Wie die Rettung der Meere gelingen kann

Bis 2030 sollen viele Millionen Quadratkilometer Ozean als Schutzgebiete ausgewiesen werden – eine Konferenz in Vancouver diskutiert über den Weg dahin.
Vancouver - Die Staatengemeinschaft hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Um das Artensterben zu stoppen und Biodiversität zu erhalten, sollen bis 2030 jeweils knapp ein Drittel der globalen Land- und der Wasserfläche unter Schutz gestellt werden. Nun muss dieser Beschluss umgesetzt werden. Ein Meeresschutzkongress in Vancouver will der Ausweisung von Schutzzonen in den Ozeanen weiter Schwung geben.
Vor sechs Wochen hatte die Weltnaturkonferenz von Montreal beschlossen, mindestens 30 Prozent der Meeres- und Küstenfläche bis 2030 unter Schutz zu stellen. Dies gibt dem „Internationalen Meeresschutz-Kongress“ in Vancouver, kurz Impac5 genannt, nach Einschätzung von Fachleuten eine wegweisende Bedeutung. „Das ist eine ganz spannende Konferenz. Das Ziel, 30 Prozent bis 2030 zu erreichen, motiviert, aber wir müssen uns fragen: Wie erreichen wir das denn?“ sagt Martin Sommerkorn vom WWF-Arktis-Programm. „Wir spüren viel Energie beim Meeresschutz. Wir müssen das Momentum nutzen“, urteilt Boris Worm, Professor für Meeresbiologie an der Dalhousie-Universität in Halifax.
Ruhig gleitet das Schiff in den Howe Sound an der Pazifikküste bei Vancouver. Dieses landschaftliche Juwel war im September 2021 von der Unesco zum Biosphärenreservat Átl’ka7tsem/Howe Sound erklärt worden. Átl’ka7tsem nennt die hier lebende Squamish First Nation den 42 Kilometer langen Sund, „nach Norden Paddeln“. Vancouver und der Howe Sound sind das Territorium der Squamish-, der Musqueam und der Tsleil-Waututh-Nationen.
Verschmutzung der Meere: Große Lücke im Schutzsystem
Über 2000 Quadratkilometer groß ist das Biosphärenreservat. Nur 16 Prozent sind Wasserfläche, wovon einige kleine Bereiche als Schutzgebiete ausgewiesen sind. Die Auszeichnung als Biosphärenreservat wurde Átl’ka7tsem nicht nur wegen der landschaftlichen Schönheit zuteil. Anerkannt wurde auch, dass es nach der Schließung einer Kupfermine und einer Schmelzhütte, die die Gewässer mit Schwermetallen verseucht hatten, nach 1974 gelungen war, diese industrielle Verschmutzung abzubauen und eine nachhaltige Entwicklung und Nutzung von Land und Wasser zu fördern, von der auch die indigenen Völker profitieren. Joyce Williams von der Squamish Nation ist Ko-Vorsitzende des Gremiums, das das Biosphärenreservat managt. Sie ist an Bord des Schiffs, das Teilnehmende von Impac5 in den Howe Sound bringt. „Diese Wasserwege waren unsere Highways“, sagt sie. „Wir paddelten auf und ab, wir folgten unseren Ressourcen, den Fischen. Hier leben wir seit Menschengedenken.“
„Die Ozeane sind das System, das unser Leben erhält“
Rund 4000 Teilnehmer:innen aus mehr als 120 Ländern sind zum Impac5 gekommen. Die Aufgabe, 30 Prozent der Land- und Wasserfläche zu schützen, ist monumental. Gegenwärtig stehen weniger als zehn Prozent der Weltmeere unter Schutz. Rund 360 Millionen Quadratkilometer groß ist die Ozeanfläche. 30 Prozent bedeutet, dass rund 110 Millionen Quadratkilometer geschützt werden müssen, rechnet Aulani Wilhelm vor, Vizepräsidentin bei Conservation International und derzeit im Weißen Haus in Washington an der Formulierung der US-Naturschutzpolitik beteiligt. Derzeit aber sind es weniger als 30 Millionen. „Wir müssen eine Lücke von 79 Millionen Quadratkilometern schließen“, sagt die Frau aus Hawaii, die maßgeblich an der Schaffung des Papahanaumokuakea Marine National Monument in Hawaii beteiligt war. Mit 1,5 Millionen Quadratkilometern ist Papahanaumokuakea eines der größten Meeresschutzgebiete.
„Die Ozeane sind das System, das unser Leben erhält“, sagt Sylvia Earle. Die 87 Jahre alte Frau, die die erste Chefwissenschaftlerin der US-amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) war, ist eine Legende unter Meeresfachleuten. 30 Prozent sind gut, aber sie will mehr. „Wie viel unseres Herzen wollen wir schützen? 30 Prozent?“, fragt sie. Der Ozean wird oft als „das blaue Herz unseres Planeten“ bezeichnet. Er reguliert das Klima, absorbiert Kohlendioxid und Wärme und produziert Sauerstoff. Er ist Lebensraum für Tiere und Pflanzen und liefert Lebensmittel für die Menschen.
Müll in den Ozeanen: „Erneuerungskraft der Meere ist erheblich“
Rund um den Erdball werden nun Meeresgebiete, die besonders wichtig und repräsentativ für Meereshabitats sind, als „marine protected areas“ (MPA) unter Schutz gestellt. Der 1975 geschaffene „Great Barrier Reef Marine Park“ in Australien war mit 344.000 Quadratkilometer Fläche das erste wirklich große Meeresschutzgebiet. „Vor 20 oder 30 Jahren wussten wir noch nicht sehr viel, was in den Schutzzonen passiert. Heute wissen wir: Die Erneuerungskraft der Meere ist erheblich“, sagt Boris Worm. Seegrasflächen und Algenwälder wachsen wieder. Fischbestände erholen sich, auch in angrenzenden Meeresgebieten. Schutzzonen stabilisieren die Biodiversität des Ozeans und haben ökonomische Vorteile für die lokale Bevölkerung. Sie unterstützen nachhaltigen Fischfang und Tourismus.
Das in Montreal verabschiedete Weltnaturabkommen enthält keine verbindlichen Kriterien für Meeresschutzgebiete. Die Internationale Union zur Bewahrung der Natur (IUCN) hat mit anderen Organisationen Richtlinien erarbeitet, um MPAs zu evaluieren. Diese Richtlinien unterscheiden zwischen mehreren Kategorien, von „voll geschützt“ bis „minimal geschützt“. Grundsätzlich gilt es als Minimum für die Anerkennung als Schutzgebiet nach IUCN-Richtlinien, dass Öl- und Gasförderung, Abbau von Metallen und Mineralien und hochindustrialisierter und den Meeresboden zerstörender Fischfang wie Grundschleppnetzfischerei dort verboten sein muss.

Rund 60 Prozent der Meere sind hohe See. Sie liegen außerhalb der 200-Seemeilenzonen der Küstenstaaten und sind internationale Gewässer. Nun richtet sich der Blick auf Verhandlungen am UN-Sitz Ende dieses Monats. Dort soll ein Abkommen über die hohe See vereinbart werden, das den Schutz der Meere in internationalen Gewässern erleichtern soll.
Das Abkommen von Montreal hebt die Beteiligung indigener Völker beim Schutz der Natur hervor. Die Territorien der indigenen Völker gehören zu den artenreichsten der Welt. „Wir können unser 30-Prozent-Ziel ohne die indigenen Völker nicht erreichen“, sagt Joyce Murray, Kanadas Ministerin für Fischerei und Ozeane.
Enge Kooperation mit indigen Organisationen
Squamish, Musqueam und Tsleil-Waututh sind mit der Regierung Kanadas Gastgeber-Nationen des Kongresses. Die Beteiligung der Ureinwohnervölker in den Foren der internationalen Umweltkonferenzen wird immer größer. „Wir haben die legale und moralische Verpflichtung, die indigene Führung beim Schutz von Land und Wasser zu unterstützen“, sagt Kevin McNamee von der Nationalparkbehörde Parks Canada.
Kanada sucht die enge Kooperation mit indigenen Organisationen und das Ko-Management bei der Verwaltung der Schutzgebiete. Als vor über 100 Jahren die ersten Nationalparks in Kanada entstanden, wurden deren Grenzen an Schreibtischen ohne Berücksichtigung der Ureinwohnervölker festgelegt. Im Extremfall wurden sie vertrieben oder durften die Schutzgebiete, die ihre Jagdgebiete waren, nicht mehr betreten. Heute wird „indigen geführter Naturschutz“ propagiert. First Nations, Inuit und Métis bestehen darauf, wenn ihre Gemeinden und traditionelles Land berührt sind. Für Joyce Williams von den Squamish bedeutet dieser Politikwandel, dass ihr Volk nun mitbestimmt und mitgestaltet: „Wir nehmen den Raum, in dem unsere Vorfahren lebten, wieder in Besitz.“ (Gerd Braune)