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Kunststoffe aus dem Verkehr ziehen

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Von: Joachim Wille

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Kunstinstallation mit Plastikflaschen, die in Indonesien aus einem Fluss gefischt wurden.
Kunstinstallation mit Plastikflaschen, die in Indonesien aus einem Fluss gefischt wurden. © AFP

Die weltweite Verschmutzung mit Plastikmüll könnte bis 2040 um 80 Prozent verringert werden, das zeigt ein UN-Report.

Ohne Kunststoffe ist das moderne Leben nicht denkbar, doch die Verschmutzung des Planeten mit Plastikmüll hat dramatische Ausmaße angenommen – von den gigantischen Plastikstrudeln auf den Weltmeeren über vermüllte Straßen in vielen Metropolen im globalen Süden bis zu Mikroplastik, das im arktischen Schnee gefunden wird. Doch eine weitgehende Lösung des Problems ist möglich. Denn laut einem neuen Bericht des UN-Umweltprogramms Unep in Nairobi könnte die Plastikverschmutzung bis 2040 mit existierenden Technologien um 80 Prozent reduziert werden. Voraussetzung allerdings: tiefgreifende politische und marktwirtschaftliche Veränderungen hin zu einer Kreislaufwirtschaft statt des „Ex-und hopp“-Prinzips.

Die Vereinten Nationen wollen das Problem angehen. Und dafür liefert der aktuelle Report eine wichtige Grundlage. Im vergangenen Jahr wurde ein zwischenstaatliches Gremium eingesetzt, das bis 2024 den Entwurf für ein internationales Plastik-Abkommen ausarbeiten soll. Am 29. Mai beginnt die zweite Verhandlungsrunde dieses Gremiums in Paris. Der Unep-Bericht trägt der Titel: „Den Hahn abdrehen: Wie die Welt die Plastikverschmutzung beenden und eine Kreislaufwirtschaft schaffen kann“.

Regierungen müssen für mehr „Mehrweg“ sorgen

Um die 80-Prozent-Reduktion bis 2040 zu erreichen, schlägt Unep vor, zunächst problematische und unnötige Kunststoffe aus dem Verkehr zu ziehen. Danach brauche es drei Marktveränderungen: Wiederverwendung, Recycling sowie Neuausrichtung und Diversifizierung von Produkten.

Optionen wie wiederbefüllbare Flaschen, Großpackungen, Pfandsysteme und Rücknahmesysteme für Verpackungen können die Kunststoffverschmutzung laut dem Report bis 2040 um 30 Prozent reduzieren. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, müssten die Regierungen dafür sorgen, dass sich Mehrweg in der Wirtschaft stärker durchsetzt.

Ein verbessertes Recyceln von Plastikabfällen bringt danach weitere 20 Prozent, vorausgesetzt, eine solche Verwertung wird in den kommenden Jahren profitabler. Mittel dazu seien unter anderem die Durchsetzung von Designrichtlinien zur Verbesserung der Recyclingfähigkeit sowie die Abschaffung von Subventionen für fossile Rohstoffe. Der teilweise Ersatz von Plastik durch Alternativen wie Papier oder kompostierbare Materialien wiederum ermöglicht gemäß dem Report weitere 17 Prozent.

Hunderttausende Arbeitsplätze könnten entstehen

Trotz dieser Verbesserungen, die die Plastikverschmutzung um rund zwei Drittel kappen würden, müssten laut der UN-Organisation bis 2040 jährlich rund 100 Millionen Tonnen Kunststoff aus Einweg- und kurzlebigen Produkten sicher „entsorgt“ werden, unter anderem durch Verbrennung. Hierzu sollen die Regierungen Sicherheitsstandards für die Entsorgung nicht recycelbarer Kunststoffabfälle festlegen.

Unep macht für diese Umstellungen eine positive Gesamtrechnung auf. Der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft werde in den ökonomischen Bilanzen weltweit bis 2040 zu Einsparungen in Höhe von 1,27 Billionen US-Dollar führen. Hinzu kämen weitere Entlastungen im Wert von 3,25 Billionen, weil Kosten unter anderem in den Bereichen Gesundheit, Klima, Luftverschmutzung und Schädigung von Meeresökosystemen eingespart würden. Zudem können laut dem Report zahlreiche neue Arbeitsplätze vor allem im Recyclingsektor entstehen, unter dem Strich bis zu 700 000.

Unep-Chefin Inger Andersen sagte bei der Präsentation der Studie: „Die Art und Weise, wie wir Kunststoffe produzieren, verwenden und entsorgen, verschmutzt Ökosysteme, gefährdet die Gesundheit und destabilisiert das Klima.“ Der Bericht liefere einen Fahrplan, dies zu ändern. „Wenn wir diesem Fahrplan folgen, auch bei den Verhandlungen über das Abkommen zur Bekämpfung der Plastikverschmutzung, können wir große wirtschaftliche, soziale und ökologische Erfolge erzielen“, sagte sie.

NGO kritisiert Verbrennung von Plastik in Zementöfen

Kritik an dem Unep-Report kam von Umweltgruppen, die gegen die Müllverbrennung kämpfen. Man sei besorgt darüber, dass darin die Verbrennung von Kunststoffabfällen in Zementöfen als eine der Schlüsselstrategien propagiert werde, hieß es bei der „Global Alliance for Incinerator Alternatives“ (GAIA, zu deutsch: Globale Allianz für Alternativen zur Müllverbrennung) mit Sitz im kalifornischen Berkeley.

„Die Verbrennung von Kunststoffabfällen in Zementöfen ist eine Freikarte für die Kunststoffindustrie, um die Kunststoffproduktion weiter zu steigern.“

Neil Tangri, Global Alliance for Incinerator Alternatives 

Die NGO kritisierte, die Plastikverbrennung in Zementöfen werde von der Kunststoff- und Entsorgungsindustrie zunehmend als Greenwashing-Taktik unter dem Deckmantel des Recycling eingesetzt. Die NGO verwies unter anderem auf einen Reuters-Bericht, wonach mehrere große Verbrauchermarken wie Coca-Cola, Nestlé und Unilever Projekte zur Verbrennung ihrer Kunststoffabfälle in Zementöfen finanzierten, vor allem in Ländern im globalen Süden, wo es nur geringe Kontrollen gebe.

Neil Tangri von GAIA sagte: „Die Verbrennung von Kunststoffabfällen in Zementöfen ist eine Freikarte für die Kunststoffindustrie, um die Kunststoffproduktion weiter zu steigern, indem sie behauptet, das Kunststoffproblem könne einfach weggebrannt werden.“ Dies stelle durch die Abgase nicht nur eine ernste Bedrohung für die öffentliche Gesundheit und das Klima dar, es untergrabe auch das Hauptziel des globalen Plastikvertrags, nämlich die Begrenzung der Plastikproduktion.

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