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„Eine Astronautin für Deutschland hat ganz viel Symbolkraft“

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Von: Alicia Lindhoff

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„Ich wünsche mir, dass die Raumfahrt den Weg geht, den die Luftfahrt gegangen ist, in Richtung kommerzielle Raumfahrt“, sagt Kessler.
„Ich wünsche mir, dass die Raumfahrt den Weg geht, den die Luftfahrt gegangen ist, in Richtung kommerzielle Raumfahrt“, sagt Kessler. © imago

Raumfahrtmanagerin Claudia Kessler über ihre Initiative, eine Frau ins All zu bringen und Kartoffelanbau auf dem Mars.

Vor zwei Jahren machte der Kinofilm „Hidden Figures“ (deutscher Titel: „Unerkannte Heldinnen“) international Furore. Es geht darin um drei afroamerikanische Nasa-Spezialistinnen, die sich in den frühen 1960er Jahren zwischen lauter weißen Männern behaupteten. Bis zum Filmstart von „Hidden Figures“ war ihre Arbeit kaum bekannt gewesen. Nur wenige Monate zuvor hatte die damalige Managerin Claudia Kessler in Deutschland die Initiative „Die Astronautin“ ins Leben gerufen. Ihr Ziel: die erste deutsche Raumfahrerin ins All bringen.

Frau Kessler, bleiben die Heldinnen der deutschen Raumfahrt unerkannt oder gibt es einfach kaum welche?
Ich hatte gerade diese Woche wieder eine Diskussion – mit einer Frau übrigens -, die meinte: Ja aber es gibt doch gar keine Frauen, die das machen wollen. Da habe ich gesagt: Natürlich gibt es welche! Sie werden nur nicht wahrgenommen. Die Statistiken sind zwar tatsächlich nicht umwerfend, wenn man beispielsweise nach Ingenieurinnen guckt. Aber bei unserer Auswahlkampagne haben sich 400 Frauen beworben, viele waren hochqualifiziert, und ich lerne ständig Frauen kennen, die Astronautin werden wollen. Es sind viel mehr, als man denkt. Das wollten wir mit unserer Initiative zeigen.

Als Managerin für die Personalfirma HE Space haben Sie 14 Jahre lang hochspezialisierte Fachkräfte an Weltraumorganisationen und Firmen vermittelt. Sie wissen also, wie es ist, aus vielen Top-Bewerbungen eine auszuwählen. Wie war das beim Auswahlverfahren für „Die Astronautin“?
Das war nicht einfach. Wir hatten ein Auswahlverfahren mit mehreren Stufen – Interviews, medizinische Tests, psychologische Tests. Beim Institut für Luft- und Raumfahrtpsychologie in Hamburg saßen die Frauen einen ganzen Tag lang am Computer, das ging von Mathe und Sprachen bis hin zu räumlichem Denken, Reaktionsfähigkeit und Multitasking. Bei einem Assessmentcenter mussten Teamaufgaben gelöst werden, beobachtet von Psychologen. So sind wir nach und nach von 400 auf sechs runtergegangen. Diese sechs Kandidatinnen kamen vor die Auswahlkommission, die Ulrich Walter (ehemaliger Astronaut und Professor für Raumfahrttechnik, Anm. d. Red.) geleitet hat. Insgesamt hat alles ein Jahr gedauert.

Sie visieren an, eine ihrer Kandidatinnen, Insa Thiele-Eich und Suzanna Randall, im kommenden Jahr zur Internationalen Raumstation ISS zu schicken. Wird das was?
2020 ist unser Zieltermin, es kann aber auch Anfang 2021 werden. In der Raumfahrt ist es schwer, so etwas genau festzulegen – in den USA stand zum Beispiel gerade alles still wegen des Shutdowns. Die beiden Kandidatinnen sind im Training. Insa hat im Herbst ihr drittes Kind gekriegt, aber sechs Tage vor der Geburt noch die Prüfung für ihren Flugschein abgelegt. Als nächstes planen wir Trainingswochen in Deutschland bei Airbus und im Frühjahr in den USA. Dann fahren wir nach Marseille, zum Tauchen im Unterwassertrainingsmodul des Comex-Zentrums. Und wir hoffen, dass wir einen Parabelflug machen können dieses Jahr.

Claudia Kessler will die erste deutsche Frau zur ISS bringen.
Claudia Kessler will die erste deutsche Frau zur ISS bringen. © Astrid Susanne Schulz

Wie kommt man eigentlich zur ISS, wenn man nicht mit einer staatlichen Weltraummission fliegt? Anfangs war die Rede von einer möglichen Zusammenarbeit mit Elon Musks Firma Space X. Jetzt haben Sie kürzlich ein Memorandum of Understanding mit dem US-amerikanischen Raumfahrt-Start-up Axiom unterzeichnet.
Ja, mit Axiom reden wir ganz verstärkt. Aber wir sind weiterhin mit allen Anbietern im Gespräch, auch mit Boeing zum Beispiel. Und wir sind alle ganz gespannt, wann Space X das erste Mal fliegen wird. Es gibt für solche Flüge natürlich kein Reisebüro – noch nicht. Es wird sich sicher so entwickeln, dass sehr viel mehr Weltraumtouristen ins All fliegen können. Es sind ja auch früher schon Millionäre mit den Russen geflogen. Wir wollen allerdings als Wissenschaftsastronauten fliegen.

Wenn alles klappen sollte, wird eine der beiden Kandidatinnen zehn Tage auf der ISS verbringen. Was würde sie in dieser Zeit machen?
Wir haben ein wissenschaftliches Programm, genauso wie andere Astronauten. In erster Linie geht es um medizinische Experimente, in denen die Astronautin quasi das Meerschweinchen darstellt. Es gibt in Deutschland nun mal keine Daten über das Verhalten des weiblichen Körpers im All. Da geht es dann etwa um das Thema Osteoporose, um den Hormonhaushalt oder das Verhalten der Augen – die verändern sich offensichtlich stark in der Schwerelosigkeit und bei Männern anders als bei Frauen. Es wird aber auch Materialtests geben. Das alles machen wir im Auftrag von Forschungsinstituten oder von Firmen.

Ob es so kommt, hängt in erster Linie von der Finanzierung ab. Sie brauchen 40 Millionen Euro, hieß es anfangs …
Na ja, wahrscheinlich eher 50 Millionen Euro. Das wird alles nicht billiger.

Können Sie denn sagen, wo Sie gerade stehen?
Das kann ich im Augenblick leider nicht genau sagen, aber noch ziemlich am Anfang.

Sie haben gesagt, dass Sie auch Sportartikelhersteller oder die Kosmetikbranche ansprechen werden. Was sind denn Anreize für Geldgeber aus der Wirtschaft, in Ihr Projekt zu investieren?
Unsere Sichtbarkeit. Wir haben uns das von einer Agentur ausrechnen lassen: Seit 2016 haben wir einen Medienwert von etwa 100 Millionen Euro erreicht. Und das nur in der Vorbereitung, da sind wir noch nicht ins All geflogen. Das könnte sich das also nochmal verdrei- oder vervierfachen. Parallel arbeiten wir aber auch daran, die Politik davon zu überzeugen, dass das eine gesellschaftspolitische Aufgabe ist.

Warum ist es das aus Ihrer Sicht? Man könnte einwenden, dass es hier um die Erfüllung persönlicher Träume geht. Warum sollte das öffentlich gefördert werden?
Es ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe, weil es eine Ungleichheit gibt. Elf deutsche Männer waren bisher im All, aber keine Frau. Wir haben uns in Deutschland gesetzlich verpflichtet, Nachteile auf dem Weg zur Gleichberechtigung zu beseitigen. Abgesehen davon ist es unser Ziel, Frauen und Mädchen für Technik zu begeistern – und einfach die andere Hälfte der Menschheit in die Raumfahrt reinzubringen. Wir wollen das tun, was man im Englischen „Empowerment“ nennt. Eine Astronautin für Deutschland wird ganz viel Symbolkraft haben. Astronauten stehen für Hochtechnologie und für ein Land, das modern ist. Länder wie China und Indien, die sonst eher weniger fortschrittlich sind, fliegen Frauen ins All – und wir stehen so ein bisschen hintenan.

Auch das aktuelle Astronauten-Team der Nasa besteht aus sechs Frauen und sechs Männern.
Die Nasa hat schon vor Jahren das Prinzip „Hälfte-Hälfte“ eingeführt. Sie nennen es nur nicht Quote. Wir haben ja irgendwie Probleme mit diesem Quotenwort hier. Aber es gleicht sich halt nicht automatisch an. Weil das ein Henne-Ei-Problem ist. Wenn die Rollenmodelle und die Vorbilder nicht da sind, dann werden auch weniger Frauen sich das zutrauen.

Sie wollten ursprünglich selbst Astronautin werden. Wie ist denn bei Ihnen der Funke übergesprungen?
Das fing an, als ich mit meinen Eltern die Mondlandung im Fernsehen gesehen habe. Da war ich etwa vier Jahre alt. Mir ist erst vor Kurzem klar geworden, dass es tatsächlich dieser ganz kleine Moment im Fernsehen war, der eigentlich mein ganzes Leben geprägt hat. Und genau das wollen wir mit der Astronautinnen-Mission erreichen, dass kleine Mädchen vor dem Fernseher sitzen und sagen: „Mensch, die kann das? Dann will ich das auch machen!“ Wenn wir solche Momente generieren, hätten wir unser Ziel erreicht. Da krieg ich Gänsehaut und feuchte Augen.

Wie ging es denn bei Ihnen weiter nach der Initialzündung?
Nun, ich hatte den Vorteil, dass ich keinen großen Bruder hatte und so ein bisschen als Junge aufgewachsen bin – mit meinem Vater in der Garage, den Schraubenzieher in der Hand. Auch in Mathe und Physik war ich gut, und irgendwie hat sich mein Wunsch, Astronautin zu werden, immer mehr verfestigt. Allerdings auch durch den Widerstand von außen. Viele haben mich belächelt und mir das nicht zugetraut, und dann wollte ich es allen zeigen.

Nun hat es ja bei Ihnen damals nicht geklappt. Als 1986 Wissenschaftsastronauten gesucht wurden, war eine abgeschlossene Ausbildung Bedingung – und die hatten Sie noch nicht. Später wurden alle deutschen Missionen mit Nachrückern dieser Auswahl besetzt. Was haben Sie stattdessen gemacht?
Ich habe Luft- und Raumfahrttechnik studiert, und es hat mich auch überhaupt nicht gestört, dass ich da weit und breit die einzige Frau war. Mein erster Job war beim Raumfahrttechnik-Unternehmen Kayser-Threde in München, da konnte ich direkt an der ersten deutschen Mir-Mission (russische Raumstation, Anm. d. Red.) mitarbeiten. Das war superspannend, ganz nah an den Astronauten dran, Russland war gerade neu geöffnet. Echt toll!

Waren damals Frauen dabei?
Damals gab’s ja die Renate Brümmer und die Heike Walpot. Die waren im Training, sind aber beide ewig nicht zum Zug gekommen und irgendwann ausgestiegen. Naja, später war ich dann bei Airbus. Und 2004 bekam ich das Angebot, HE Space in Deutschland aufzubauen. Mein zweiter Traum war immer, mal eine kleine Firma zu leiten. Bis vergangenen Sommer war ich Geschäftsführerin bei HE Space. Seitdem konzentriere ich meine ganzen Kräfte auf „Die Astronautin“.

Sie haben mal gesagt, am Anfang Ihrer Karriere hätten Sie sich nicht als Feministin bezeichnet, jetzt schon. Was ist in der Zwischenzeit passiert?
Das ist bei ganz vielen Frauen so. Am Anfang kommt man aus der Ausbildung raus und denkt: „Ja! Ich hab alle Chancen, ich kann alles machen.“ Und irgendwo auf dem Weg merkt man dann, dass es doch nicht so ist wie es ausschaut – und dass Frauen ganz schön zusammenhalten müssen, um wahrgenommen zu werden und eine Stimme zu bekommen.

Trotzdem sind Sie immer dabei geblieben. Was fasziniert Sie an der Raumfahrt?
Dieser Blick von außen auf die Erde, das Gefühl, dass wir Teil dieses Universums sind – und so ein kleiner Teil! Wir denken ja immer, hier auf der Erde ist alles ganz dramatisch und schlimm. Aber wenn man sich dann mal in die Perspektive von außen versetzt, ist das ganz klein und unwichtig, verglichen mit den Dimensionen und den Zeiträumen im Universum.

Ihr potenzieller Partner Axiom hat als Motto ausgegeben, die Grenzen des Menschen im Weltall auszuweiten. Was ist Ihre Vision für die Raumfahrt?
Zum einen wünsche ich mir, dass die Raumfahrt den Weg geht, den die Luftfahrt gegangen ist, in Richtung kommerzielle Raumfahrt. Da gibt es viele Ideen, etwa, dass man innerhalb von einer halben Stunde von Europa nach Australien fliegen kann. Zum anderen wollen wir natürlich alle zum Mars. Es gibt zurzeit viele Marssimulations-Missionen, und die sind wirklich hochspannend. Da geht es um die Erschließung eines neuen Lebensraumes, mit Kolonien und Siedlern und allem Drum und Dran.

Wie soll das gehen?
Es gibt Hunderte Firmen, die sich damit beschäftigen. Ein Freund von mir entwickelt selbst replizierende Roboter. Man braucht nur zwei hinschicken und die bauen eine Fabrik, aus der die anderen rauskommen. Und erst dann, wenn die Roboter die Marsbasis gebaut haben, kommen die Menschen, bringen Hühner mit, pflanzen Kartoffeln. Welche Gesellschaftsform das dann ist, das ist eine unglaublich spannende Frage, da könnte man abendfüllend drüber reden.

Und darüber, ob Frauen sie mitentwickeln.
Na, ohne Frauen wird das wohl kaum möglich sein!

Glauben Sie denn, dass Sie auf die eine oder andere Weise doch noch die Chance bekommen, in den Weltraum zu fliegen?
Ja, ganz klares Ja!

Interview: Alicia Lindhoff

Zur Person: Claudia Kessler

Claudia Kessler, 54, gründete 2016 die Initiative „Die Astronautin“ – mit dem Ziel, die erste deutsche Frau zur internationalen Raumstation ISS zu bringen.

Die studierte Ingenieurin für Luft- und Raumfahrt begann ihre Karriere bei der Firma Kayser-Threde in München und arbeitete später bei Airbus. Ab 2008 leitete sie das Deutschland-Geschäft von HE Space , einer Firma, die internationale Fachleute an Raumfahrtinstitute und Unternehmen vermitteln . Sie ist Mitgründerin des Verbands „Women in Aerospace Europe“.

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