Die unterschiedliche Wirtschaftskraft der Bundesländer allein könne dieses Ungleichgewicht nicht erklären, kritisiert die OECD. Seit dem vergangenen Jahr verlangt die Organisation nun explizit mehr Transparenz bei abgeschlossen Fällen von Auslandskorruption.
Die Bundesregierung prüfe derzeit mögliche Maßnahmen, um ein einheitliches Vorgehen bei den Staatsanwaltschaften aller Bundesländer zu erreichen, erklärte eine Sprecherin des Justizministeriums auf Anfrage – das könnten Schulungen durch erfahrenere Staatsanwälte anderer Bundesländer sein oder auch mehr Erfahrungsaustausch unter den Staatsanwaltschaften.
„Beim Mord weiß ich genau, warum ich ermittle. Bei der Bestechung ist mir das nicht so klar.“
Hinzu kommt womöglich noch ein anderer Punkt, auf den Elisa Hoven in ihrer Forschung stieß: Dass wohl auch in den Staatsanwaltschaften nicht jeder überzeugt ist, hier Unrecht zu verfolgen. „Beim Mord weiß ich genau, warum ich ermittle. Bei der Bestechung ist mir das nicht so klar. Der schafft ja Arbeitsplätze für die deutsche Wirtschaft und man muss das oft tun im Ausland“, beschreibt Hoven das Gehörte. Zwar sagt Hoven, auch auch die skeptischen Beamten würden geltendes Recht durchsetzen. Aber womöglich mit weniger Elan als in anderen Fällen: „Da setzt die Behördenleitung auch den Ton. Das ist immer eine Frage von Kapazitäten und Ressourcen, aber eben auch der Prioritätensetzung.“
Meist ermitteln Staatsanwälte, weil sie aus dem Ausland auf etwas hingewiesen wurden oder weil bei einer Steuerprüfung Merkwürdigkeiten aufgetaucht sind. Insider, die wirklich etwas wissen und das den Behörden melden, sind die absolute Ausnahme – auch, weil bis heute „klare und umfassende Schutzmaßnahmen für Hinweisgeber“ fehlen, kritisiert die OECD in ihrem jüngsten Bericht.
Und so zeigen die jetzt durch Ippen Investigativ und seine Partner ausgewerteten Akten auch, wie groß das Dunkelfeld im Bereich Auslandsbestechung ist. Nachdem Ippen Investigativ mit seinen Partnern die Berichte nach dem Informationsfreiheitsgesetz beantragt hatte, gab das Bundesjustizministerium diesem Antrag statt und die Berichte heraus. Darüber waren offenbar nicht alle Bundesländer glücklich. Im Hintergrund habe es ein „Tohuwabohu“ gegeben, war aus einem der Länder zu hören. Man habe es nicht gut gefunden, dass der Bund die Berichte herausgebe, denn: „das sind doch unsere Daten“.
Bleibt also fraglich, ob die Politik in den kommenden Jahren die Staatsanwaltschaften mit mehr Personal ausstattet, zu unrecht verdientes Geld zurückholt und den Straftatbestand der Auslandskorruption härter verfolgt – oder wenigstens für mehr Transparenz sorgt. Dass beides kurzfristig passieren könnte, daran bestehen nach dem Bild, das die Auswertung zeichnet, Zweifel. Auch, weil sich jahrzehntelang eingeschliffene Praxis nur langsam ändern lässt – wie ein Fall aus Niedersachsen zeigt:
Dort beginnen Staatsanwälte 2013 zu ermitteln – und stellen das Verfahren schon 2015 wieder ein. Der Grund: Die Beschuldigten gaben an, mit den Zahlungen gar niemanden bestochen zu haben. Man habe lediglich Beamte im Ausland dazu bewegen wollen, ihre Aufgaben zu erledigen, so die Aussage. „Dies konnte nicht widerlegt werden“, heißt es im Bericht. Und so wurde eingestellt. Denn wer mit seinen Zahlungen fremde Amtsträger nur dazu motivieren will, den Job zu machen, den die ohnehin machen würden, ohne dass deswegen ein anderer einen Nachteil erleidet, der besticht nicht – sondern zahlt lediglich „Beschleunigungszahlungen an ausländische Amtsträger“. Und die sind nach deutschem Recht vollkommen legal.
Lange Zeit war es in Deutschland vollkommen legal, im Ausland zu schmieren – die Kosten dafür konnten sogar viele Jahre von der Steuer abgesetzt werden. Seit 1990 änderte sich das – und 1999 trat schließlich die „OECD-Konvention gegen die Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr“ in Kraft, der auch Deutschland beigetreten ist.
Seitdem berichtet Deutschland jährlich an die OECD, wie gut – oder schlecht – die Verfolgung der Auslandskorruption hierzulande läuft. Dazu berichten die Staatsanwaltschaften jährlich an die Landesjustizministerien, und die an den Bund, von wo dann ein gesammelter Bericht an die OECD geht.
Mit Anträgen nach dem Informationsfreiheitsgesetz haben Ippen Investigativ und Correctiv Berichte aus den letzten sechs Jahren erhalten und gemeinsam mit der WELT ausgewertet.
Hamburg, Thüringen und Rheinland-Pfalz haben Anträge abgelehnt. Hessen schickte fast komplett geschwärzte Seiten. Bayern, Niedersachsen und Sachsen haben noch immer keine Informationsfreiheitsgesetze.
Die neue Auswertung zeigt: Da die meisten Fälle eingestellt werden und diejenigen, die verfolgt werden, oft nicht öffentlich bekannt oder durch eine Einigung zwischen Staatsanwaltschaft und Beschuldigten beendet werden, ist das Dunkelfeld der deutschen Auslandskorruption groß. In anderen Worten: Es gibt deutlich mehr Bestechung aus Deutschland im Ausland, als vermutet.
Das Rechercheteam veröffentlicht alle Jahresberichte in voller Länge hier. Viele der Verfahren darin laufen heute noch.
Ippen Investigativ recherchiert weiter zum Thema Korruption und Betrug – helfen Sie dabei!
Ippen Investigativ ist das Rechercheteam der Verlagsgruppe Ippen – und recherchiert weiter zum Thema. Haben Sie Tipps und Hinweise? Dann melden Sie sich unter recherche@ippen-investigativ.de..
Was geht es den deutschen Staat an, wenn Deutsche im Ausland bestechen und so Jobs sichern? Warum gilt dort überhaupt deutsches Recht? Und wo ist das Problem, wenn Staatsanwaltschaften diese Verfahren gegen Bußgeld einstellen? Antworten auf diese und andere Fragen gibt Elisa Hoven hier im Interview.