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In der Schuldenfalle

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Von: Tobias Schwab

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Flutopfer in Pakistan: Dem Land steht auch finanziell das Wasser bis zum Hals.
Flutopfer in Pakistan: Dem Land steht auch finanziell das Wasser bis zum Hals. © AFP

Die kritische finanzielle Lage vieler Staaten gefährdet den Kampf gegen Armut und Klimawandel, wie ein Report von Misereor und des Bündnisses Erlassjahr.de zeigt. Die Nichtregierungsorganisationen fordern von der Bundesregierung mehr Engagement für Schuldenerleichterungen.

Immer mehr Länder des globalen Südens stehen vor dem Bankrott und können deshalb kaum noch Mittel für soziale Grunddienste aufbringen. Das zeigt der Schuldenreport 2023 von Misereor und dem Bündnis Erlassjahr.de. Dem Bericht zufolge ist die Lage von 136 von 152 untersuchten Staaten als kritisch einzustufen, 40 von ihnen seien sogar sehr kritisch verschuldet, so die Analyse, die der Frankfurter Rundschau exklusiv vorliegt.

Dabei beruhen die zugrundeliegenden Daten auf dem Stichtag 31. Dezember 2021. Das bedeutet, dass die Analyse die globalen wirtschaftlichen Verwerfungen infolge des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine ebenso wenig abbildet wie die Auswirkungen der von den USA ausgehenden globalen Zinswende ab März 2022. Die finanzielle Lage vieler Staaten, so die Prognose der Autor:innen des Reports, dürfte sich daher zwischenzeitlich noch deutlich verschärft haben.

Mittel für die Bekämpfung der Armut fehlen

Doch auch die in den Bericht eingegangenen Daten geben Anlass zu großer Besorgnis: Befanden sich vor der Corona-Pandemie noch 37 Prozent der Entwicklungs- und Schwellenländer in einer kritischen oder sehr kritischen Situation, so stieg dieser Anteil bis Ende 2021 auf 64 Prozent an. Zu den 40 besonders kritisch verschuldeten Staaten zählt der Report jetzt auch Oman, Malawi, Ruanda, Guinea Bissau und Ghana.

Konsequenz für viele betroffene Länder: Finanzielle Mittel, die in den Schuldendienst fließen, stehen nicht zur Verfügung, um Armut, die Folgen der Klimakrise und den wachsenden Hunger zu bekämpfen, beschreiben Misereor und Erlassjahr.de das „Drama der Länder, die in der Schuldenfalle stecken“. Laut der Studie leben 90 Prozent der extrem armen Menschen und rund drei Viertel der Unterernährten in kritisch oder sehr kritisch verschuldeten Staaten.

Die Schuldenkrise engt die finanziellen Spielräume der Regierungen ein und behindert eine nachhaltige Entwicklung, stellen die Studienautor:innen fest. So mussten 55 der untersuchten Länder 2019 bis 2021 durchschnittlich mehr Geld für Zins und Tilgung an ausländische Gläubiger überweisen, als sie für die Gesundheitsversorgung im eigenen Land aufwenden konnten. Bei drei Viertel der Staaten in „sehr kritischer“ Lage fiel der Schuldendienst sogar doppelt so hoch aus wie das Budget für die Gesundheit.

Staaten scheuen vor Umschuldung zurück

Trotz ihrer desolaten Lage scheuten viele Staaten in tiefer finanzieller Krise – auch aus Angst vor negativen Reaktionen der Gläubiger – davor zurück, „frühzeitig Umschuldungen in Angriff zu nehmen“, stellt Klaus Schilder, Experte für Entwicklungsfinanzierung bei Misereor, fest. Als Beispiel führt der Report Pakistan an – ein Land, dessen Lage die Studie als „sehr kritisch“ einstuft und das zu den Staaten gehört, die am stärksten unter den Folgen des Klimawandels leiden. Im Sommer vergangenen Jahres wurde die südasiatische Region als Folge eines außergewöhnlichen Monsunregens von der schwersten Flutkatastrophe seit Beginn der Wetteraufzeichnungen heimgesucht. Trotzdem versuche die Regierung unter allen Umständen eine Umschuldung zu vermeiden. Auch nach der Flut habe Pakistan seinen Schuldendienst pünktlich geleistet. „Wie soll das Land so Mittel für den Wiederaufbau mobilisieren?“, sagt Schilder.

ZINS UND TILGUNG

Der Schuldenreport wird jährlich vom deutschen Entschuldungsbündnis Erlassjahr.de und Misereor heraus-gegeben. Er analysiert die Verschuldungssituation von Länder im globalen Süden. Entscheidend sind mehrere Indikatoren. So wird etwa der öffentliche Schuldenstand zum Bruttoinlandsprodukt und zu den Staatseinnahmen ins Verhältnis gesetzt. Eine Rolle spielt auch die Höhe der durch Exporte erwirtschafteten Devisen im Verhältnis zu den Zahlungen für Zinsen und Tilgung an ausländische Gläubiger. Mehr: www.erlassjahr.de/produkt/schuldenreport-2023

Ähnlich traf es erst jüngst die kritisch verschuldete Insel Madagaskar und das bereits jetzt zahlungsunfähige Malawi, als Mitte März ein Zyklon schwere Zerstörungen im südlichen Afrika anrichtete.

„Die Frage nach dem Ausweg aus der Verschuldungsspirale stellt sich 2023 dringender denn je“, sagt Kristina Rehbein, Koordinatorin von Erlassjahr.de. Die fällig werdenden Schuldendienstzahlungen an ausländische Gläubiger befänden sich im globalen Süden auf dem höchsten Stand seit Ende der 1990er Jahre. „Und der Druck wird steigen.“

Misereor und das Erlassjahr-Bündnis fordern deshalb von der Bundesregierung unter anderem, ein automatisches Schuldenmoratorium für „klimaverwundbare Staaten und Länder in Umschuldungsverhandlungen zu ermöglichen“. Sie sollte sich außerdem für die Schaffung einer internationalen Institution einsetzen, an die sich Schuldnerländer für die Organisation eines umfassenden Moratoriums wenden können.

NGOs erinnern Bundesregierung an den Koalitionsvertrag

Die Bundesregierung müsse jetzt ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag erfüllen und sich international für einen „neuen Konsens beim Schuldenmanagement“ einsetzen, so Rehbein und Schilder. SPD, Grüne und FDP hatten sich 2021 darauf verpflichtet, eine Initiative für ein kodifiziertes Staateninsolvenzverfahren zu unterstützen, „das alle Gläubiger miteinbezieht und Schuldenerleichterungen für besonders gefährdete Ländergruppen umsetzt“.

Dafür sehen die Autor:innen des Report jetzt eine neue Chance: Die Bundesregierung sollte die Vorbereitung der Vierten Internationalen Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung 2025 nutzen, um „gemeinsam mit Partnern entscheidende Impulse für ein internationales Staateninsolvenzverfahren zu setzen“, fordern Erlassjahr.de und Misereor von der Koalition.

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