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Inflation und Zinsen – Die Zentralbank sitzt in der Klemme

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Von: Stephan Kaufmann

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Die Inflationsrate legt immer stärker zu, höhere Zinsen bergen aber massive Risiken. Denn eine straffere Geldpolitik würde auch die Investitionen bremsen.

Frankfurt – Die Inflationsraten in Europa klettern immer höher. Damit verschärft sich das Dilemma, in dem sich die Europäische Zentralbank (EZB) befindet. Zur Dämpfung der Inflation müsste sie die Zinsen erhöhen. Gleichzeitig aber ist fraglich, ob das den Preisdruck aktuell überhaupt mindern würde. Zudem fiele der konjunkturdämpfende Schritt einer Zinserhöhung in eine Phase, in der der Ukraine-Krieg die ökonomischen Unsicherheiten drastisch erhöht hat.

So bekommt die EZB zu spüren, dass die Gründe für die wachsenden makroökonomischen Ungleichgewichte außerhalb ihrer Reichweite liegen.

Inflationsrate in Deutschland klettert auf 7,5 Prozent

In Deutschland ist die Inflationsrate nach ersten Schätzungen im März von 5,1 Prozent auf 7,5 Prozent geklettert. Die Zahl für die Eurozone kommt am Freitag, die Commerzbank rechnet mit einem neuen Hoch von 7,7 Prozent, denn „die Angst vor einer Energiekrise hat die Preise für Heizöl, Kraftstoffe, Gas und Strom noch einmal drastisch in die Höhe getrieben“. In den Vereinigten Staaten sind die acht Prozent schon im Februar fast erreicht worden.

Die Ursache für die hohen Raten liegt zum einen in einem seit Monaten bestehenden Nachfrageüberhang: Die Corona-Krise von 2020 wurde von einem verspäteten und überraschend starken Post-Corona-Boom abgelöst. Die Kombination aus pandemiebedingten Angebotseinschränkungen und der starken globalen Nachfrage nach Waren führte in den Lieferketten zu Engpässen, was den Anbietern die Gelegenheit zu Preiserhöhungen eröffnete. Diese Lieferkettenprobleme bestehen weiter und „dürften die Konjunktur belasten und die Inflation anheizen“, so die Commerzbank. Nun kommt der russische Überfall auf die Ukraine hinzu, wodurch die „hohen Inflationsraten einen zusätzlichen Schub erhalten“.

Wirtschaftswachstumsprognose für Deutschland nur noch 2,2 bis 3,1 Prozent

Eine Erhöhung der Zinsen könnte Kredite verteuern, dadurch die kreditfinanzierte Nachfrage und damit Konsum und Investitionen bremsen, wodurch die Inflation wieder zurückginge. Dagegen sprechen jedoch gewichtige Gründe. Zum einen würden höhere Zinsen nicht das knappe Angebot an Rohstoffen und Vorprodukten erhöhen, sondern bloß die Nachfrage dämpfen.

Volle Ladung: Der Wocheneinkauf geht schwer ins Geld.
Volle Ladung: Der Wocheneinkauf geht schwer ins Geld. (Symbolfoto) © dpa

Dies würde zum anderen die Konjunktur schwächen – und die ist derzeit ohnehin angeschlagen: Der Ifo-Geschäftsklimaindex erlebte zuletzt einen „noch nie dagewesenen Einbruch der Geschäftserwartungen und den drittstärksten Rückgang aller Zeiten“, meldet die Deka-Bank. Über die Kriegsfolgen hinaus „werden die Unternehmen gezwungen, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken.“

Das Ifo-Institut senkte daher seine Wirtschaftswachstumsprognose für Deutschland für dieses Jahr von 3,7 auf 2,2 bis 3,1 Prozent. Die Inflationsrate werde dagegen statt bei 3,3 Prozent zwischen fünf und sechs Prozent liegen.

Lieferkettenprobleme treiben die Teuerung voran

Dabei sind die Unsicherheiten allerdings immens und durch ökonomische Modelle kaum abzubilden. Stichwort Energieembargo: Sollte Deutschland seine Öllieferungen aus Russland kappen und Moskau darauf mit einem Stopp der Gaslieferungen antworten, wären die Folgen kaum berechenbar. „Zwar kommen nur 2,7 Prozent der gesamten deutschen Warenimporte aus Russland“, erklärt das arbeitgebernahe Wirtschaftsforschungsinstitut IW. Doch die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von Lieferungen aus Russland sei wesentlich stärker, als die reinen Zahlen suggerierten, da Deutschland von dort vornehmlich Rohstoffe importiere, die am Anfang der Wertschöpfungskette stünden. „Lieferausfälle können somit mehrere Produktionsstufen hintereinander stilllegen.“

Daneben ist unklar, wie haltbar sich die Lieferketten in Zukunft erweisen werden. Denn es „ist davon auszugehen, dass die internationalen Handelsbeziehungen zukünftig nicht mehr nur unter dem Kriterium der wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit betrachtet werden, sondern auch vermehrt unter geopolitischen Erwägungen“, erklärt Thieß Petersen, Senior Advisor der Bertelsmann-Stiftung, auf dem Blog „Makronom“. Generell sei zu befürchten, dass viele Volkswirtschaften in Zukunft verstärkt Instrumente wie Zölle, Sanktionen oder Exportbeschränkungen einsetzten, um damit ihre politischen Ziele zu erreichen.

In der Eurozone ist die Abhängigkeit von Russland ausgeprägt

Wie reagieren darauf die Zentralbanken? Relativ komfortabel ist die Situation für die USA. Dort hat die Federal Reserve Bank mit ihrem Zinserhöhungszyklus begonnen, denn die US-Konjunktur ist stark und relativ unabhängig vom Ukraine-Krieg, ebenso wie die Energieversorgung. „Die Wahrscheinlichkeit einer Rezession im Jahresverlauf ist gering“, sagte Fed-Chef Jerome Powell.

Anders ist die Lage in der Eurozone, wo die Wirtschaft schwächer und die Abhängigkeit von Russland ausgeprägt ist. Zwar gibt es im EZB-Rat Stimmen, die für eine Zinserhöhung im laufenden Jahr plädieren. Gleichzeitig will man den Fehler aus dem Jahr 2011 nicht wiederholen, als die EZB den Leitzins zweimal anhob, dies vier Monate später aber bereits wieder zurücknehmen musste.

Vorsichtig dürfte die Europäische Zentralbank nicht nur wegen der aktuell wackeligen Konjunktur vorgehen, sondern auch wegen der langfristigen Folgen ihrer Beschlüsse. Denn sie kann über eine restriktive Geldpolitik zwar versuchen, die kreditfinanzierten Ausgaben und darüber die Inflation zu drücken. Gleichzeitig aber bedeuten höhere Zinsen auch nachlassende Investitionen. Dabei „sind massive Investitionen für die sozial-ökologische Transformation dringend geboten“, so Petersen. Nötig ist auch die Förderung des digitalen Wandels, schließlich „ist technologische Überlegenheit die Basis für wirtschaftliche Stärke, und wirtschaftliche Stärke ist die Basis für politische und militärische Macht“. (Stephan Kaufmann)

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