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Renten-Proteste in Frankreich: Druck auf Regierung wächst weiter

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Von: Stefan Brändle

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Gewerkschaften mobilisieren gegen die Rentenreform. Eine Einigung im Parlament ist derzeit unwahrscheinlich. Für Präsident Macron bleibt noch eine Notlösung.

Paris – Tag für Tag steigt in Frankreich die sozialpolitische Spannung um die Reform, die eine Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre vorsieht. Die Gewerkschaften erhöhen langsam den Druck, um die Regierung von Präsident Emmanuel Macron spätestens im März in die Knie zu zwingen. Zugleich hüten sie sich, die Bevölkerung durch Streikaktionen allzu stark in Mitleidenschaft zu ziehen. Noch unterstützt eine klare Umfragemehrheit von rund 70 Prozent die Reformgegner. Und das wollen die Gewerkschaften nicht verspielen.

Nach drei Aktionstagen mit je einer Million Demonstrant:innen – am Dienstag waren es mit 760.000 etwas weniger – organisieren sie am Samstag einen vierten Protesttag. Den Bahnverkehr legen sie nicht lahm, da an diesem Wochenende in Teilen Frankreichs die Winterferien beginnen. Junge Skifahrer:innen sollen nicht am Pistenplausch gehindert werden. Am kommenden Donnerstag plant die geschlossene Gewerkschaftsfront aber weitere Demozüge in 200 Städten.

Proteste in Frankreich: Ganze Wirtschaftszweige sollen in den Ausstand treten

Diese massive Mobilisierung ist aber erst das Vorspiel. Das eigentliche Armdrücken beginnt am 7. März, wenn die Schulferien in allen Landesteilen zu Ende gehen. An einem neuen, sechsten Protesttag dürfte die laufende Parlamentsdebatte ihrem Höhepunkt zutreiben. Und die radikaleren Gewerkschaften wie CGT, SUD oder Force Ouvrière wollen ab dann auf „anhaltende“ (reconductible) Weise streiken – das heißt ohne absehbares Ende.

Mit einem weiteren Dreh an Macrons Daumenschraube sollen dann ganze Wirtschaftszweige in den Ausstand treten. Möglich wären dabei Raffinerien. Ohne sie wären die französischen Benzintanks bald leer. So knickte 1995 schon Premierminister Alain Juppé ein. Die gemäßigte Gewerkschaft CFDT warnt zwar vor solch wenig populären Blockaden. Doch die Stimmung an der Basis deutet klar auf eine Verhärtung hin, aus der es nur noch einen Sieger geben kann.

In der Arbeit gefangen zu sein – das befürchten französische Protestierende, sollte die Erhöhung des Rentenalters kommen.
In der Arbeit gefangen zu sein – das befürchten französische Protestierende, sollte die Erhöhung des Rentenalters kommen. © AFP

Die Entwicklung hängt auch vom Fortgang der Debatten in der Nationalversammlung ab, gefolgt vom Zweitrat, dem Senat. Das Macron-Lager hat nirgends eine Mehrheit. Premierministerin Elisabeth Borne versucht deshalb, die konservativen Republikaner für die Reform ins Boot zu holen. Die zieren sich allerdings, was Macron dem Vernehmen nach im Elysée-Palast zunehmend auf die Palme bringt. Ohne die Stimmen der Konservativen hätte das Mittelager „Renaissance“ keine Chance, die Erhöhung des Rentenalters durchzubringen.

Proteste in Frankreich: Spannungen in der Nationalversammlung

Es sei denn, Macron bricht die Debatten auf autoritäre Weise ab. Das Mittel dazu hätte er: den Verfassungsartikel 49.3, der Debatten ohne Sachabstimmung, dafür durch eine Vertrauensabstimmung beenden kann. Diese Hauruckmethode ist aber politisch sehr verpönt. Sie lässt die Wogen in der Nationalversammlung schon heute hochgehen. Täglich fliegen Schimpfworte, was immer wieder zu Sitzungsunterbrüchen führt. Die Linksunion „Nupès“ zerrt mit ihrer Obstruktionspolitik zudem bewusst an den Nerven der Macronisten. Pro Tag werden nur rund 250 Gesetzeszusätze behandelt – bei insgesamt 16 000 Anträgen. Macron wird kaum um die wenig demokratische Brechstange des Artikels 49.3 herumkommen.

Die Rechtspopulistin Marine Le Pen verlangt ihrerseits wiederholt eine Volksabstimmung zum Rentenalter. Die übrigen Parteien sind vereint dagegen. Das gibt Le Pen die Möglichkeit zu behaupten, die Linke stecke mit den Macronisten unter einer Decke. In der Rentenfrage wird Le Pen nicht nur von Rechtsextremisten, sondern auch von immer mehr Gelbwesten unterstützt. Die Regierung verfolgt diese Entwicklung besorgt.

Macron versucht derweil mit gezielten Konzessionen, den Protesten die Spitze zu nehmen. Viel Spielraum hat er aber nicht, wenn er seine Reform nicht substanziell entleeren will. Unter dem Druck der Straße und des Parlamentes, wo ihn die lauten Wortführer der Linken und extremen Rechten „ins Sandwich nehmen“, wie es auf Französisch heißt, kann der Präsident nur hoffen, dass sich der Volkszorn im März einigermaßen geordnet entladen wird. (Stefan Brändle)

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