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Die Politik muss eingreifen

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Von: Tim Szent-Ivanyi

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In Kliniken wurde jahrelang Pflegepersonal abgebaut.
In Kliniken wurde jahrelang Pflegepersonal abgebaut. © dpa

Die Stimmung in der Pflegebranche ist schlecht. Politik, Arbeitgeber und -nehmer müssen mehr tun - ohne sich zu behindern.

Es war der angehende Krankenpfleger Alexander Jorde, der im vergangenen Herbst in einer Wahlsendung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel seinen Frust abließ. Die Würde des Menschen in Krankenhäusern und Altenheimen werde tagtäglich tausendfach verletzt, empörte sich der junge Mann. „Es gibt Menschen, die liegen stundenlang in ihren Ausscheidungen.“ Die Pfleger seien völlig überlastet, weil sie sich um zu viele Patienten kümmern müssten, berichtete Jorde, der für seinen engagierten Fernsehauftritt viel Beifall erhielt. 

Der junge Mann hat nicht übertrieben. Auch Umfragen belegen regelmäßig, wie hoch die Arbeitsbelastung und damit die Unzufriedenheit ist. Für den Personalmangel gibt es unterschiedliche Gründe. In den Kliniken wurde jahrelang Pflegepersonal abgebaut, die Zahl der Ärzte stieg dagegen. Das Motto: Pflege kostet, Ärzte bringen Geld. Auch in der Altenpflege ist die Zahl der Mitarbeiter zu knapp kalkuliert, hinzu kommt die indiskutabel niedrige Bezahlung. Kein Wunder, dass mindestens 10.000 Stellen nicht besetzt werden können. 

Sofortprogramm für die Pflege

Die Politik hat endlich begriffen, dass sie eingreifen muss. Union und SPD haben in ihrem Sondierungspapier nicht nur ein Sofortprogramm für die Pflege vereinbart, sondern wollen auch strukturelle Änderungen durchsetzen, etwa verbindlicher Standards bei der Bemessung der Mitarbeiterstärke. 

Beides ist richtig, könnte sich aber aus mehreren Gründen als Symbolpolitik erweisen – insbesondere für die Altenpflege, wo die Schwierigkeiten am größten sind. Alle Maßnahmen nutzen schließlich nichts, wenn es nicht genug Bewerber für einen Pflegejob gibt. Und das ist leider der Fall. 

Wenn dann auch noch von der Politik Vorhaben umgesetzt werden, die die Krankenpflege stärken, dann wird es für die Altenpflege noch enger – schließlich konkurrieren beide Zweige letztlich um das gleiche Personal. Union und SPD planen aber derartiges: Im Bereich der Krankenhäuser sollen künftig alle Tarifsteigerungen vollständig durch die Krankenversicherung refinanziert werden. Das ist bisher nicht der Fall, weshalb nach jeder Tarifrunde ein Personalabbau droht. Durch die vorgesehene Änderung können die Kliniken wieder mehr Pflegekräfte einstellen. Das ist zwar isoliert betrachtet sinnvoll. Doch das Vorhaben wird eine Sogwirkung entfalten und damit die Personalsuche der Pflegeeinrichtungen weiter erschweren. Ein Dilemma, auf das die Politik bisher noch keine Antwort gefunden hat. 

Um nicht ganz abgehängt zu werden, müssen die (Alten-)Pflegeeinrichtungen auf jeden Fall deutlich mehr tun, um attraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen. Dazu gehören nicht nur höhere Löhne, sondern auch eine bessere Arbeitsorganisation, die auf Eltern und ältere Mitarbeiter Rücksicht nimmt oder neue Karrieremöglichkeiten. 

Die Politik könnte die Einrichtungen, die mit gutem Beispiel vorangehen, finanziell unterstützen, zum Beispiel durch die Auflösung des unsinnigen Pflegevorsorgefonds. 

Auch die Arbeitnehmer dürfen nicht weiter warten, bis andere für sie die Probleme lösen. Eine schlagkräftige gewerkschaftliche Vertretung, egal ob als eigene Pflegegewerkschaft oder unter dem Dach anderer Organisationen, ist überfällig. Jammern hilft nicht.

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