Recht auf digitale Teilhabe

Der Bundeselternrat, die Bundesschülerkonferenz und der Digitalverband Bitkom fordern ein einklagbares Recht auf digitale Bildung über die Pandemie hinaus. Eine Grundgesetzänderung sei dafür nicht notwendig, sagen Gutachter.
Geld wäre da. Mit 6,5 Milliarden Euro ist der in Deutschland schon vor Pandemieausbruch beschlossene Digitalpakt Schule dotiert. Davon abgeflossen sind nach Wissen des Digitalverbands Bitkom bislang keine 13 Prozent. Christiane Gotte macht ihrem Frust Luft. „Wir reden und reden und es verhallt“, beschreibt die Vorsitzende des Bundeselternrats die Realitäten. Gut 32 000 allgemeinbildende Schulen gibt es bundesweit. „Weniger als ein Drittel ist digitalfit“, schätzt die Generalsekretärin der Bundesschülerkonferenz, Katharina Swinka. Sie besucht eine Informatikschule, bei der es digital flutschen sollte. „Es ist beschwerlich“, sagt die Schülerin zum Alltag selbst dort. Deshalb hat sich nun ein breites Bündnis formiert, das ein einklagbares Recht auf digitale Bildung bundesweit verankern will.
Es besteht aus Eltern, Schüler:innen und Bitkom. Letzterer hat bei einer mit förderalen Rechtsfragen vertrauten Anwaltskanzlei ein Rechtsgutachten dazu in Auftrag gegeben. „Es wäre ohne Änderung des Grundgesetzes möglich und binnen eines Jahres umsetzbar“, sagt Gutachter Cornelius Böllhof von der Kanzlei Redeker,Sellner, Dahs. Ein Recht auf digitale Bildung könne man auch in normalen Gesetzen verankern und einklagbar machen. Warum es ohne das in Deutschland nicht mehr geht, erklären Betroffene.
„Schulen brauchen digitale Hausmeister“, sagt Gotte zu einer Haupthürde der digitalen Ertüchtigung. Damit ist eine sowohl mit Technologie als auch Bürokratie erfahrene Fachkraft gemeint, die Schulen dabei unterstützt, Anträge auf ihre digitale Aufrüstung zu stellen und diese dann auch fachgerecht zu installieren. Denn an dieser Stelle stockt es derzeit vor allem. „Bürokratie ist ein großer Punkt, denn Schulen wissen oft nicht, was sie in Medienpläne zu ihrer digitalen Förderung schreiben sollen, die Fragebögen sind teils fast 100 Seiten dick“, erklärt Swinka. Eine radikale Vereinfachung dieser Medienpläne fordert deshalb auch Götte. Zudem müssten Lehrer digital dringend fortgebildet werden.
Hausaufgaben per Post
„Wir haben einen Digitalpakt, der nicht wirklich auf die Straße kommt“, bestätigt Bitkom-Chef Achim Berg. Die Qualität von digitalem Unterricht hänge in Deutschland im zweiten Pandemiejahr weiter vom Zufall ab, ob mit Digitaltechnik erfahrene Lehrer:innen in einer Schule unterrichten oder auch vom Hintergrund des Elternhauses. Auch Gotte beklagt, dass es zwar digitale Vorzeigeschulen in Deutschland gibt, aber noch mehr digital total abgehängte, die Aufgaben für Schüler:innen in der Pandemie per Email oder Post verschickt haben. Es fehle jede Einheitlichkeit.
Vier von fünf Bundesbürger:innen würden ein einklagbares Recht auf digitale Bildung fordern, hat Bitkom in einer repräsentativen Befragung ermittelt. Für 95 Prozent aller Eltern sei heute die Digitalkompetenz einer Bildungseinrichtung bei der Schulwahl entscheidend und damit zum wichtigsten Kriterium dafür geworden.
Von Schüler:innen über Eltern bis Digitalwirtschaft klagen alle über fehlende Standards bei Bildungsclouds, einen Mangel an digital ausgebildeten Lehrer:innen oder nicht vorhandene Lernsoftware. Neues Geld über die Milliarden des Digitalpakts Schule hinaus sei erst einmal nicht nötig, stellt Berg klar. Aber ohne Klagerecht hat mittlerweile nicht nur er wenig Hoffnung, dass die vorhandenen Mittel noch zeitnah zum Einsatz kommen.
Dabei betont das Bündnis, dass es nicht nur um Pandemiezeiten und minderjährige Schüler:innen geht. Auch Hochschulen und Stätten der Weiterbildung müssten dringend digitalisiert werden, fordert Berg. Digitale Betreuung von Hausaufgaben sei auch außerhalb von Pandemien zeitgemäß, finden Schüler:innen und Eltern. „Wir dürfen auch den Lehrermangel und die kommende Verrentungswelle nicht vergessen“, betont Gotte. Im Schnitt fehlten jeder deutschen Schule heute schon sechs bis sieben Lehrer:innen. Ersatz sei bei solchen Dimensionen oft nur noch auf digitalem Weg zu organisieren. „Es geht nicht mehr anders“, stellt Gotte klar.