Von Robinson lernen
Es gibt kein Naturrecht auf positive Zinsen. Der Werterhalt von Geldvermögen über Jahre hinweg ist eine Leistung, die nur eine nachhaltig funktionierende Realwirtschaft sicherstellen kann.
Sparer wurmt es, dass die Zinsgutschriften immer geringer ausfallen. Entgehen uns nicht laufend Erträge, auf die wir ein Anrecht hätten? Ist nicht die Altersvorsorge in Gefahr? Schließlich soll die ja „kapitalgedeckt“ sein. Wenn nun die Inflation anzieht, drohen sogar Verluste. Viele sehnen sich daher zurück nach den guten alten Zeiten, als es noch einen Zins von vier oder sogar sechs Prozent gab. Doch dieser Wunsch würde sich als Alptraum entpuppen, ginge er in Erfüllung.
Nicht niedrige Zinsen lassen die Inflation ansteigen, wie es die Theorie behauptet, der Zusammenhang ist umgekehrt: Je höher der Zins, desto höher die Inflation. Denn je höher der Zins ist, desto schneller wachsen die Guthaben. Empirisch haben Felix Fuders und andere nachgewiesen, dass Zinssatz und Inflation sich langfristig synchron entwickelten.
Doch was gibt dem Geld eigentlich seinen Wert, seine Kaufkraft? Doch nur eine florierende Wirtschaft, die für alle genug an Gegenwert hervorbringt. Was nutzen uns Ersparnisse, wenn ihnen immer mehr faule Kredite gegenüberstehen und die Wirtschaft krankt?
Wenn Robinson die Wahl hätte, würde er seine Vorräte, sein „Kapital“, einem Neuankömmling auf seiner Insel zinsfrei zur Verfügung stellen. Statt einen Qualitätsverlust zu erleiden, weil die Vorräte von Ungeziefer und Schimmel befallen werden, würde er seinem „Kreditnehmer“ lieber sein Getreide und Pökelfleisch freigebig überlassen, weil dieser ihm alles frisch zurückgäbe, wenn er es bräuchte. Diese Robinsonade erzählte Silvio Gesell einst, um die Übermacht des Geldes zu verdeutlichen. Denn Banken können einen Kredit verweigern, wenn der Kreditnehmer keinen Zins zahlen kann. Banken kannten bis vor Kurzem auch nicht die Sorgen, die die Besitzer von Waren drücken. Erst seitdem die Europäische Zentralbank im Juni 2014 Negativzinsen einführte, beginnt die Übermacht des Geldes zu brechen. Das Geld rostet nun wie Waren aus Eisen. Dieses „Rosten“ muss weitergehen, bis das Geld den Waren gleichgestellt ist und seine Macht verliert.
Die Sparer werden den Kreditnehmern dankbar sein, die durch realwirtschaftliche Investitionen erst sicherstellen, dass das Geld zukünftig noch Wert hat. Es gibt kein Naturrecht auf positive Zinsen! Der Werterhalt von Geldvermögen über Jahre hinweg ist eine Leistung, die nur eine nachhaltig funktionierende Realwirtschaft sicherstellen kann.
Die Autorin ist stellvertretende Vorsitzende der Initiative für Natürliche Wirtschaftsordnung (INWO).