Schleswig Holstein träumt vom „grünen Ruhrgebiet“

Schleswig-Holstein verfügt Energie aus Erneuerbaren, die industriell genutzt werden soll – eine Entscheidung, die bei der Landtagswahl eine Rolle spielt.
Kiel – Bernd Buchholz gerät ins Schwärmen: „In einem ehemals strukturschwachen Bereich an der Westküste entsteht die Energieküste schlechthin.“ Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister denkt dabei zunächst an eine Megafabrik in Heide. In dieser kleinen Stadt in Dithmarschen, die bei Touristen mit dem größten Marktplatz Deutschlands punktet, will das schwedische Unternehmen Northvolt ein großes Werk für E-Batterien bauen – Autobatterien für die zukünftigen Elektrofahrzeuge von Volkswagen, Scania und Volvo.
Northvolt-Chef Peter Carlsson verspricht eine Investition von vier Milliarden Euro und 3000 Jobs. Land und Bund wollen die Ansiedlung finanziell unterstützen. Minister Buchholz (FDP) schwärmt für die „Gigafactory“. Nur ein wenig skeptischer klingt Daniel Friedrich, Bezirksleiter IG Metall Küste: Das Unternehmen müsse auch für „gute Arbeit mit Tarifverträgen und Mitbestimmung sorgen“.
Schleswig-Holstein: 175 Prozent des Bruttostromverbrauchs aus „grünen Quellen“
Für den Standort spricht aus Sicht der Schweden neben der günstigen Lage zwischen Nord- und Mitteleuropa der „Reichtum an sauberer Energie“. Schließlich ist das erklärte Ziel des jungen Unternehmens, Batterien „mit dem geringsten ökologischen Fußabdruck herzustellen“. Dafür bietet das Land zwischen den Meeren, das traditionell von Fischfang, Werften und Tourismus lebt, allerbeste Bedingungen.
Schon 2020 gewann das sonnenverwöhnte Schleswig-Holstein rund 175 Prozent seines Bruttostromverbrauchs aus „grünen Quellen“, deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 46 Prozent, so eine Studie der NordLB. Ihre Ambitionen zu einer nachhaltigeren Energiewirtschaft untermauerte die Regierungskoalition aus CDU, Grünen und FDP mit einem Energiewendegesetz, welches die unübersehbare Windmühlenhäufigkeit um einen ehrgeizigen Ausbau der Photovoltaik ergänzt.
Schleswig-Holstein produziert deutlich mehr Ökostrom als es verbraucht
Auch in Dithmarschen ist weit mehr als eine neue Batteriefabrik geplant. In Brunsbüttel beginnt die meist befahrene künstliche Seeschifffahrtsstraße der Welt. Der Nord-Ostsee-Kanal verbindet die Nordsee mit der Ostsee und diese mit Deutschlands wichtigstem Seehafen in Hamburg. An dieser strategisch zentralen Stelle entstehen ein Terminal für Flüssigerdgas (LNG) und eins für Ammoniak. Finanziert von der staatlichen KFW-Bank und dem Energieversorger RWE, Großkunde wird Shell. Nicht jeden erfreuen solche Pläne. Eine Energieversorgung auf der Grundlage fossiler Brennstoffe findet das Klimabündnis gegen LNG „höchst fragwürdig“.
Die Klimakrise sei eine existenzielle Bedrohung der Menschheit. Ein LNG-Terminal in Brunsbüttel sei daher „energie-, klima-, sicherheits- und finanzpolitischer Wahnsinn“, sagt Aktivist Reinhard Knof. Ein Teil des LNG würde aus schmutzigem amerikanischem Fracking-Gas stammen, der andere Teil aus arabischen Diktaturen. Umweltverbände plagen zudem Sicherheitsbedenken, da die Gas-Terminals neben Chemie- und Düngemittelindustrien entstehen sollen. Der Widerstand reicht bis in die Reihen der Grünen.
Schleswig-Holstein: „Das Kraftwerk Küste zeigt seine Stärke“
Erst im Februar hatte ein Parteitag erneut gegen die Pläne der Landesregierung votiert. „Schleswig-Holstein braucht kein LNG-Terminal“, heißt es im Programm zur Landtagswahl. Brunsbüttel müsse stattdessen zu einem modernen Industriestandort mit grüner Wasserstofftechnologie weiterentwickelt werden. Dabei hatte sich die grüne Spitzenkandidatin und stellvertretende Ministerpräsidentin Monika Heinold für einen LNG-Terminal starkgemacht. Kräftig unterstützt wurde sie vom Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck.
Seit zwei Jahrzehnten, als der Ausbau der Windenergie Fahrt aufnahm, träumen viele in Schleswig-Holstein vom „grünen Ruhrgebiet“ – wie ehedem im Kohlerevier sollen Unternehmen dort investieren, wo die Power zu Hause ist. „Industrie folgt der Energie“, ist IG-Metaller Friedrich für Schleswig-Holstein optimistisch. „Das Kraftwerk Küste zeigt seine Stärken.“
Schleswig-Holstein: 2021 wuchs die Wirtschaft preisbereinigt 2,2 Prozent
So richtig geklappt hat das bislang nicht. Mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von rund 33.500 Euro pro Kopf liegt das Land im Mittelfeld. 2021 wuchs die Wirtschaft preisbereinigt mit 2,2 Prozent sogar langsamer als deutschlandweit (2,9 Prozent). In Sachen Infrastrukturprojekten des Bundes fühlt man sich im Norden gegenüber dem Süden benachteiligt. Seit Jahrzehnten stockt der Ausbau der Küstenautobahn, mit der das Land mit Niedersachsen und dem Ruhrgebiet verbunden werden soll.
Und auch die Bahnstrecke Hamburg-Sylt ist immer noch nicht vollständig elektrifiziert. Auf halber Strecke muss zeitaufwändig die Lok gewechselt werden. Dabei setzt Northvolt auch auf Arbeitskräfte, die schnell aus Hamburg per Bahn nach Heide pendeln sollen. Die Regierung in Kiel geht nun in Vorleistung. Im Sommer sollen die Arbeiten an der Strecke beginnen. (Hermannus Pfeiffer)