Wir haben nicht die richtige Struktur von Steuern, Abgaben und Umlagen. Wir finanzieren beispielsweise die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, aber wir haben keine Anreize, die Kohlestromerzeugung abzubauen. Es geht also nicht um höhere Belastungen, sondern um Preissignale, die zielgerichteter wirken.
Was ist eigentlich der Vorteil einer CO2-Steuer oder eines CO2-Mindestpreises, wie vorgeschlagen?
Wir haben momentan keinen Anreiz, die Stromerzeugung zu weniger klimabelastenden Kraftwerken zu verschieben. Wir besteuern Heizöl geringer als Erdgas, wenn man es mal auf die CO2-Emissionen umrechnet. Ein CO2-Mindestpreis im europäischen Emissionshandelssystem kann diesen wieder funktionsfähig machen, und eine CO2-orientierte Reform der Heizstoff-Steuern kann die Modernisierung von Heizungsanlagen sowie die gekoppelte Erzeugung von Strom und Wärme voranbringen.
Kann die CO2-Bepreisung die anderen Abgaben denn komplett ersetzen – als Wundermittel, damit die Preise künftig die ökologische Wahrheit sagen?
Ein Mindestpreis im Emissionshandelssystem kann die Stromsteuer ersetzen, die ökologisch eher blind ist. Energiesteuern sollten sich grundsätzlich am CO2-Gehalt der Brennstoffe orientieren. Aber die CO2-Bepreisung hat auch Grenzen. Bei höheren Anteilen von Wind und Sonne am Strommix liegen der Preis an der Strombörse und damit die Einnahmen für die Wind- und Solaranlagenbetreiber bei Null, wenn viel Wind weht oder die Sonne scheint – egal was der CO2-Preis ist. Für solche und andere spezielle Problemlagen brauchen wir auch weiterhin andere Finanzierungsinstrumente.
Wäre denn mit dem CO2-Preis sichergestellt, dass Deutschland seine Klimaschutz-Ziele erreicht? Nach jetzigem Stand würde die für 2020 angepeilten minus 40 Prozent CO2 weit verfehlt, es sieht eher nach 30 bis 33 Prozent aus.
Angesichts des kurzen verbleibenden Zeitraums werden wir dem Ziel für 2020 nur über die Abschaltung von Braunkohlekraftwerken deutlich näher kommen können. Eine CO2-Preisreform wird hier nur einen kleinen Beitrag leisten. Ein berechenbarer Pfad für CO2-Preise kann aber dazu beitragen, dass wir mittel- und langfristig nicht wieder vor der Notwendigkeit von Hauruck-Aktionen stehen. Der CO2-Mindestpreis ist keine Alternative zu einem aktiv gestalteten Kohleausstieg, aber eine sehr wichtige Ergänzung.
Wie hoch müsste der CO2-Preis sein? Derzeit liegt er im EU-Emissionshandel bei nur sieben Euro pro Tonne.
Für den Stromsektor machen kurzfristig 15 bis 20 Euro je Tonne einen ordentlichen Unterschied, mit Blick auf 2030 werden sicher 30 bis 40 Euro notwendig sein, um die Klimaziele zu erreichen.
Was bedeutet das konkret für den Stromsektor und die Industrie?
Die Produktion von Kohlekraftwerken wird sinken, die exzessiven Stromexporte Deutschlands werden zurückgehen, der Anteil von Gasstromerzeugung wird größer und erneuerbare Energien werden wettbewerbsfähiger. Für die Industrie jenseits der Stromwirtschaft wird sich wenig ändern, die sind durch kostenlose Zertifikate weiterhin und sehr weitgehend vom CO2-Preis abgeschirmt.
Es droht keine Verlagerung von Produktion und Jobs ins Ausland?
Nein.
Und wie entwickeln sich die Energiekosten für die Haushalte und den Verkehr?
Für die Stromkosten der Haushalte werden sich nur geringe Veränderungen erheben. Steigt der Strompreis an der Börse durch einen Mindestpreis, reduziert sich die EEG-Umlage, und auch die Abschaffung der Stromsteuer ist ja mit im Paket. Für Haushalte mit alten Ölheizungen wird das Heizen teurer – und das ist ja der Zweck des Ganzen.
Auch Sprit wird nach Ihrem Konzept nur wenig teurer. Das wird die überfällige Verkehrswende kaum bringen, oder?
Nein, hier spielt die Markteinführung der Elektromobilität eine zentrale Rolle. Aber eine klare CO2-Orientierung der Kraftstoff-Steuern kann zumindest einige kontraproduktive Anreize abbauen, zum Beispiel den Trend zu PS-starken und schweren Dieselfahrzeugen.
Sie sagen, die CO2-Bepreisung soll die Staatseinnahmen unter dem Strich nicht erhöhen. Wie sollen die Einnahmen an die Bürger zurückfließen?
Zum Beispiel über die genannte Abschaffung der Stromsteuer, über Förderprogramme für innovative Technologien, aber durchaus auch zur Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme. Andere Staaten verschicken jährlich einen Rückerstattungsscheck an die Bürger. Das könnte man bei uns auch so machen.
Muss der CO2-Preis ansteigen, um bis 2050 den im Paris-Klimaabkommen geforderten Ausstieg aus den fossilen Energien zu erreichen? Und wie weit?
Ein CO2-Preis ist notwendig, aber nicht hinreichend für die radikalen Emissionsminderungen, die zur Einhaltung der Zwei-Grad-Schranke für die globale Erwärmung notwendig sind. Langfristig könnten CO2-Preise von 50 bis 100 Euro notwendig sein, mit dem Blick auf 2030 wäre ich aber auch schon mit 30 bis 40 Euro ganz zufrieden.
Sie fordern, die neue Bundesregierung soll sich dem Thema annehmen. Gibt es überhaupt Chancen dafür – falls Jamaika kommt?
Das müssen Sie die verhandelnden Vertreter der Parteien fragen. Ich glaube aber: ja.
Sie fordern eine deutsch-französische Initiative, um die CO2-Bepreisung voran zu bringen. Ist das wirklich realistisch? Frankreichs Präsident Macron hat einen CO2-Mindestpreis von 25 bis 30 Euro pro Tonne vorgeschlagen, der die Atomstrom-Macht Frankreich kaum belasten würde, aber die deutschen Stromkonzerne mit ihren Kohlekraftwerken stark...
Ein Mindestpreis hat sowohl in Frankreich als auch in Deutschland sehr unterschiedliche Gewinner und Verlierer. Und die Grenzen verlaufen hier bei genauer Betrachtung keineswegs nur zwischen den Ländern oder zwischen Atom und Kohle. Der Zusatznutzen einer grenzüberschreitenden Initiative ist in jedem Fall viel größer als die Verteilungsproblematik.
Großbritannien hat bereits einen CO2-Mindestpreis, fällt wegen des Brexits aber für eine gemeinsame Initiative aus. Wer könnte sonst noch zum Klima-Kerneuropa hinzustoßen? Und wäre das stark genug?
Entscheidend für eine Mindestpreis-Initiative ist die Achse Deutschland-Frankreich, die Benelux-Staaten und Skandinavien wären wohl auch dabei. Aber auch Länder wie Tschechien haben zumindest Interesse. Dass Polen wohl nicht mitmachen wird, ist einerseits kein Geheimnis, aber andererseits auch kein übermäßig großes Problem. Und: Großbritannien bleibt immerhin im europäischen Emissionshandel.
Interview: Joachim Wille