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Pharmakonzern Bayer: Der Neue in Leverkusen

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Von: Björn Hartmann

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Seit April ist Bill Anderson im Vorstand von Bayer, im Juni wird er Vorstandsvorsitzender.
Seit April ist Bill Anderson im Vorstand von Bayer, im Juni wird er Vorstandsvorsitzender. © dpa

Der Industriekonzern Bayer steckt in der Krise, schon länger. Investoren fordern die Zerschlagung. Nun kommt ein Chefwechsel. Wie tickt der Texaner Bill Anderson?

Wohin steuert Bayer? Die Frage stellen sich die 101 000 Beschäftigten schon länger. Seit Februar ist klar, wer sie beantworten soll: Bill Anderson, ein Amerikaner mit reichlich Erfahrung in der Branche. Und auch wenn an diesem Freitag auf der Hauptversammlung des größten deutschen Pharma- und Agrarchemiekonzerns noch einmal Werner Baumann vor den Aktionärinnen und Aktionären stehen wird, der Neue beeinflusst mindestens den Aktienkurs, auch wenn er erst seit 1. April im Vorstand ist und zum 1. Juni Chef wird. So viel ist jetzt schon klar: Es wird sich einiges ändern.

Ein kühler Abend Anfang April, Anderson hat gerade bei Bayer angefangen, das Mobiltelefon ist noch ganz neu, der Laptop auch. „Hi, I am Bill.“ Der erste Eindruck: lässig, drahtig, Jackett über T-Shirt, in der Hand eine braune Aktentasche, die in jedem Lehrerzimmer unauffällig wäre, Lachfalten im Gesicht. Anderson wirkt sehr entspannt auf die anwesenden Journalistinnen und Journalisten. Dabei ist die Aufgabe groß.

Baumann hatte 2016 kurz nach seinem Start als Bayer-Chef die Übernahme des US-Agrarchemie-Riesen Monsanto durchgezogen. Für umgerechnet 60 Milliarden Euro, der teuerste Zukauf eines deutschen Unternehmens überhaupt im Ausland. Bayer stieg zur Nummer 1 der Welt bei Saatgut und Pflanzenschutz auf. Die Leverkusener übernahmen allerdings auch ein Rechtsrisiko mit Milliardenkosten: zahlreiche Klagen, weil das Pflanzenschutzmittel Glyphosat Krebs ausgelöst haben soll.

„Mein Energielevel steigt mit Bayer“

Der Aktienkurs brach ein, Bayer ist heute mit Pharmasparte, Agrochemie und den nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten wie Aspirin insgesamt nur knapp 60 Milliarden Euro wert – also in etwa so viel, wie der Konzern für Monsanto bezahlte. Und auch wenn Umsatz, Gewinn und Dividende zuletzt recht gut aussahen, verlor Baumann das Vertrauen der Anlegerinnen und Anleger und den Rückhalt im Aufsichtsrat. Anderson soll es jetzt richten.

Der 56-Jährige erzählt erst einmal, wie er tickt, was ihn antreibt. Erstens: Mach etwas Großes, nicht nur einfach einen Job. Zweitens: Ownership, sich eine Aufgabe zu eigen machen. Drittens: Es gibt immer einen Weg, etwas besser zu machen. Womit er beim Leverkusener Konzern ist: starke Vision, motiviertes Team, weltweit bekannt. „Mein Energielevel steigt mit Bayer.“ Es soll ein Lob sein, so als sei alles noch besser als bei seinen vorherigen Stationen. Er arbeitete für die US-Biotech-Unternehmen Biogen und Genentech, zuletzt führte er die Pharmasparte von Roche in der Schweiz. Es könnte aber auch eine Drohung sein. Anderson wirkt allerdings, als freue er sich auf den neuen Job.

Und er ist immer für eine Geschichte gut zwischen dem ganzen Lob für den Konzern, das üblich ist, wenn man neu startet. An diesem Abend erzählt der designierte Chef über seine Eltern, wie es ist, in einer von Chemie geprägten Stadt in Texas aufzuwachsen. Er berichtet über den dreifachen Oberschenkelhalsbruch, weshalb er jetzt nicht mehr Skateboard fahren kann. Und über die Begeisterung für die 49ers, den American Football Club San Franciscos. Übrigens für ihn und seine Frau der einzige Grund, den Fernseher einzuschalten. Anderson verrät, dass er mit Cathy seit 33 Jahren verheiratet ist, dass einer der erwachsenen Söhne Wasserpolo spielt. Dass er 13-mal in den vergangenen Jahren umgezogen ist – Brüssel, San Francisco, zuletzt Basel. Und jetzt also Leverkusen.

Die Beschäftigten von der Leine lassen

Und während es um die besten Tandemstrecken im Bergischen Land nordöstlich von Leverkusen geht, könnte einem fast der Gedanke kommen, mit Anderson ins benachbarte Bayer-Kasino umzuziehen – bei einem Glas Wein könnte es sich ja noch bequemer reden. Denn Anderson gibt sich, als sei er der neue Kollege nach Feierabend und nicht der Chef eines Großkonzerns, der Antworten auf ganz große Fragen geben muss.

Etwa: Wird Anderson Bayer in ein Pharma- und ein Agrarchemieunternehmen zerlegen, wie sich das einige Großaktionäre wünschen? Der designierte Chef bleibt vage. Er könne auch M&A, sagt er, Mergers and Acquisition, Fusionen und Zukäufe – in diesem Fall aber als aufspalten zu verstehen. Die Struktur zu ändern, sei greifbar, aber eben auch zu einfach, sagt Anderson. Sein Kerngebiet sei, Forschung und Entwicklung anzutreiben. Gerade im Pharmageschäft ist das besonders wichtig: Hier entstehen heute die Ideen für Medikamente, die in zehn Jahren Milliardenumsätze bringen. So lange dauert es in der Regel vom Molekül zum fertigen Medikament.

Insgesamt sei Bayer schon gut aufgestellt, findet Anderson. Aber aus seiner Sicht geht natürlich noch mehr. Nicht unbedingt einfach mehr Geld ausgeben, das könne jeder, sagt er. Aber es müsse auch Ergebnis bringen, also Konzernumsatz und -gewinn erhöhen. Ein Problem aus seiner Sicht: Bürokratie oder große Strukturen. Die Leute hätten einen Wunsch, etwas zu tun, würden aber gebremst.

Also: Habe großartige Mitarbeiter:innen und lasse sie los – strukturiert. Zum Beispiel einfach einmal Budgets abschaffen, wie er das bei Roche gemacht hat. Keine Finanzvorgabe, sondern: Gebt aus, was ihr meint, und erklärt es hinterher. Was wie der Alptraum eines klassischen Controllers klingt, senkte bei Roche die Ausgaben, erzählt Anderson. Viele Projekte brauchten weniger Geld. Andere beschleunigten sich, weil die Budgets sie blockiert hatten.

Anderson beherrscht auch klassischen Manager-Jargon: „Wir wollen liefern, nur das tun, was wichtig ist für die Bayer-Mission.“ Auch „Streamlining“ fällt. Stromlinienförmiger soll die Arbeit werden, weniger Regularien, mehr Verantwortung für die Beschäftigten. Mehr Effizienz, mehr Durchlässigkeit, mehr Investitionen: „Wenn du es zum Laufen bringst“, sagt Anderson, „wird es nicht zu bremsen sein.“ Am 1. Juni startet die Bewegung. Der Aktienkurs steigt bereits.

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