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„Internetfasten kann helfen - nicht nur den Süchtigen“

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Von: Joachim Wille

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„Nicht noch mehr Video-Streaming, Social Media, Gaming, Shopping Assistenten und so weiter.“
„Nicht noch mehr Video-Streaming, Social Media, Gaming, Shopping Assistenten und so weiter.“ © picture alliance/dpa

Professor Tilman Santarius über das Internet als Stromfresser, den Hype um autonome Autos und die Aufgabe der Politik, die Digitalisierung in die richtige Bahn zu lenken.

Die Digitalisierung ist der Megatrend, der zunehmend alle Lebensbereiche erfasst. Professor Tilman Santarius von der Technischen Universität Berlin untersucht, wie sie wirkt. Als Stromfresser einerseits, Stromsparer andererseits, zum Beispiel. Und was man tun kann, damit sie nicht aus dem Ruder läuft. Santarius hat auch einen Tipp: Er glaubt, dass Internetfasten ab und an vielen gut tun kann, um sich die Abhängigkeit von der Technik immer mal wieder vor Augen zu führen.

Herr Professor Santarius, das Internet verbraucht weltweit rund zehn Prozent des Stroms, bis 2030 könnten es laut Prognosen 30 Prozent sein. Ist das verkraftbar?

Wenn die Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien dazu führt, dass wir in allen Bereichen – im Haushalt, der künftigen Elektro-Mobilität, in der Industrie, beim Konsum – die Stromnachfrage drastisch reduzieren, dann ja. Dann würde zwar der Anteil digitaler Geräte am Stromverbrauch steigen, aber insgesamt ließe sich mit verringertem Stromverbrauch die Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien leichter bewältigen. Sehr wahrscheinlich ist diese Variante aber nicht.

Was sind die richtigen Stellschrauben, um die Internet-Nutzung klima- und umweltverträglich zu machen?

Wenn die Digitalisierung einerseits noch zunimmt, aber zugleich der Stromverbrauch – und überhaupt Energieverbrauch – zurückgehen soll, dann braucht es dafür einerseits eine sehr aktive Gestaltung digitaler Tools. Nicht noch mehr Video-Streaming, Social Media, Gaming, Shopping Assistenten und so weiter. Und Vorsicht bei künftigen energieintensiven Anwendungen der künstlichen Intelligenz, wenn diese nicht explizit Nachhaltigkeitsziele verfolgen. Und andererseits braucht es flankierende Maßnahmen, wie etwa eine steigende Öko-Steuer oder Verbrauchsstandards für Elektro-Autos, die Anreize setzten, den Stromverbrauch zu verringern.

Internet: Umstellung auf Ökostrom reicht nicht

Internetkonzerne wie Apple werben damit, dass sie mit Ökostrom arbeiten. Ist das ein Vorbild?

Unbedingt. Aber 100 Prozent Ökostrom hat Apple leider nicht. Dennoch ist es erfreulich, dass Unternehmen wie Apple oder Google hier vorangehen. Amazon hingegen bezieht den Strom „aus der Steckdose“ und hat damit nur ein paar Prozent Ökostrom. Doch bei allem Vorbildcharakter: Eine Umstellung auf Ökostrom reicht nicht. Die Unternehmen – wie auch die Nutzer und die Politiker – müssen sich zudem immer wieder die Frage stellen, welchen Zielen die Anwendung digitaler Tools dienen soll. Es gibt beispielsweise Rechenzentren für das Bitcoin-Mining, die mit Ökostrom laufen. Aber leistet das Echtzeit-Trading virtueller Währungen einen Beitrag zur Nachhaltigkeit? Mitnichten. Und wenn die Bitcoin-Rechenzentren mit Ökostrom laufen, dann kann dieser nicht für anderen Nachfragebereiche genutzt werden, die sinnvoller sind.

Sollten Anwendungen wie die Kryptowährung Bitcoin verboten werden?

So rigoros würde ich es jetzt auch wieder nicht sehen. Aber insgesamt sollte dem Handel mit Währungen und der Hochgeschwindigkeits-Spekulation an den Finanzmärkten dringend Sand ins Getriebe gestreut werden – zum Beispiel mit einer Finanztransaktionssteuer oder vergleichbaren Instrumenten.

Tilman Santarius ist Professor an der Technischen Universität Berlin. Foto: Fabian Pfitzinger
Tilman Santarius ist Professor an der Technischen Universität Berlin. © Fabian Pfitzinger

Eine einzige Berechnung eines „Blocks“ in der Datenkette ist 10 000-mal so energieintensiv wie eine Kreditkartentransaktion ...

Das stimmt nach groben Schätzungen, gilt aber nur für Bitcoins. Nicht alle Anwendungen der Blockchain-Technologie sind so energieintensiv. Beispielsweise könnten Blockchain-basierte Verträge mit wesentlich weniger komplexen Berechnungen auskommen und würden entsprechend weniger Energie fressen. Trotzdem ist es eine völlig irrsinnige Vorstellung einiger eingeschworener Blockchain-Fans, mit der breiten Anwendung der Blockchain-Technologie ließe sich eine nachhaltige Ökonomie realisieren. Leider ist das in der Öffentlichkeit und Politik noch nicht angenommen, hier wird immer noch einem naiven Hype aufgesessen. Ich würde Blockchain nicht verbieten, aber zusehen, dass es eine Nischentechnologie für spezielle Anwendungsfelder bleibt.

Immer mehr Lebensbereiche werden digitalisiert, wodurch die Datenmengen extrem zu wachsen drohen. Ein einziges selbstfahrendes Auto zum Beispiel kann nach Ihren Berechnungen pro Tag locker 4000 Gigabyte an Daten generieren, die alle über das Netz geleitet werden müssen. Was bedeutet das für die erhoffte klimafreundliche Verkehrswende?

Wenn die über 40 Millionen Pkw auf deutschen Straßen auch nur zum Teil aus selbstfahrenden Autos bestehen würden, wäre das eine Katastrophe für den Klima- und Ressourcenschutz. Denn das würde via ungeheurer Mengen an Datentransfers nicht nur jede Menge Energie fressen, die digitalen Infrastrukturen – Serverparks, Rechenzentren, Hochgeschwindigkeits-Netzwerke wie 5G – kosten ja auch riesige Mengen an Ressourcen. Aber von diesem Schreckgespenst mal abgesehen: Der Hype um selbstfahrende Autos ist eigentlich schon wieder vorbei. Kaum noch jemand, der sich ernsthaft mit der Technik sowie mit den rechtlichen Fragen, die an der Nutzung hängen, beschäftigt, glaubt heute noch, dass die Dinger kommen werden. Auch das ist leider noch nicht überall angekommen…

Digitalisierung könnte Verkehrswende ein neuen Frühling bescheren

Zur Person

Tilman Santarius ist Professor an der Technischen Universität Berlin und am „Einstein Center Digital Futures“ – mit Fachgebiet Sozial-Ökologische Transformation und Nachhaltige Digitalisierung.

Er forscht und publiziert zu den Themen Klimapolitik, Handelspolitik, nachhaltiges Wirtschaften und globale Gerechtigkeit. Santarius hat Soziologie, Volkswirtschaft und Ethnologie studiert. Von 2001 bis 2009 war er Projektleiter am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie.

An der TU Berlin und am Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW, Berlin) leitet er eine Nachwuchs-Forschungsgruppe zum Thema „Digitalisierung und Nachhaltigkeit“.

Das Internet bietet aber auch viele Chancen für eine klimafreundliche, nachhaltige Entwicklung. Wo liegen die größten Potenziale?

Statt der digitalen Aufrüstung des individuellen Pkw-Verkehrs sehe ich große Chancen, den öffentlichen Verkehr mithilfe der Digitalisierung nutzerfreundlicher und auch umweltfreundlicher zu machen. Wenn Nutzer mit einem Klick ein integriertes Ticket etwa für das Bike Sharing von zu Hause zur S-Bahn, die Reise mit dieser an den Stadtrand und die Überwindung der letzten Meile per Carsharing kaufen könnten, und wenn zudem alle Verkehrsträger und Zeitpläne intelligent aufeinander abgestimmt sind, dann kann die Digitalisierung der Verkehrswende ein neuen Frühling bescheren.

Kann man quantifizieren, wie viel Einsparung die Digitalisierung im Energie- und Verkehrssektor bringen würde, wenn sie dort intelligent eingesetzt wird?

Die Global e-Sustainability Initiative, ein Zusammenschluss von 40 Telekommunikation- und IT-Unternehmen, hat in mehreren Studien die Einsparpotenziale digitaler Technologien in einzelnen Sektoren überschlagen. Für den Energiesektor prognostizieren sie eine globale Einsparung von bis zu 1,8 Milliarden Tonnen, für den Verkehrssektor sogar 3,6 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente – Letzeres wären rund 20 Prozent der derzeitigen weltweiten Verkehrsemissionen. Wie etliche Wissenschaftler auch halte ich solche Studien aber für wenig seriös. Sie berücksichtigen weder konterkarrierende Wirkungen von Rebound- und Induktionseffekten, noch generell, dass das Wachstum hierzulande und im globalen Süden einen guten Teil der Einsparpotenziale wieder auffressen wird. Auch wenn mein Forschungsteam selber keine globalen Quantifizierungen unternommen hat, vermute ich eher, dass es ein Nullsummenspiel werden könnte. Viele Studien von Einzelfällen auf der Mikro-Ebene zeigen, dass die Effizienzpotenziale und die digitale induzierten Mehrverbräuche sich die Waage halten.

Was muss die Politik tun, um eine nachhaltige Digitalisierung voranzubringen und Auswüchse zu stoppen?

Im Experten-Schnack sagen wir: Es braucht den vollen Policy-Mix aus Regulierung, Anreizen und Rahmenbedingungen. Zum Beispiel brauchen wir eine IT-Designrichtlinie, die festschreibt, dass digitale Geräte modular und reparierfähig aufgebaut werden, lange halten, bis zum Nutzungsende von den Herstellern mit Updates versorgt werden, energie- und ressourcensparend produziert werden und laufen. Sodann braucht es Anreize, etwa Subventionen oder Forschungsförderung, beispielsweise für eine datenoffene Plattform zur Steuerung des öffentlichen Verkehrs oder um nachbarschaftliche, dezentrale Energieverbünde aus erneuerbaren Energien zu entwickeln. Und drittens sollte die Politik mit allgemeinen Rahmenbedingungen flankieren, etwa steigenden Ökosteuern, oder beispielsweise einer Reform des Monopolrechts, damit die digitalen Lösungen von morgen nicht von Google, Facebook und Amazon stammen.

Digitalisierung : Ministerien mit widersprüchlichen Strategien

Könnte Deutschland hier eine Vorbildfunktion bekommen? Gibt es Ansätze dazu?

Ich bin hocherfreut, dass das Bundesumweltministerium die Zeichen der Zeit erkannt hat und sehr gewillt ist, das Thema Digitalisierung und Nachhaltigkeit voranzutreiben. Das macht derzeit kaum ein anderes Land. Aber noch ist offen, ob auch genügend Taten folgen werden. Und ob Deutschland andere Länder – mindestens der EU – überzeugen kann, mitzumachen.

Die Bundesregierung hat bereits eine „Digitalstrategie“ verabschiedet. Was bringt die für eine verträgliche Digitalisierung?

Die stellt bedauerlicher Weise kaum Bezüge zum Thema soziale oder ökologische Nachhaltigkeit her. Äußerst erfreulich ist hingegen ein Eckpunktepapier des Umweltministeriums zur Verknüpfung von Digitalisierung mit Nachhaltigkeit, welches bis Frühjahr 2020 auch in eine umfassende Strategie überführt werden soll. Doch wie in anderen Feldern spricht die Politik mit widersprüchlichen Stimmen: Das Wirtschafts- oder Verkehrsministerium verfolgt mit der Digitalisierung offenbar andere Ziele als das Umweltministerium. Eine kohärente Strategie, wie Innovationen, neue Geschäftsfelder und Wettbewerbsfähigkeit zugleich mit Umweltschutz, Gerechtigkeit und Sozialverträglichkeit in Einklang gebracht werden können, ist nicht zu sehen.

Professor Santarius, derzeit sind weltweit rund 2,5 Milliarden Menschen „online“. Was kann der Einzelne tun, um sich dabei nachhaltig zu verhalten?

Zum Beispiel online nachhaltige Produkte kaufen, denn das geht genauso einfach per Mausklick wie Wohlstandsschrott bei Amazon zu erstehen. Vorsicht bei datenintensiven Anwendungen walten lassen, allem voran beim Video-Streaming. Wer in der Straßenbahn Video streamt, hat fast den gleichen Energieverbrauch wie jemand, der mit dem Auto nebenher fährt. Und insgesamt sollte man sich immer wieder die Frage stellen: Wie viel permanente Vernetzung brauche ich eigentlich, um ein glückliches Leben zu führen.

Was halten Sie vom Internet-Fasten?

Für viele wohl eine super Idee, um sich die Abhängigkeit von der Technik immer mal wieder vor Augen zu führen, und partiell abzugewöhnen. Und für die vermutlich rund fünf bis zehn Prozent Internet- respektive Smartphone-süchtigen Menschen in Deutschland eine dringend zu empfehlende Therapie.

Interview: Joachim Wille

Die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Margrethe Vestager, warnt vor dem massivem Stromverbrauch des Internets. Allein im vergangenen Jahr haben Streaming-Plattformen ungefähr so viel Strom verbraucht wie alle Privathaushalte in Deutschland, Italien und Polen zusammen.

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