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Mitten in der Hölle

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Von: Alexandra Regner

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Wer muss gehen, wer kann bleiben? Rund 12 000 Mitarbeiter der Commerzbank könnten vom Stellenabbau betroffen sein, schätzen Gewerkschafter.
Wer muss gehen, wer kann bleiben? Rund 12 000 Mitarbeiter der Commerzbank könnten vom Stellenabbau betroffen sein, schätzen Gewerkschafter. © rtr

Die Commerzbank will „möglichst sozialverträglich“ Tausende Jobs streichen. Ganz so reibungslos verläuft das nicht - ein Gewerkschafter wählt drastische Worte.

Normalerweise tagen wir alle zwei Monate drei Tage lang“, stöhnt Stefan Wittmann, Landesfachbereichsleiter Finanzdienstleistungen Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen bei der Gewerkschaft Verdi. „Jetzt tagen wir ununterbrochen seit 10. Mai durch.“ Wittmann wird im November Mark Roach ablösen, der für die Gewerkschaft im Aufsichtsrat der Commerzbank sitzt und in den Ruhestand geht. Seit Januar 2017 ist Wittmann für die Commerzbank im gesamten Bundesgebiet zuständig – und wurde damit „mitten in die Hölle“ geschickt, wie er sagt.

Denn ganz so reibungslos verläuft der gewaltige Stellenabbau nicht. Anfang 2016 waren erste Pläne zu den Streichungen bei der Commerzbank intern aufgekommen, im Herbst desselben Jahres wurden dann Details im Rahmen der Strategie „Commerzbank 4.0“ kommuniziert. „Wir werden versuchen, den Personalabbau möglichst sozialverträglich zu gestalten und mit dem Gesamtbetriebsrat so kooperativ wie möglich zusammenzuarbeiten“, hatte Vorstandschef Martin Zielke damals versprochen.

Bis 2020 sollen unter dem Strich 7 300 Vollzeitstellen bei dem Institut wegfallen, das im Ranking der größten deutschen Banken nach Bilanzsumme mittlerweile von Platz zwei auf Platz vier abgerutscht ist – nach der Deutschen Bank, der DZ Bank und der KFW.

Das Gros des geplanten Abbaus von insgesamt bis zu 9 600 der Ende 2016 etwas mehr als 44 000 Arbeitsplätze soll über Vorruhestand und Altersteilzeit bewerkstelligt werden. Da gleichzeitig 2 300 neue Jobs „in Wachstumsfeldern“ – unter anderem der Datenanalyse – entstehen sollen, beläuft sich der Netto-Stellenabbau auf 7 300 Arbeitsplätze. Wittmann befürchtet allerdings, dass von den Stellenstreichungen – bedingt durch die hohe Teilzeitquote – bis zu 12 000 Mitarbeiter betroffen sein werden.

Die Gespräche mit dem Betriebsrat über den Stellenabbau haben im März „in einer konstruktiven Atmosphäre“ begonnen, wie Finanzvorstand Stephan Engels Anfang Mai bei der Vorstellung der Zahlen für das erste Quartal sagte. Wittmann spricht indes von „konstruktiver Wut“. Ende März sei dem Gesamtbetriebsrat ein Maßnahmenpaket vorgestellt worden. „Zwei Tage lang wurden den Betriebsräten rund 1000 Seiten um die Ohren gehauen“, sagt Wittmann. Das Paket sei „mit großem Entsetzen aufgenommen worden“, dieses dann aber dem Ärger gewichen.

Das Paket sieht vor, dass die Firmenkundenabteilung bis Ende 2020 am stärksten geschröpft wird: „Rund ein Drittel der Stellen sollen dort wegfallen“, sagt Wittmann. Darin enthalten seien auch Stellenwechsler in andere Bereiche des Konzerns und auch die Auslagerung der Aktienmarkt- und Rohstoffabteilung falle darunter. Ende 2016 arbeiteten in der Sparte noch 6611 Beschäftigte. In der Privatkundensparte sollen laut Wittmann rund 800 Stellen wegfallen, ein Aderlass von 7,5 Prozent.

Die Bank will sich künftig auf Privat- und Firmenkunden konzentrieren. In letzterem Segment ist die Commerzbank nach eigenen Angaben Marktführer in Deutschland. Dazu werden die Mittelstandsbank und die Kapitalmarktsparte zusammengelegt und das Handelsgeschäft eingedampft. Zudem werden kleinere Unternehmenskunden künftig vom Privatkundenbereich betreut werden.

„Es wird noch Zeit brauchen, bis unser Wachstum die Belastungen aus dem negativen Zinsumfeld deutlich übertreffen wird“, erklärte Zielke bei der Bilanzvorlage Anfang des Monats. Das anhaltende Niedrigzinsumfeld war ein Grund, wieso die Commerzbank einfach nicht mehr genug Geld verdiente. Konnte sich Zielkes Vorgänger Martin Blessing noch mit einem Milliardengewinn verabschieden, wies das Institut im vergangenen Jahr unter dem Strich nur einen Überschuss von 279 Millionen Euro aus. Der Stellenabbau soll ein Weg aus der Misere sein.

„Wir sind mit der Umsetzung unserer Strategie Commerzbank 4.0 auf Kurs“, sagte der seit Mai 2016 amtierende Vorstandsvorsitzende bei der Vorstellung der Zahlen für das erste Quartal, die unter dem Strich besser als erwartet ausgefallen waren. Zielkes Finanzvorstand Engels präzisierte bei einer anschließenden Telefonkonferenz: „Auch wenn ich Ihnen zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Details nennen kann, so kann ich sagen, dass im April eine erste Einigung über ein Altersteilzeitprogramm erzielt wurde.“

„Mittlerweile wurden 3000 Angebote für Altersteilzeit gemacht, und zwar nach dem Prinzip der Freiwilligkeit“, sagt Wittmann.

Es seien also nicht einzelne Mitarbeiter ausgesucht worden. „Die Angebote wurden pauschal für Angestellte, die vor 1962 geboren wurden, gemacht“, sagt Wittmann. Sie sähen eine Abfindung von 30 000 Euro vor. Manche Beschäftigte haben demnach bis Ende Juni, andere bis Ende August Zeit, um sich für oder gegen das Angebot zu entscheiden.

Das Ganze sei „mit heißer Nadel gestrickt“ worden, habe sich also in den vergangenen Tagen vollzogen. „Der Betriebsrat wertet die Angebote als positiv“, sagt Wittmann. Er sieht die Angebote aber auch als risikobehaftet – für das Geldhaus wohlgemerkt. Denn die Offerte könne ja durchaus auch von Mitarbeitern angenommen werden, die die Commerzbank eigentlich behalten wolle.

Sozialplan soll im Herbst kommen

Wie die Bank den Jobabbau darüber hinaus konkret umsetzen will, weiß Wittmann noch nicht, nur so viel: „Die bauen alles um. Kein Stein bleibt auf dem anderen.“ Bis 30. Juni sei ein sogenannter Rahmeninteressenausgleich geplant, in dem die Bank noch einmal genau erläutern müsse, was sie wo vorhabe. Im Herbst rechnet er mit einem Sozialplan, in dem unter anderem Vorruhestand und Abfindungen geregelt seien. Rund 1,1 Milliarden Euro soll die Restrukturierung in den kommenden Jahren kosten. Wie schnell sie vonstatten geht und wann sie sich in der Bilanz niederschlägt, hängt von der Einigung mit dem Betriebsrat ab.

Wittmann hält den Zeitplan für zu ambitioniert. Bei inakzeptablen Bedingungen seitens des Arbeitgebers könne es durchaus Widerstand geben, sagt er. „Dann wird der Betriebsrat die Restrukturierungsmaßnahmen verzögern oder blockieren und so lange Sitzungen machen, bis es eine Einigung gibt.“ Knackpunkte wären für Wittmann beispielsweise, wenn der Abbau in einigen Regionen nicht nachvollziehbar wäre oder die Technik für die Arbeit ohne die vom Abbau betroffenen Mitarbeiter noch nicht richtig funktionieren würde. Ein absolutes No-go wäre für ihn weitere Tarifflucht, also wenn die Bank beispielsweise die Stellen streichen, aber die Zahl der Beschäftigten in tariflosen Tochtergesellschaften aufstocken würde. In Com TS, kurz für Commerzbank Transaction Services, in Halle an der Saale, Magdeburg, Erfurt und Hamm arbeiten bereits mehrere Hundert Beschäftigte für „Hungerlöhne“ von teilweise neun Euro die Stunde.

„Es herrscht Unruhe“, fasst Wittmann die Stimmung bei der Commerzbank zusammen, da sich „immer mehr die Erkenntnis breit macht, dass der Abbau jeden betrifft“. Dennoch hält er es nicht für ausgeschlossen, dass schlussendlich mehr Commerzbank-Beschäftigte die Abfindungsangebote annehmen könnten, „als die Bank eigentlich loswerden wollte“.

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