel, in der auch schon Solarzellen vom Band laufen.
Die USA buhlen um die Unternehmen
Der renommierte Solarprofessor Eicke Weber begrüßte, dass mit Holosolis ein Start-up hinzukomme, hinter dem auch traditionelle Energieunternehmen wie EDF und Total aus Frankreich stünden. „Das ist eine gute Nachricht für die Branche“, sagte Weber der FR. Allerdings müsse die EU nicht nur bei der Produktion von Solarmodulen, sondern auch beim Basisprodukt Solarzellen unabhängiger von China werden. „Europa muss seine komplette industrielle PV-Wertschöpfungskette aufbauen, vom Polysilizium bis zu den Modulen, was mit den richtigen politischen Instrumenten sehr gut möglich ist“, so der Experte.
Weber war langjähriger Chef des Fraunhofer-Instituts für Solare Energieforschung (ISE) in Freiburg und ist heute Co-Präsident des European Solar Manufacturing Council (ESMC), in dem Photovoltaikhersteller, Forschungsinstitute und Maschinenbauer vertreten sind. Kritisch sieht er allerdings die Beteiligung von EIT Innoenergy als Mitträger des Start-ups, weil es „eigentlich eine moderierende Rolle in der Industrieallianz einnehmen solle“. Mit Holosolis trete es nun aber als Mitbewerber auf.
Fachleute wie Weber halten es für angezeigt, etwa zwei Drittel des künftigen Bedarfs an Solaranlagen der EU auch hier herzustellen und nur den Rest zu importieren. Im früheren Solar-Eldorado Deutschland könnte hierbei dem Hersteller Meyer Burger eine zentrale Rolle zufallen, der in Thalheim bei Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt produziert. Er hat Pläne, seine aktuelle Jahreskapazität von Solarzellen mit 1,4 Gigawatt Leistung mehr als zu verzehnfachen.
Laut Meyer-Burger-Chef Gunter Erfurt hat das Unternehmen sich bereits Gebäude und Grundstücke für diesen Zweck gesichert. Um das Ziel von bis zu 15 Gigawatt jährlich zu erreichen, will Meyer Burger schrittweise Produktionslinien aufbauen, die bis 2027 fertiggestellt sein sollen. Hauptstandort soll Thalheim bleiben. Man prüfe aber auch die Möglichkeit, die Solarmodule dezentral an zehn weiteren Standorten zu fertigen. Durch die Expansion sollen, wenn sie voll umgesetzt werden, rund 5000 neue Jobs entstehen.
Ganz in trockenen Tüchern ist das Projekt aber offensichtlich noch nicht. Meyer Burger hat auch Ansiedlungsangebote aus den USA erhalten, die auf dem milliardenschweren Subventionsprogramm des „Inflation Reduction Act“ (IRA) basieren, das dort in Kraft getreten ist. Entsprechende EU-Förderprogramme sind noch nicht so weit fortgeschritten. Unternehmenschef Erfurt machte deswegen öffentlich Druck. „Die USA rollen für uns den roten Teppich aus“, sagte Erfurt im „Spiegel“. Von den europäischen Regierungen forderte er mehr Klarheit und Unterstützung, um „Investitionsentscheidungen für Deutschland und Europa zu treffen“.