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Parfüm statt Rotwein

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Von: Stefan Brändle

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Viele Winzerinnen und Winzer reißen inzwischen Reben aus.
Viele Winzerinnen und Winzer reißen inzwischen Reben aus. © Imago/Panthermedia

Ein Bordeaux, der steht eigentlich für Qualität. Doch viele Winzerinnen und Winzer der Region stehen vor dem finanziellen Ruin. Sie müssen sich neu orientieren.

Winzer im Konkurs“ hieß es unlängst auf einem großen Transparent auf einer Kundgebung in Bordeaux. Mehrere hundert Weinbauern waren – bereits zum zweiten Mal seit letztem Jahr – in die Regionalmetropole geströmt, um auf ihre prekäre Lage aufmerksam zu machen. Von 4000 Winzer:innen ihres Gebietes, des Bordelais, stecken laut einer Branchenumfrage über 1300 in akuter Finanznot. Ein Drittel.

Die Situation ist paradox: Auf der Sonnenseite erwirtschaften berühmte Grands Crus wie Margaux, Pauillac oder Saint-Emilion hohe Gewinne. Dass sie gesuchte Investitionsobjekte bleiben, zeigte sich, als ein Pomerol-Rebberg zuletzt für den Rekordpreis von 8,5 Millionen Euro pro Hektar wegging.

In ihrem Schatten stehen und leiden all jene kleineren und eigenständigen Winzer:innen, die das Gros der 50 000 Beschäftigten in der Bordeaux-Weinbranche ausmachen. Sie produzierten früher einen ordentlichen Tafelwein für französische Kund:innen und Supermärkte, haben aber über die Jahrzehnte und Generationen oft höhere Qualitäts- und Gütesiegel ergattert.

Weniger Exporte nach China und in die USA

Heute spielt die Zeit gegen diese Kleinwinzer:innen. In ihrem Hauptmarkt Frankreich hat sich der Konsum von Rotwein in den letzten fünf Jahrzehnten halbiert. „Man trinkt weniger Tafelwein, dafür mehr Weißen, Rosé und Schaumwein“, hält der Bordeaux-Branchenverband CIVB in einer Studie fest. Zölle und die Covid-Pandemie hätten auch die Ausfuhren in die USA und nach China einbrechen lassen.

Die Rotweinexporte Richtung Amerika und Asien ziehen zwar langsam wieder an. Davon profitieren aber vor allem die Spitzenweine im Bordelais. Die Winzer:innen bleiben durchschnittlich auf zwölf Prozent ihrer Rotweine sitzen. Laut CIVB lagern derzeit 300 000 Hektoliter Rebensaft in den Weinkellern des Bordelais. 200 000 Hektoliter wurden mit Verlust verkauft. Diese Überproduktion geht auf das Ende des letzten Jahrhunderts zurück, als die Bordeaux-Zunft in der allgemeinen Preis-euphorie und den einsetzenden Exporten nach China die Weinberge massiv ausbaute. Zwischen 1982 und 2000 stieg ihre Fläche im Bordelais von 75 000 auf 120 000 Hektar.

Jetzt bekommen die Winzer:innen ihren Wein nicht mehr los. Zudem steigen ihre Produktionskosten inflationsbedingt. Viele Weinproduzenten müssen Insolvenz anmelden. So auch Daniel Mercier, der in Camiran 65 Hektar Reben bewirtschaftet. Der Winzer im Pensionsalter rührte die Nation, als er dem Sender France-3 erzählte, wie er manchmal das Grab seines längst verstorbenen Vaters aufsuche und ihm erzähle, dass das einst so stolze Familiengut vor dem Ruin stehe. „Das macht mich gallig“, schimpfte er, um dann in Tränen auszubrechen.

Sein Sohn Bastien zeigte auf den Weinkeller, der seit 1837 mehreren Generationen diente. Damit sei jetzt Schluss: Die Familie sucht, auch wenn bisher vergeblich, Käufer für einen Teil des Landes. Und sie verlangt nicht Millionen, sondern bloß 5000 Euro je Hektar.

Olivenbäume statt Weinstöcke

Auch in den umliegenden Weinbergen südöstlich von Bordeaux wollen Winzer:innen ihre Reben ausreißen. Einzelne ringen sich dazu durch, in dem zunehmend wärmeren Klima Kiwi- oder Olivenbäume zu pflanzen. Oder anders zu „diversifizieren“, wie das neue Modewort in Bordeaux heißt. Das ist sicherlich nicht gerade der Lebenstraum eines Winzers. Zumal es ins Geld geht, Reben aus dem Boden zu holen und zu entsorgen.

Bei den jüngsten Kundgebungen in Bordeaux verlangten die Winzer:innen staatliche Stilllegungsprämien. Als Reaktion kündigte der französische Landwirtschaftsminister Marc Fesneau am 6. Februar an, der Staat sowie ein EU-Agrarfonds werde den Bordeaux-Bauern beim Rebenausreißen unter die Arme greifen.

Zugleich stellt Paris 160 Millionen Euro bereit, mit denen die Weinlager abgebaut werden sollen: Ab der nächsten Ernte im Oktober werden die Überschüsse destilliert. So trist es anmutet: Aus den Bordeaux-Reben wird dann Industriealkohol, Parfüm oder Bioethanol.

Die Prestigenamen der Bordeaux-Branche sorgen immerhin dafür, dass dieses Destillierungsprogramm nicht an die große Glocke gehängt wird. Niemand soll fragen, ob ein Premier Grand Cru und ein Desinfektionsgel die gleiche Herkunft haben.

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