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Deutsches Lieferkettengesetz: „Erhebliche Durchsetzungsprobleme“ in China 

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Demonstranten setzen sich für ein starkes EU-Lieferkettengesetz ein.
Demonstranten setzen sich für ein starkes EU-Lieferkettengesetz ein. © IMAGO

Mittelständler (KMU) halten den Schutz von Menschenrechten in der Lieferkette für wichtig, stellt die Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik nach einer Umfrage fest. Unzufrieden sind die Unternehmen mit der Umsetzung des Gesetzes in Deutschland durch die Behörden. Von ihren eigenen Verbänden sehen sie sich bei dem Thema nicht immer gut vertreten.

Dieser Artikel liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem ESG.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn ESG.Table am 17. Mai 2023.

Einen selten detaillierten Einblick zur Einschätzung des Lieferkettengesetzes aus Sicht von mittelständischen Unternehmen (KMU) bietet eine bislang unveröffentlichte Befragung der Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik, die Table.Media vorliegt. Die vertraulich befragten Unternehmen halten Menschenrechtsschutz in Wertschöpfungsnetzen grundsätzlich für „notwendig“ und sie „vertreten überwiegend die Einschätzung, eine gesetzliche Rahmenordnung bzw. verbindliche Strategie seien notwendig“, schreiben die Studienautorinnen Jesco Kreft, Christiane Hellar und Miriam Putz. Unter den Unternehmen „herrscht eine hohe Akzeptanz des Lieferkettengesetzes“. 

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Seit Jahren dominieren in der öffentlichen Diskussion im Hinblick auf die Lieferkettenregulierung in Deutschland zwei Positionen aus der Wirtschaft: Da sind auf der einen Seite die klaren Befürworter von Lieferkettengesetzen. Dazu zählen Unternehmen wie Vaude und Tchibo sowie meist kleinere progressive Unternehmensverbände wie der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft oder B.A.U.M e.V. Und da sind zum anderen große Verbände, die sich lange gegen eine nationale Lieferkettenregulierung in menschenrechtlicher Hinsicht ausgesprochen haben und nun verhindern wollen, dass die EU-Regelungen verabschiedet, die ihnen zu weit gehen. Wichtige Stimmen sind hier der BDI, BDA und VDMA. 

Die Rede ist von Kompetenzprobleme, Bürokratie, Kosten und Machbarkeit. Am Dienstag warnte die Stiftung Familienunternehmen vor einer „inflationsartigen“ Regulierung. Aktuell müssten Unternehmen 20 neue Gesetzesvorhaben und Richtlinien mit Prüf-, Berichts- und Offenlegungspflichten umsetzen. Zwölf Vorhaben kämen aus Europa, acht aus Deutschland. „Wir können die ökologische Transformation nicht mit Meldepflichten und Regulatorik bewältigen, sondern vor allem mit unternehmerischer Initiative und Innovation“, sagt Professor Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen und Politik. 

Lieferkettenpflichten reichen Unternehmen weiter 

Die Befragung der Hamburger Stiftung für Unternehmensethik vermittelt eine dritte, andere Position von Unternehmen: KMU, die sich an der Kritik der eigenen Verbände an der Lieferkettengesetzgebung stören, die prinzipiell Lieferkettenregulierung für richtig erachten, aber sich an der Umsetzung des Gesetzes stören. Schon jetzt befassen sich viele KMU mit dem Thema, obwohl sie von dem Gesetz nicht direkt erfasst sind, da die Verpflichtung bislang nur für Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten gilt. Aber die betroffenen Unternehmen reichen die Anforderungen an ihre Kunden – häufig KMU – weiter – das führe, so die Analyse, „zu einer Verbreiterung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten weit über den Geltungsbereich des Gesetzes hinaus“.  
Zusatzausgaben: „sinnvolle unternehmerische Investition“ 

Die befragten Unternehmen sprechen von finanziellen Belastungen durch die Lieferkettenregulierung, die aber nicht genau zu beziffern seien, weil die Umsetzung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten überwiegend als Querschnittaufgabe organisiert sei.  

Den Einsatz zusätzlicher Ressourcen betrachteten die befragten Unternehmen als „sinnvolle unternehmerische Investition“. Einige Unternehmen sehen hier ein „Vertretungsproblem“ durch ihre Verbände. „Ihre politische Interessenvertretung habe die grundsätzlich positive Haltung vieler KMU erst ignoriert, dann zu lange auf Verhinderung gesetzt und sich schließlich zu wenig pragmatisch in die konkrete Ausgestaltung eingebracht“, heißt es. Zweifel daran, dass KMU die Anforderungen des Gesetzes operativ und konzeptionell nicht umzusetzen können, halten sie für unangebracht. Dieses politische Narrativ wiesen selbst „ursprünglich gesetzesskeptische Unternehmen als wirtschafts- bzw. mittelstandsfremd zurück“, heißt es in der Studie.  

Bei der Umsetzung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nutzten die Unternehmen gewöhnlich Instrumente und Verfahren, mit denen sie bereits im Umweltbereich Erfahrungen haben. 

KMU wünschen sich konkrete Hilfestellung der Behörde 

Unzufrieden sind die KMU mit der Umsetzung durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Bis weit in den Spätsommer 2022 habe es in wichtigen Punkten keine Auslegungshilfen durch die Behörde gegeben. Zudem wünschen sich die Unternehmen spezifischere Hilfen des Helpdesks der Behörde, was Verfahren, Instrumente, Berichte sowie Einschätzungen zu Reichweite und Tiefe es Gesetzes anbelangt. Unzufrieden sind die Unternehmen auch mit den entsprechenden Beratungsangeboten der Kammern. 

„Erhebliche Durchsetzungsprobleme“ in China 

Die Unternehmen sehen die Gefahr, dass bei der Umsetzung des Gesetzes „mittelfristig eine Compliance-Perspektive dominieren könnte“. Unternehmen könnten sich darauf fokussieren, sich rechtlich unangreifbar zu machen, während die echte Verbesserung der Verhältnisse entlang der Lieferketten unterbleibe.  Damit wäre in der Sache – also der Verbesserung der Situation für Mensch und Umwelt in den Lieferketten – wenig gewonnen.

„Erhebliche Durchsetzungsprobleme“ erwarten die KMU in China, wo sie sich „angesichts der LkSG-Vorgaben und ihrer Einflussmöglichkeiten vor Ort mit paradoxen Anforderungen konfrontiert“ sehen, die eine ganze Reihe Geschäftsmodelle mit großem China-Bezug in der Lieferkette grundsätzlich infrage stellen könnten. Man werde die Einhaltung von Menschenrechten „in einem autoritären, nicht demokratischen Land schlichtweg nicht gewährleisten können“, sagen Unternehmensvertreter. Auf Nachfrage gebe etwa ein Viertel der Befragten an, mittelfristig einen kompletten Rückzug aus bestimmten chinesischen Regionen zu prüfen. (Caspar Dohmen)

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