Kleine Firma, großer Wirkstoff

Das Unternehmen Engelhard Arzneimittel produziert und forscht ausschließlich in Hessen, ist aber weltweit mit seinen Produkten erfolgreich.
Ein unscheinbares, eher kleines Industriegebiet in Niederdorfelden, nicht weit vor den Toren Frankfurts. Wer die Straße hinunterfährt, könnte auf den Gedanken kommen, sich leider verfahren zu haben. Hier soll ein „Hidden Champion“ – ein nicht jedem sofort bekannter Weltmarktführer – der deutschen Pharmabranche seine gesamte Produktion haben? Man erwartet einen großen Industriekomplex. Aber nichts da: Das Arzneimittelunternehmen Engelhard ist zwar international sehr erfolgreich, aber viel Fläche braucht es nicht.
Dabei hat Engelhard seine Anlagen gerade stark erweitert. Eine neue Produktionsstätte und ein neues Verwaltungsgebäude wurden errichtet. Kosten: etwa 60 Millionen Euro. Statt bislang 110 000 Flaschen des weltweit bekannten Hustensafts Prospan können nun etwa 250 000 Flaschen am Tag abgefüllt werden. Auch die Produktion des zweiten Verkaufsschlagers des Unternehmens, Isla – ein Mittel gegen Halsschmerzen –, wurde deutlich hochgefahren.
Forschung und Produktion in Niederdorfelden
Die offizielle Eröffnung der neuen Anlage wurde am Dienstag begangen – mit gut 200 Gästen aus Wirtschaft und Politik. Und mit zwei Jahren Verspätung, denn in Betrieb genommen wurde die neue Produktionsstätte schrittweise bereits seit 2021. Doch dann verhinderten Corona, der Ukraine-Krieg und Lieferengpässe einen Festakt, die Aufmerksamkeit war einfach anders gebunden. Nun aber gaben sich der Hessische Ministerpräsident Boris Rhein, Mitglieder des Hessischen Landtags sowie des Deutschen Bundestags, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, sowie viele Vertreter:innen der deutschen Pharmaindustrie die Ehre.
„Engelhard ist ein urhessisches Gewächs. Wir bleiben in Hessen. Wir haben unsere Wurzeln in Hessen und unsere Zukunft in Hessen.“
Gleich zu Beginn der Veranstaltung gab der Geschäftsführer des in fünfter Generation familiengeführten Unternehmens, Richard Engelhard, ein Versprechen ab: „Engelhard ist ein urhessisches Gewächs. Wir bleiben in Hessen. Wir haben unsere Wurzeln in Hessen und unsere Zukunft in Hessen.“
Tatsächlich ist Engelhard ein ungewöhnliches Unternehmen, denn die komplette Produktion sowie Forschung und Entwicklung findet alleine in Niederdorfelden statt. In den Zeiten, in denen viele Firmen aufgrund niedrigerer Kosten Produktionsstätten ins Ausland verlegten, blieb Engelhard der Heimat treu.
Engelhard liefert Hustensaft in mehr als 100 Länder
Und das, obwohl das Unternehmen seine Produkte – neben Prospan und Isla sind das etwa das Wundheilgel Tyrosur und das Abführmittel Glycilax – in mehr als 100 Länder weltweit liefert. Seit diesem Jahr auch in die USA. „International denken, lokal handeln“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie, Kai Joachimsen, dazu in seiner Rede. Auch ein mittelständisches, familiengeführtes und standorttreues Unternehmen könne im globalen Wettbewerb bestehen. „Man braucht dafür Leidensfähigkeit, aber es geht“, so Joachimsen.
GESCHÄFTSZAHLEN
Die Corona-Pandemie traf das Unternehmen Engelhard Arzneimittel hart. Große Teile der Menschen weltweit verbrachten angesichts von Lockdowns ihre Zeit zu Hause, Erkältungskrankheiten gingen massiv zurück. Hustensaft und Halstabletten waren schlichtweg nicht gefragt. So brach der Umsatz von Engelhard Arzneimittel im Geschäftsjahr 1. Juli 2020 bis 1. Juli 2021 um mehr als 36 Prozent auf 81,5 Millionen Euro ein. Inzwischen hat sich die Nachfrage aber erholt, für das am 1. Juli endende Geschäftsjahr erwartet Engelhard einen Umsatz von etwa 150 Millionen Euro. Das Unter-nehmen hat 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. nl
Wer durch die Produktionshalle in Niederdorfelden läuft – und das durften die Gäste am Dienstag in entsprechender Schutzmontur –, der bekommt davon eine Idee. Zwischen Abfüllanlagen und modernen Robotik-Maschinen stehen überall Kisten herum, gefüllt mit Prospan-Fläschchen – bereit, um über das Logistikzentrum im hessischen Butzbach in die ganze Welt verschickt zu werden. Sticker verraten die Zielländer: Vietnam, Kolumbien, Kasachstan. „Made in Germany“ sei ein Anspruch und ein Versprechen zugleich, betonte Richard Engelhard, der das Unternehmen mit seinem Bruder Oliver führt.
Die Ursprünge von Engelhard Arzneimittel reichen weit zurück bis ins Jahr 1868. Am Anfang stand eine Apotheke, die Rosen-Apotheke in Frankfurt, in der Karl Philipp Engelhard die Rezeptur für eine Paste aus der Flechte Isländisch Moos entwickelte und damit den Grundstein für das Medikament Isla legte. Am 1. Oktober 1872, also vor knapp 151 Jahren, gründete er in Frankfurt eine Fabrik für pharmazeutische Präparate, die sich bald weit über die Region hinaus verkauften. „Die Apotheke ist für Hessen, was für das Silicon Valley die Garage ist – die Keimzelle von Innovation“, sagte der Hessische Ministerpräsident Boris Rhein am Dienstag. Und verwies darauf, dass auch die Pharmaunternehmen Fresenius und Merck aus Apotheken entstanden sind. Zudem betonte er, dass knapp ein Drittel des Gesamtumsatzes der deutschen Pharmaindustrie in Hessen eingefahren werde.
Das Efeu für die Medizin kommt aus Süd- und Osteuropa
Deutschland ist der größte Pharmamarkt Europas, weltweit immer noch die Nummer vier. Doch fast alle Redner am Dienstag hoben die Probleme der Branche hervor – die sich inzwischen auch durch teils massiven Medikamentenmangel bei Patientinnen und Patienten bemerkbar machen – und forderten dringend Reformen, um die Medikamentenproduktion in Deutschland zu halten beziehungsweise ins Land zurückzuholen.
In der Geschichte des Unternehmens Engelhard kam der nächste große Meilenstein Ende der 1940er Jahre. Karl Philipp Engelhard, Enkel des Gründers, suchte nach einem Heilmittel für seine an Keuchhusten erkrankte Tochter Gloria – einer Krankheit, die damals oftmals tödlich verlief. Er stieß auf die heilende Kraft des Efeus und entwickelte Prospan.
Bei pflanzlichen Hustensäften ist Prospan nach Angaben des Unternehmens Weltmarktführer. Wobei das Efeu – und auch das Isländisch Moos für Isla – nicht in Deutschland angebaut werden. An dem Punkt ist dann doch Schluss mit „Made in Germany“. Sie werden aus Süd- und Osteuropa importiert, wo sie auf Farmen angebaut und teils noch wild gepflückt werden, wie ein Engelhard-Pressesprecher sagt.
Bis 1997 war Engelhard dem Standort Frankfurt treu und hatte seine Produktionsstätte im Sandweg, bis es dort zu eng wurde und die Firma nach Niederdorfelden umzog. Ministerpräsident Rhein dankte dem Unternehmen am Dienstag für seine Standorttreue und Investitionstätigkeit: „Sie zeigen, dass man auch im hohen Alter noch mutig sein kann“, sagte er.