Ratingagentur stuft Frankreich herunter
Die Verschuldung der Republik steigt gravierend, sie könnte zum Sorgenkind Europas werden.
Der Entscheid kommt nicht unerwartet, erwischt die Regierung in Paris aber zu einem schlechten Zeitpunkt. In einem Umfeld steigender Zinsen und Inflation stuft die Ratingagentur Fitch die Kreditwürdigkeit Frankreichs von AA auf AA- zurück. Die drittgrößte Benotungsagentur hatte den französischen Haushalt schon Ende 2022 unter Beobachtung gestellt. Ihren Schritt begründet sie nun mit der „politischen Sackgasse“ des französischen Rentenkonfliktes und seinen Folgen. Um die Reform durchzubringen, müsse Präsident Emmanuel Macron die Haushaltsausgaben steigern und geplante Reformen vertagen, schätzt Fitch; beides drohe die Verschuldung Frankreichs zu erhöhen.
Der Entscheid von Fitch hat vorerst kaum Folgen: Die Regierung in Paris wird weiterhin problemlos Zehnjahresanleihen begeben können. Der Preis dafür könnte allerdings steigen, nachdem die Zinsen für Frankreich in den letzten Jahren – auch teilweise inflationsbedingt – bereits von null auf drei Prozent gestiegen sind. Einige Ökonomen rechnen mit einem baldigen Anstieg auf vier Prozent. Für den Schuldendienst muss die Regierung in Paris in diesem Jahr bereits 45 Milliarden Euro aufbringen. Das ist mehr als die Hälfte des Ertrages aus den Einkommensteuern (85 Milliarden Euro).
Macron verteidigt sich
Die französische Staatsschuld dürfte im laufenden Jahr die psychologisch wichtige Schwelle von 3000 Milliarden Euro übersteigen. Frankreich ist damit das nominell am höchsten verschuldete Land der Eurozone. Einzelne Länder haben zwar gemessen an ihrem Wirtschaftsvolumen eine höhere Schuld, Italien etwa von 147 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die französische „dette“ (Schuld) wiegt aber in absoluten Zahlen schwerer. Sie hat in den letzten Jahren besonders stark zugenommen; in der Corona-Krise ist sie allein im Jahr 2019 von 97 Prozent auf 115 Prozent hochgeschnellt.
Macron hält mit einer Neuverschuldung von 647 Milliarden Euro seit seiner Wahl 2017 den Rekord aller französischen Präsidenten. Er verteidigt sich, das sei der Preis dafür gewesen, dass sein Land relativ gut durch die Pandemie gekommen sei und eine Rezession bislang vermieden wurde.
Jetzt reichen die Ratingagenturen aber die Rechnung nach. Standard & Poor’s will sich Anfang Juni zur Finanzlage Frankreichs äußern, Moody’s dürfte folgen. Wirtschaftsminister Bruno Le Maire reagierte auf die Zurückstufung durch Fitch eher gereizt und erklärte, er sei damit „komplett uneinig“. Frankreich habe mit den Reformen des Rentenalters und der Arbeitsversicherung sehr schwierige Reformen durchgezogen. Dank ihnen werde die Staatsschuld bis zum Ende von Macrons Amtszeit im Jahr 2027 auf 108,3 Prozent des BIP sinken.
Finanzexperten ziehen dieses Versprechen in Zweifel. Macron hat zuletzt angekündigt, dass er neben den Rüstungsausgaben auch die Lehrergehälter und die Bildungsstipendien anheben werde. Damit will der Präsident unter anderem den Unmut im öffentlichen Dienst über die Erhöhung des Rentenalters auf 64 Jahre dämpfen. Diese milliardenschweren Zusatzposten belasten den Jahreshaushalt und die Staatsschuld zusätzlich.
Der Internationale Währungsfonds warnte schon Mitte April, Frankreich werde das einzige Land der Eurozone sein, in dem die Verschuldung von 115 Prozent in den nächsten fünf Jahren steigen werde. Le Maires Versprechen, die Verschuldung in vier Jahren auf 108,3 Prozent zu senken, wird selbst in Paris für unglaubwürdig gehalten. Ein Vertreter des französischen Rechnungshofes erklärte unter Wahrung seiner Anonymität, Frankreich drohe in der Eurozone nach Griechenland und Italien zum „neuen Klassenletzten“ zu werden.
Die kürzlich vorgestellte Reform des EU-Stabilitätspaktes dürfte daran wenig ändern. Wollte Brüssel den skizzierten Schuldenrückbau wirklich durchsetzen, müsste Frankreich bis Ende dieses Jahrzehntes 20 Prozent seiner Staatsschuld abbauen und auf einem Schuldenstand von 95 Prozent landen. Das scheint völlig realitätsfremd.